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Einer der ersten Wege von Außenminister Johann Wadephul führte nach Jerusalem, wo er in Yad Vashem der von Nazi-Deutschland ermordeten sechs Millionen Jüdinnen und Juden gedachte.

© Michael Kappeler/dpa

Deutschland unter Druck: Wichtige Verbündete verlieren Geduld mit Netanjahu

Frankreich, Großbritannien und Kanada stellen sich offen gegen die Ausweitung der Militäroperation in Gaza. Auch beim EU-Außenrat am Dienstag wirkt Deutschland isoliert. Wie geht es weiter?

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Zu seinem zweiwöchigen Amtsjubiläum ist der Außenminister Johann Wadephul in seine bisher heikelste Lage geraten. Dem Christdemokraten, dessen Regierungs- und Parteichef Friedrich Merz größten Wert auf die Solidarität mit Israel legt und Premier Benjamin Netanjahu trotz eines vom Internationalen Strafgerichtshof ausgestellten Haftbefehls empfangen würde, bläst am Dienstag in Brüssel jede Menge europäischer Gegenwind ins Gesicht.

Waren sich die allermeisten EU-Staaten eben noch in der Ukrainepolitik einig, auch im Spenden warmer Worte über die europäische Führungsstärke der neuen Bundesregierung, sieht das in Bezug auf den Gazakrieg völlig anders aus. Die Meinungsverschiedenheiten zum Nahen Osten haben in der Gemeinschaft Tradition, weshalb sie bisher auch nie zu den entscheidenden Akteuren bei den Friedensbemühungen der Vergangenheit gehörte. Diesmal aber gehen sie tiefer.

Wadephul versuchte in Brüssel verzweifelt Einigkeit zu demonstrieren, indem er auf eine gemeinsam abgestimmte Erklärung derjenigen Geberländer verwies, die in den Palästinensergebieten humanitär helfen. „Genehmigen Sie unverzüglich die vollständige Wiederaufnahme von Hilfslieferungen in den Gazastreifen“, heißt es darin an die Adresse der israelischen Regierung, die am Vortag ein neues Konzept für begrenzte Lieferungen ins Werk gesetzt hatte.

Zumindest bei der humanitären Lage sind sich fast alle einig

Auch Adis Ahmetovic, der neue außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, betont gegenüber dem Tagesspiegel, dass sich Deutschland trotz der besonderen, aus dem Holocaust erwachsenen Beziehung und der „unverbrüchlichen Solidarität mit dem Staat Israel“ auch dem Völkerrecht verpflichtet fühlt: „Deshalb hat Deutschland gemeinsam mit 21 anderen Außenministern in und außerhalb der EU klar und unmissverständlich erklärt, dass die humanitären Grundsätze für jeden Konflikt überall auf der Welt von Bedeutung sind“.

Die vermeintliche Geschlossenheit, auf die er und Wadephul damit hinweisen wollen, wurde jedoch durch mehrere andere Stellungnahmen völlig konterkariert. Insbesondere die gemeinsame Wortmeldung von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, Großbritanniens Premier Keir Starmer und Kanadas Regierungschef Mark Carney demonstrierte, dass zentrale Verbündete Deutschlands die Geduld mit der Rechtsregierung in Jerusalem verloren haben.

Wir sind strikt gegen die Ausweitung der israelischen Militäroperation in Gaza.

Aus einer Erklärung von Emmanuel Macron, Keir Starmer und Mark Carney

„Wir sind strikt gegen die Ausweitung der israelischen Militäroperation in Gaza“, heißt es in dem Statement, in dem die humanitäre Lage zudem als „inakzeptabel“ das neue Lieferkonzept als „völlig unangemessen“ und der Armeeeinsatz infolge des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 als „gänzlich unverhältnismäßig“ bezeichnet werden. Die Erklärung von Macron, Starmer und Carney gipfelt in dem Satz: „Wir rufen die israelische Regierung auf, den Militäreinsatz in Gaza zu beenden und unverzügliche Hilfe in den Gazastreifen zu lassen.“

Nicht einmal eine Absprache oder Information des Kanzleramts hat es zu dem Vorstoß gegeben, wie von dort zu hören ist – obwohl Merz gerade Macron und Starmer in den vergangenen Tagen gleich mehrfach getroffen hat.

Im Auswärtigen Amt ist sehr wohl angekommen, dass dies eine neue Qualität hat und Deutschland auf europäischer Bühne zunehmend isoliert mit seiner Haltung gegenüber der israelischen Regierung dasteht. Zum Auftakt des EU-Außenministertreffens warnte lediglich noch die österreichische Chefdiplomatin Beate Meinl-Reisinger davor, „dass wir den Dialog mit Israel ganz abbrechen“.

Deutschland will seinen Gesprächsknal nutzen

Das wäre aus ihrer und auch Wadephuls Sicht die Konsequenz, wenn eine niederländische Initiative Erfolg haben sollte. Deren Außenminister Caspar Veldkamp warb unter seinen Kolleginnen und Kollegen in Brüssel dafür zu überprüfen, ob Israel noch den zweiten Artikel des Assoziierungsabkommens mit der EU erfüllt, in dem die Achtung der Menschenrechte festgeschrieben ist.

Bundeskanzler Merz wie Wadephul setzen darauf, dass mit politischem Druck auf Israel hinter verschlossenen Türen mehr erreicht werden kann als mit drastischer Kritik von außen. Zumal es mit dem Israel besonders wohlgesonnenen Personal in der neuen deutschen Regierung überhaupt wieder einen ernstzunehmenden Gesprächskanal gibt. Zumindest gilt es im Außenamt als offenes Geheimnis, dass Vorgängerin Annalena Baerbock (Grüne) kaum noch gehört wurde.

Die Äußerungen unserer Partner zeigen, wie dringend sich die Dinge ändern müssen.

Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion

So soll es unter anderem einem regen Telefon- und SMS-Kontakt Wadephuls mit seinem israelischen Gegenüber Gideon Sa’ar am Wochenende zu verdanken sein, dass es überhaupt etwas Bewegung bei den Hilfslieferungen gab. „Wir wirken intensiv auf die israelische Regierung ein“, heißt es aus dem Auswärtigen Amt.

Die Bundesregierung ist dennoch besorgt über das frappierende Zerwürfnis auf europäischer Ebene, das sich die EU gerade jetzt mit Blick auf Russland eigentlich gar nicht leisten kann. „Bundeskanzler Merz hat schon in seiner ersten Woche nachgewiesen, wie wichtig ihm die außenpolitische Geschlossenheit mit unseren Partnern ist“, sagt beispielsweise Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der regierenden Unionsfraktion: „Die Äußerungen unserer Partner zeigen, wie dringend sich die Dinge ändern müssen.“

So scheint die Geduld mit Netanjahu auch im Berliner Regierungsviertel nicht endlos zu sein. Seine neu formulierte Absicht, den Gazastreifen einzunehmen, stößt auf klare Ablehnung, weil ohne die zwei Millionen Palästinenser dort eine auch von der neuen Bundesregierung favorisierte Zwei-Staaten-Lösung in noch weitere Ferne rücken würde. Daher, so der Sozialdemokrat Ahmetovic, „lehnen wir völkerrechtswidrige Vertreibungen im Gazastreifen“ ab.

„Keine Vertreibungen“ – so lautet auch am Dienstag Wadephuls Botschaft in Brüssel. Bis zu einer geplanten UN-Konferenz zur Lage der Palästinenser im Juni in New York wird er noch viel Arbeit haben, die israelische Regierung von einem anderen Vorgehen zu überzeugen und die Europäer auf eine Linie zu bringen.

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