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Klaus Ernst, BSW-Vize im Bundestag.

© dpa/Hendrik Schmidt

Update Exklusiv

Wagenknecht-Vize über Haftbefehl nach Nord-Stream-Sabotage: „Hinter Anschlägen steht ein Staat“

„Hier wurden Informationen zurückgehalten“, sagt Klaus Ernst, BSW-Vize im Bundestag. Er will den Generalbundesanwalt im Bundestag befragen. Die FDP warnt indes vor reflexartigen Reaktionen.

Nach den Medienberichten über einen Haftbefehl gegen einen Ukrainer infolge der Nordstream-Pipeline-Sabotage fordert das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) eine Stellungnahme des Generalbundesanwalts im Innenausschuss des Bundestages.

„Wir erwarten, dass Generalbundesanwalt Rommel den Innenausschuss des Bundestages so schnell wie möglich informiert, endlich alle Fakten auf den Tisch legt“, sagte Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der BSW-Gruppe im Bundestag, dem Tagesspiegel: „Es ist ein himmelschreiender Skandal, dass die Justiz zwei Jahre lang angeblich im Dunkeln tappt und auch den Abgeordneten jede Information verweigert wurde.“

Verdacht gegen Ukrainer

Im Fall der Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee vor fast zwei Jahren gibt es laut Medienberichten nun einen Haftbefehl. Diesen habe der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof erwirkt, berichteten „Die Zeit“, ARD und die „Süddeutsche Zeitung“. Demnach fällt der Verdacht auf einen Ukrainer, dessen letzter Aufenthaltsort in Polen gelegen haben soll. Den Berichten zufolge ist er mittlerweile untergetaucht. Die Bundesanwaltschaft war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Die polnische Generalstaatsanwaltschaft bestätigte jedoch den Erhalt eines entsprechenden Europäischen Haftbefehls. Bei dem Verdächtigen handelt es sich demnach um Wolodymyr Z., einen ukrainischen Staatsbürger, der sich zuletzt in Polen aufhielt. Die Ermittler hätten ihn jedoch an seinem Wohnort nicht angetroffen, sagte eine Sprecherin. „Der Mann hat Anfang Juli die Grenze zwischen Polen und der Ukraine überquert.“

Möglich sei dies gewesen, weil von deutscher Seite kein Eintrag in das Schengen-Register erfolgt sei, in dem die mit Europäischem Haftbefehl Gesuchten geführt werden. „Wolodymyr Z. hat die polnisch-ukrainische Grenze überquert, bevor es zur Festnahme kam, und der polnische Grenzschutz hatte weder die Informationen noch die Grundlage, um ihn festzunehmen, da er nicht als Gesuchter aufgelistet war“, sagte die Sprecherin. 

Wenn ein russischer Agent in Berlin einen Kaffee trinkt, werden wir nach zehn Minuten informiert, wer es war, auch wenn die Faktenlage dünn ist

Klaus Ernst, BSW-Vize im Bundestag

Man müsse kein Kriminalist sein, um zu ahnen, dass Informationen zurückgehalten worden seien, sagte der Stellvertreter Sahra Wagenknechts im Bundestag. Der Verdacht liege nah, dass die deutschen Ermittlungsbehörden „so zugeknöpft“ seien, „weil es Hinweise auf die Ukraine gibt. Es wäre ein Skandal, wenn Staatsraison dazu führt, dass Spuren in die Ukraine ignoriert und Ermittlungsergebnisse zurückgehalten wurden.“

„Wenn ein russischer Agent in Berlin einen Kaffee trinkt, wenn es einen Hackerangriff gibt, werden wir nach zehn Minuten informiert, wer es war, auch wenn die Faktenlage dünn ist“, sagte Ernst.

„Anschläge nicht von Stammtischbrüdern organisiert“

Die Anschläge gegen die Pipelines könnten „nicht von einem Privatmann oder Stammtischbrüdern organisiert worden sein“, sagte Ernst, „da steht ein Staat dahinter.“ Er sagte weiter: „Wenn die Ukraine einen Terroranschlag gegen unsere Infrastruktur organisiert hat, müssen sofort alle militärischen Hilfen infrage gestellt werden.“

Sofern sich herausstelle, dass Polen die Festnahme des verdächtigten Ukrainers verhindert haben sollte, müsse die Bundesregierung mit der polnischen Regierung klären, wie es so etwas geben könne, forderte Ernst. „Es wirft ein seltsames Bild auf die Zusammenarbeit der Nato-Staaten, sollte sich der Vorwurf erhärten.“

Der Vorsitzende des parlamentarischen Kontrollgremiums, Konstantin von Notz, äußerte sich dagegen erfreut über die Entwicklung: „Ich begrüße den Fortschritt der Ermittlungen in Sachen Nordstream“, sagte der Grünen-Politiker dem Tagesspiegel. Noch sei man jedoch ein gutes Stück davon entfernt, die gesamten Hintergründe zu durchdringen.

„Bei der im Raum stehenden Beteiligung quasistaatlicher Akteure sind Ermittlungen immer schwierig“, sagte von Notz und warnte davor, voreilige Schlüsse zu ziehen: „Gerade wegen der geopolitischen Auswirkungen empfehle ich, von all zu einfachen Zuschreibungen abzusehen und die Behörden entschlossen weiter ihre Arbeit machen zu lassen.“

Doch auch der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag sieht politische Arbeit als Lehre aus dem Fall: „Wir müssen die Resilienz unserer Demokratie weiter erhöhen und Infrastrukturen wie Unternehmen noch besser schützen. Die Vorlage eines Kritis-Dachgesetzes ist überfällig“, sagte von Notz.

FDP: Unterstützung der Ukraine darf nicht infrage gestellt werden

Die FDP warnte dagegen davor, nun die Unterstützung der Ukraine infrage zu stellen. Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrich Lechte: „Stand jetzt wurde gegen einen ukrainischen Staatsbürger Haftbefehl erlassen. Es ist anzunehmen, dass er und seine mutmaßlichen Mittäter nicht allein gehandelt haben, doch wer tatsächlich dahintersteckt, bleibt völlige Spekulation.“

Lechte warnte: „Wir sollten daher davon absehen, reflexartig die deutsch-ukrainischen Beziehungen infrage zu stellen, insbesondere dann, wenn wir über den tatsächlichen Hergang keine genauen Informationen haben.“ Er setze sein Vertrauen in den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, so Lechte. „Die Unterstützung der Ukraine durch die Bundesregierung wird und darf durch die Ermittlungen nicht infrage gestellt werden – davon bin ich überzeugt.“

Die Ukraine verteidige sich „erfolgreich seit über zwei Jahren gegen einen scheinbar übermächtigen russischen Aggressor, hierbei sollten wir die Ukraine weiterhin umfassend und zielgerichtet militärisch unterstützen“, betonte Lechte. (mit dpa)

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