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Die Sonne geht hinter Containerbrücken und Hafenkränen im Hamburger Hafen unter.

© dpa/Christian Charisius

„Die stärkeren Schultern müssen mehr tragen“: Das waren die wichtigsten Aussagen des Expertentalks zur Wirtschaftskrise

Was muss die Politik gegen die Konjunkturflaute tun? Das diskutierten die Tagesspiegel-Experten beim heutigen „High Noon“-Talk. Große Einigkeit gab es vor allem bei einem Thema: dem Umgang mit der Schuldenbremse.

Stand:

Angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise in Deutschland haben Ökonomen im Tagesspiegel-Expertentalk „High Noon“ über dringend nötige Gegenmaßnahmen nach der Bundestagswahl diskutiert.

Es ging um die größten Baustellen der deutschen Wirtschaft - etwa den ökologischen Umbau, notwendige Investitionen in die Infrastruktur, die schleppende Digitalisierung, die ausufernde Bürokratie und die Frage, wie eine erfolgreiche Wirtschaftswende finanziert werden sollte. Das waren die Kernaussagen der Diskussionsteilnehmenden:

Claudia Kemfert: Ökologische Wende kaum Thema im Wahlkampf

Die Ökonomin Claudia Kemfert bezeichnete es als „hoch problematisch“, dass die ökologische Wende im Bundestagswahlkampf kaum eine Rolle spielt. „Ich halte es für grundfalsch, dass die Parteien darüber nicht diskutieren. So modernisieren wir uns nicht und wir verschlafen das grüne Wirtschaftsfeld, das aber die Zukunft ist“, sagte Kemfert, die am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt leitet und Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität in Lüneburg ist.

Sie kritisierte, dass im Wahlkampf andere Themen dominierten. „Es werden Alibi- und Gespensterdebatten geführt. