
© Imago/Chris Emil Janßen
Deutschlands Abhängigkeit von China: Pekings Würgegriff wird für die Steuerzahler in jedem Fall teuer
Muss man VW oder Porsche notfalls retten, obwohl sie vor dem China-Schock gewarnt wurden? So oder so kostet der Weg zurück zu mehr wirtschaftlicher Unabhängigkeit viel Geld.
Stand:
Ein Erkenntnisproblem gibt es eigentlich schon länger nicht mehr. Schon die China-Strategie der Ampelregierung sah in der Volksrepublik nicht mehr nur den Partner und Wettbewerber, sondern auch den systemischen Rivalen. Dessen Wirtschaftsstrategie ziele unter anderem darauf ab, so wurde es 2023 unter Federführung von Außenministerin Annalena Baerbock aufgeschrieben, „die Abhängigkeit internationaler Produktionsketten von China zu verstärken“.
Das neudeutsche Motto lautete fortan, kein „Decoupling“ der deutschen Volkswirtschaft, aber doch ein „Derisking“ anzustreben. Gemeint war damit, den Handel mit China zwar nicht zu beenden, aber das Abhängigkeitsrisiko dadurch zu reduzieren, dass man andere Absatzmärkte für seine Produkte findet und neue Lieferanten wichtiger Rohstoffe für die deutsche Wirtschaft. Die Ampel intensivierte Kontakte mit Japan oder den südostasiatischen Asean-Ländern.
Ohne nennenswerten Erfolg – eher im Gegenteil, wie eine Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft aus dem Juli zeigt: In den ersten fünf Monaten 2025 sanken die deutschen Exporte zwar um rund 14 Prozent, man importierte aber zehn Prozent mehr aus China. Parallel verhängte Exportauflagen wie bei seltenen Erden zeigten, „dass die chinesische Regierung nicht davor zurückschreckt, dem Westen massiv zu schaden“ und ihre teilweise „Monopolstellung als strategische Handelswaffe“ einzusetzen: „Der China-Schock ist da“, hieß es in der Analyse.
Scholz-Regierung sah in Asien nicht mehr nur China
„Olaf Scholz hat begonnen, auf Diversifizierung zu setzen, ein Fortschritt gegenüber der Zeit von Angela Merkel, die in Asien nur China gesehen hat“, sagt der Sozialdemokrat Michael Roth, zu Ampelzeiten Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses: „Unser Problem ist, dass wir viel schneller umsteuern müssten, das aber nur wie ein schwerfälliger Tanker tun.“ Große Teile der Wirtschaft glaubten immer noch, „sich durchwursteln zu können.“
In dieser Woche könnte den Unternehmen endgültig klar geworden sein, dass das nicht mehr geht: Bei VW standen Produktionsstopps im Raum, da der Chip-Hersteller Nexperia wegen eines Konflikts zwischen der niederländischen und der chinesischen Regierung nicht mehr voll beliefert wurde.
Peking will über solche Auflagen offenbar nicht groß diskutieren und bot etwa Außenminister Johann Wadephul (CDU) kaum Gesprächspartner an. Wadephul sagte daraufhin eine für Sonntag geplante China-Reise ab.
Chinas jüngste Handelsbeschränkungen setzen direkt rund eine Million und indirekt weitere zwei Millionen Arbeitsplätze in Deutschland unter Druck.
Sepp Müller (CDU), Unionsfraktionsvize im Bundestag
Am Freitagnachmittag meldete Porsche einen starken Gewinneinbruch – nicht nur, aber auch weil das Luxusgeschäft mit China schlecht läuft.
Noch fehlt der Regierung der passende Plan
Die Entwicklung lässt auch die guten Vorsätze der neuen Regierung alt aussehen. „Die China-Strategie werden wir nach dem Prinzip des ,De-Risking’ überarbeiten“, heißt es im schwarz-roten Koalitionsvertrag: „Wir werden im Bundestag eine Expertenkommission einsetzen, die in einem jährlichen Bericht Risiken, Abhängigkeiten und Vulnerabilitäten in den wirtschaftlichen Beziehungen analysiert, darstellt und Maßnahmen zum De-Risking empfiehlt.“
Noch aber hat die CDU-geführte Regierung von Friedrich Merz keinen rechten Plan. Erst diese Woche musste sie von der Ministerpräsidentenkonferenz gebeten werden, „gemeinsam mit den Unternehmen der Automobilindustrie eine Resilienzstrategie für Rohstoffe und Technologien unter Berücksichtigung einer Diversifizierung der Lieferketten zu entwickeln“. In Koalitionskreisen heißt es zu den jüngsten Ereignissen ernüchtert: „Wir sitzen am kürzeren Hebel.“
Die Dimension dessen, worum es geht, ist riesig. Darauf verweist Sepp Müller, der für Wirtschaftsfragen zuständige Unionsfraktionsvize im Bundestag: „Chinas jüngste Handelsbeschränkungen setzen direkt rund eine Million und indirekt weitere zwei Millionen Arbeitsplätze in Deutschland unter Druck.“
Selbst Liberale schließen Staatshilfe nicht aus
Was also tun, wenn nun Großunternehmen durch Verwerfungen mit China in Schieflage gerieten? „Die deutschen Autobauer sind noch weit davon entfernt, Liquiditätsprobleme zu haben“, sagt der Ökonom Peter Bofinger, „wenn doch, wären Aktionäre wie die Piëchs oder Quandts für eine Finanzspritze zuständig.“
Trotzdem wäre dann nach Ansicht von Thorsten Benner vom Berliner Global Public Policy Institute „viel Druck im Kessel für einen staatlichen Bailout – obwohl Merz wie Scholz gemahnt haben, Unternehmen müssten ihre Abhängigkeiten verringern und könnten sich nicht auf Bailouts verlassen“.
