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Deutschland und der Atomdeal mit dem Iran: Die Geschichte eines Missverständnisses
In dieser Woche traf sich mal wieder ein deutscher Außenminister mit einem Vertreter Teherans. Mit Iran-Verhandlungen hat Deutschland viele Erfahrungen gesammelt – nicht nur die besten.
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Es wurde laut am Samstag vor dem Roten Rathaus: Mehr als Tausend Exil-Iraner aus ganz Deutschland kamen in Berlin zusammen, um für ihren dritten Weg zu werben. Weder soll es Krieg geben noch Appeasement gegenüber dem Regime – stattdessen soll das eigene Volk die Mullahs stürzen.
Organisiert wurde der Protest vom Nationalen Widerstandsrat des Iran, einer der größeren Oppositionsgruppen, die einst auf der EU-Terrorliste stand, nun aber anerkannt ist. Erst diese Woche erinnerte ihre Anführerin Maryam Rajavi die Abgeordneten im Europaparlament an ihre seit jeher ablehnende Haltung gegenüber Gesprächen mit dem Regime: „Wir sagten, dass Verhandlungen und Appeasement nirgendwohin führen und Zeitvergeudung sein würden.“
Appeasement aus Deutschland?
Adressat dieser Kritik ist nicht zuletzt Deutschland. Seit Bekanntwerden des Atomprogramms im Jahr 2002 strebte die Bundesrepublik mit Großbritannien, Frankreich, den USA, China und Russland eine Verhandlungslösung zur Eindämmung der nuklearen Aktivitäten an. Als es schließlich 2015 so weit war, wurde das Atomabkommen als Vorzeigeprojekt gefeiert.
Das Nuklearabkommen 2015 war eine diplomatische Meisterleistung, weil es gelang, das militärische Nuklearprogramm Irans erstmals einzuschränken.
Christoph Heusgen, einst Berater von Ex-Kanzlerin Angela Merkel
Einer der Architekten im Hintergrund sieht das auch immer noch so. „Das Nuklearabkommen 2015 war eine diplomatische Meisterleistung, weil es gelang, das militärische Nuklearprogramm des Irans erstmals einzuschränken“, sagt Christoph Heusgen, damals außen- und sicherheitspolitischer Berater von Kanzlerin Angela Merkel: „Die Anreicherung stoppte, Zentrifugen wurden eingemottet.“
Er hält die deutsche Iranpolitik der vergangenen beiden Jahrzehnte im Grundsatz deshalb noch für richtig. „Einerseits Diplomatie, andererseits Druck durch Sanktionen – wobei die Sanktionen durchaus noch härter hätten ausfallen können“, so Heusgen.
Skepsis in Israel und bei Trump
Als Belohnung für das Abkommen sollten sie schrittweise aufgehoben werden und das Ende der ökonomischen Isolation einleiten. Zu den Allerersten, die mit einer großen Unternehmerdelegation in Teheran landeten, gehörte der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD).
Israel, dessen Sicherheit erklärtermaßen deutsche Staatsräson ist, blieb skeptisch. Die dortige Regierung glaubte zu wissen, dass das Regime in Teheran, das dem jüdischen Staat mit Vernichtung droht, weiterhin Teile des Atomprogramms vor den internationalen Inspektoren verbarg, die nun regelmäßig anreisten.
In den USA wurde das Abkommen trotz seines internationalen Charakters mit der Person von Präsident Barack Obama verbunden. Das war freilich nicht der alleinige Grund, warum sein Nachfolger Donald Trump schließlich im Jahr 2018 die mit JPCOA abgekürzte Vereinbarung einseitig aufkündigte.
Als die Verhandlungen anfingen, hatte Iran 200, zum Zeitpunkt des Abschlusses 19.000 Zentrifugen. Der Druck war also schon damals sehr hoch.
Die deutsche Spitzendiplomatin Helga Maria Schmid
Nicht nur der Mann im Weißen Haus meinte, dass die Mullahs im Schatten des Atomdeals weiter ihr Unwesen treiben konnten. Für die Verhandlungslösung hat das Auswärtige Amt aus Sicht des CDU-Außenpolitikers Norbert Röttgen damals „beide Augen bei Iran zugedrückt“, wie er dem Tagesspiegel schon vergangenes Jahr sagte: „Sowohl das regionale Terrornetzwerk, das das Regime in Teheran Stück für Stück entwickelt hat, als auch die brutalen Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land wurden nicht angemessen adressiert.“
Das sieht die deutsche Diplomatin Helga Maria Schmid, die das Abkommen maßgeblich verhandelt und dafür da Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen hat, anders. „Als die Verhandlungen anfingen, hatte Iran 200, zum Zeitpunkt des Abschlusses 19.000 Zentrifugen“, erinnert sie sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Der Druck war also schon damals sehr hoch. Der Iran verfügte über viel hochangereichertes Material, das dann vernichtet wurde.“
Deutschland nimmt einen neuen Verhandlungsanlauf
Nach dem, wie Schmid einräumt, alleinigen Fokus auf die Atomfrage war geplant, sich den anderen Problemen zu widmen. „Die Menschenrechte waren immer ein Thema“, so die Ex-Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Dienstes: „Das wurde im Anschluss an das JCPoA adressiert. Aber auch die problematische Rolle Irans in der Region, mit der Unterstützung von Proxies und Milizen.“
Ob daraus hätte etwas werden können? In dieser Lesart wird der US-Rückzug zum entscheidenden Faktor für die heutige Lage. „Mit einer konsequenten Einhaltung des Nuklearabkommens wäre Israel heute mit Sicherheit nicht gleichermaßen bedroht, aber damals sind leider erst die USA ausgetreten und dann hielt sich Iran nicht mehr an die Vereinbarungen“, glaubt Schmid. „Die heutige Eskalation“, meint Heusgen, „ist eine Folge dieser verfehlten Trump’schen Politik.“
Irans Nuklearprogramm hat wieder ein absolut besorgniserregendes Niveau.
Helga Maria Schmid, deutsche Diplomatin, die das Atom-Abkommen mit dem Iran maßgeblich verhandelt hatte
Beide Mitarchitekten des damaligen Abkommens begrüßen denn auch, dass der neue Außenminister Johann Wadephul (CDU) am Freitag in Genf mit seinem britischen und französischen Amtskollegen einen neuen Anlauf in diese Richtung unternommen hat. Schließlich habe, so Schmid, „Irans Nuklearprogramm wieder ein absolut besorgniserregendes Niveau“.
Die Europäer sieht sie gut gerüstet dafür. Sie verfügten über „sehr viel Wissen über das Programm“ und andererseits einen Hebel im alten Abkommen, den die USA nach dem Austritt nicht mehr haben. Die EU könnte die internationalen Sanktionen gegen Teheran wieder in Kraft setzen.
Heusgen vermag nicht zu sagen, wohin die europäische Diplomatie dieses Mal führt. „Ob dies ausreicht, den amerikanischen Präsidenten davon zu überzeugen, nicht wie George W. Bush gegenüber dem Irak auf Gewalt zu setzen, sondern auf Verhandlungen, bleibt abzuwarten.“
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