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Die Wut über den Sparkurs, den EU-Krisenstaaten wie Spanien fahren müssen, treibt immer wieder zehntausende Jugendliche auf die Straße. Viele von ihnen haben keine Arbeit.

© AFP

Jugendarbeitslosigkeit in Europa: Die Jugendgarantie - wichtiges Symbol oder Blendwerk?

Kein Europäer unter 25 soll länger als vier Monate arbeitslos bleiben. Als die EU-Kommission Ende 2010 die Einführung einer "Jugendgarantie" vorschlug, war der Zuspruch groß. Doch ist das Vorhaben wirklich mehr als nur Symbolpolitik?

Der Markt hat seine eigenen Gesetze – das steht in jedem BWL-Lehrbuch. Auf dem Arbeitsmarkt für Jugendliche sind diese zurzeit besonders brutal: Rund 23 Prozent aller Europäer bis 25, die arbeiten wollen und können, stehen ohne eine Stelle da. Während die Zahlen in Deutschland mit 7,9 Prozent – der niedrigste Wert in Europa – moderat sind, ächzen die von der Finanzkrise gebeutelten Südstaaten besonders laut. 57,7 Prozent sind es in Griechenland, 54 in Spanien, 43 in Italien. Die Jugend ist die Zukunft, heißt es – doch was ist mit der Zukunft der Jugend?

Die gleiche Frage hatte sich die EU- Kommission in Brüssel auch gestellt und als Antwort den Mitgliedstaaten im April 2013 die Jugendgarantie empfohlen. Sie sieht vor, dass jeder Jugendliche unter 25 nach dem Schul- oder Ausbildungsabschluss binnen vier Monaten einen Job, eine Lehrstelle, ein Praktikum oder eine Weiterbildung erhält. „Dank der Jugendgarantie wird niemand vergessen“, wirbt die Kommission in einem Video. Die Einführung hat sie bereits Ende 2012 vorgeschlagen, ehe der Rat eine Empfehlung aussprach. Über die politischen Lager hinweg herrschte Eintracht bezüglich der Bewertung des Programms: Positiv! Noch- Kommissionspräsident José Manuel Barroso jubelte: „Mit der Jugendgarantie haben junge Menschen eine echte Chance für eine bessere Zukunft“, Ursula von der Leyen, damals noch Arbeitsministerin, sprach von einem „ganz wichtigen Signal für die Jugend“. Auch von Grünen und FDP gab es reichlich Zuspruch. Der designierte Kommissionspräsident, Jean-Claude Juncker, sprach nun sogar davon, die Garantie schrittweise bis zu einem Alter von 30 Jahren ausweiten zu wollen.

Der DGB bezeichnet das Vorhaben als "Blendwerk"

Doch die Euphorie wird nicht von allen geteilt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bezeichnete das Vorhaben als „Flickenteppich“ und „Blendwerk“. Die Kritik rührt daher, dass die Jugendgarantie kein Gesetz ist. Halten sich die Staaten nicht an die Empfehlung des Rates, können sie nicht sanktioniert werden. „Die Jugendgarantie bleibt garantiert eine Nullnummer, solange sie weiter so unverbindlich ist“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.

Auch bezüglich der wirtschaftlichen Wirksamkeit des Programms dominiert die Skepsis. Michael Sommer, bis Mai dieses Jahres DGB-Vorsitzender, verwies darauf, dass arbeitsmarktpolitische Maßnahmen immer nur ein Aspekt seien. „Dass die Konjunktur in den Krisenländern Europas wieder anspringt“ sei auch wichtig. Drastischer formulierte es Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, der das Programm angesichts der enormen Arbeitslosigkeit als Quatsch bezeichnete. Länder wie Griechenland oder Spanien hätten weder die wirtschaftlichen noch infrastrukturellen Möglichkeiten, die Garantie zu realisieren. Ein Versprechen auf Arbeit sei unerfüllbar.

Tut Deutschland zu wenig für arbeitslose Jugendliche?

Dennoch fordert der DGB, sich schnell und entschlossen um eine Umsetzung zu bemühen. Dafür sind nach Berechnungen der International Labour Organization jährlich rund 21 Milliarden Euro notwendig. Die EU schießt dem Projekt im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF) jährlich zehn Milliarden Euro, die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen jährlich sechs Milliarden Euro zu. Auch die Europäische Investitionsbank stellt im Rahmen eines Sonderkreditprogramms Hilfe zur Verfügung. Die Gelder der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen werden nach Gesichtspunkten von Arbeitslosenquote und Einwohnerzahl verteilt. Profitieren können Regionen, in denen die Arbeitslosenquote junger Menschen über 25 Prozent liegt.