Der Staat muss intervenieren – es liegt in unserem nationalen Interesse, nicht zuletzt für die Verteidigungsindustrie in seltene Erden und Chips zu investieren.
Michael Roth (SPD), Ex-Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses
Selbst die Liberalen sehen nicht, wie man dann kühl auf frühere Warnungen verweisen und nichts tun könne.
„Es ist müßig, jetzt darüber zu philosophieren, wer sich wann zu stark in Abhängigkeiten gebracht hat“, sagt FDP-Chef Christian Dürr: „Das Missmanagement im Fall Volkswagen ist offensichtlich, oftmals fehlt es aber ganz konkret an alternativem Angebot zu chinesischen Chips.“
Das ist die Ironie: Chinas autoritärer Staatskapitalismus zwingt uns dirigistische Praktiken und Staatsintervention auf, um uns aus dem Würgegriff Pekings zu befreien.
Thorsten Benner vom Berliner Global Public Policy Institute
Teuer wird es ohnehin – ob Rettungsmilliarden nötig werden oder nicht. Denn im Politikbetrieb herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass die öffentliche Hand mit viel Geld und Gesetzen aktiv werden muss.
„Chinas Monopol und Preismacht, das Resultat staatlicher Intervention ist, bricht man nur durch eigene staatliche Intervention“, sagt der Experte Benner: „Das ist die Ironie: Chinas autoritärer Staatskapitalismus zwingt uns dirigistische Praktiken und Staatsintervention auf, um uns aus dem Würgegriff Pekings zu befreien.“
Erstens braucht es aus seiner Sicht eine Regulierung des Umgangs deutscher Unternehmen mit China: „Es muss klare staatliche Vorgaben und Anreize zur Risikoverringerung geben.“ Zweitens müsse man analog zu den USA unter Präsident Donald Trump bei wichtigen Rohstoffen, aber auch im Medizinsektor, sagt Benner weiter, „massiv eigenes Geld in die Hand nehmen, um alternative Anbieter an den Markt bringen zu helfen und Nachfrage zu sichern“.
Sozialdemokrat Roth verweist darauf, dass auch wichtige Bauteile im Rüstungssektor betroffen sind. „Der Staat muss intervenieren – es liegt in unserem nationalen Interesse, nicht zuletzt für die Verteidigungsindustrie in seltene Erden und Chips zu investieren.“
Eine Stärkung der heimischen Halbleiterproduktion, wie sie beispielsweise in Magdeburg durch Intel trotz zugesagter Milliardenförderung nicht zustande kam, will auch der Liberale Dürr. Er setzt dabei freilich vor allem auf „attraktive Rahmenbedingungen – von wettbewerbsfähigen Energiepreisen über beschleunigte Genehmigungsverfahren bis hin zu steuerlicher Entlastung“.
Dass im Europaparlament zuletzt „selbst vorsichtige Entbürokratisierungsinitiativen“ gescheitert seien, bezeichnete Dürr als „alarmierendes Signal“. Kanzler Merz und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen seien nun in der Verantwortung, „endlich mutige Strukturreformen auf den Weg zu bringen, damit Europa im globalen Technologiewettbewerb nicht weiter zurückfällt“.
Die eigene Widerstandsfähigkeit stärken will CDU-Mann Müller „kurzfristig durch gezielte staatliche Unterstützung, etwa einen funktionierenden Rohstofffonds, und langfristig durch eine aktivere Handelspolitik“. Neue Märkte seien „keine Option, sondern eine Notwendigkeit“.
Allerdings wartet Europa auch hier auf den Durchbruch, etwa zum Abkommen mit den lateinamerikanischen Mercosur-Staaten – als Kanzler Merz diesen am Freitag nach dem EU-Gipfel verkündete, widersprach Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ausdrücklich.
Müller hofft, dass es trotz der abgesagten Wadephul-Reise im Verhältnis mit Peking wieder entspannter wird und die Anpassungsprozesse in Deutschland weniger hart werden.
„Anstatt in Konfrontation zu verfallen, müssen wir den Weg des Dialogs wählen – auf Augenhöhe, mit klarem Blick für gemeinsame Interessen“, sagt der CDU-Politiker. Dazu gehöre, „wirtschaftliche Spannungen nicht eskalieren zu lassen“.
- Angela Merkel
- Annalena Baerbock
- CDU
- China
- Deutscher Bundestag
- Emmanuel Macron
- Friedrich Merz
- Japan
- Olaf Scholz
- Porsche
- SPD
- Ursula von der Leyen
- USA
- Volkswagen
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false