Das Programm wird bisher unterschiedlich stark genutzt. Während Deutschland aus der Beschäftigungsinitiative aufgrund der niedrigen Jugendarbeitslosigkeit kein Geld erhält, hat Frankreich als erster europäischer Staat ein Programm zur Umsetzung der Jugendgarantie vorgelegt. Das ist notwendig, um Fördermittel zu erhalten. Vom ESF und der Beschäftigungsinitiative bekommt Frankreich insgesamt 432 Millionen Euro.

Auch in Deutschland gibt es Handlungsbedarf

Am 11. Juli hat die Kommission auch das Programm Italiens angenommen. Der kriselnde Südstaat wird mit 1,1 Milliarden Euro bezuschusst. EU-Sozialkommissar László Andor begrüßte die Entwicklung: „Das Programm Italiens zur Umsetzung der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen ist sehr ehrgeizig. Es soll über eine halbe Million junge Italienerinnen und Italiener erreichen, die gegenwärtig weder einen Arbeitsplatz haben, noch eine Ausbildung absolvieren.“ Andere Länder wie Spanien oder Griechenland, in denen die Jugendarbeitslosigkeit ebenfalls sehr hoch ist, haben noch keine solchen Programme vorgelegt.

Sozialkommissar Andor wies indes kürzlich darauf hin, dass es trotz guter Statistiken auch in Deutschland Handlungsbedarf gebe. Rund 370.000 arbeitslose Jugendliche würden nicht in den Daten erfasst, da sie gar nicht nach Arbeit suchen und auch nicht in der Ausbildung sind. Um diese „Außenseiter“ müsse sich die deutsche Politik mehr kümmern.

Die Bundesregierung hat am 8. April einen nationalen Implementierungsplan zur Umsetzung der Jugendgarantie beschlossen. Dieser widmet sich vor allem dem Erhalt und dem Ausbau bereits bestehender Maßnahmen, da laut Arbeitsministerium die Ziele der Jugendgarantie schon weitgehend erfüllt werden. Maßgeblich dazu bei trage vor allem das duale Ausbildungssystem, das die Azubis schon früh an die Praxis bindet. Unterstützung für Arbeitssuchende gebe es zudem durch die Bundesagentur für Arbeit und Jobcenter.

Die Jugendgarantie sei keine Revolution, sagt Patrick Ischer, Vizegeneralsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds. Es wäre illusorisch anzunehmen, dass über Nacht Millionen neue Jobs geschaffen werden könnten. Dennoch mache es die Jugendgarantie möglich, dass die EU-Mitgliedstaaten das drückende Problem der Jugendarbeitslosigkeit gemeinsam und geschlossen angehen. „Der Schlüssel ist“, sagt Ischer, „dass alle sich jetzt in die gleiche Richtung bewegen.“

Die CEP-Ampel:

PRO: 

Arbeitsmarktnahe Ausbildungskonzepte erleichtern den Übergang von Ausbildung zu Beschäftigung, da bei Arbeitgebern zeit- und kostenintensive Einarbeitungen entfallen.

CONTRA: 

(1) Die reine Betrachtung der Jugendarbeitslosenquote überzeichnet das Problem erheblich.

(2) Subventionen für kleine und mittlere Unternehmen, die Jobs für Jugendliche schaffen, verzerren die Nachfrage zulasten der älteren Erwerbsfähigen.

(3) Die Jugendgarantie wird die Beschäftigungsquote Jugendlicher nicht nennenswert erhöhen. Denn Arbeitsplätze werden nicht durch staatliche Versprechungen, sondern von Unternehmen

geschaffen.

Das Centrum für Europäische Politik (CEP) analysiert regelmäßig Brüsseler Gesetzesvorhaben. Zur Bewertung dient eine Ampel: „Rot“ steht für Gesetze und Vorschläge, die aus Sicht des CEP schlecht sind, „Grün“ für sinnvolle Vorhaben, „Gelb“ für verbesserungswürdig.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 19. August 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie jeweils bereits am Montagabend im E-Paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

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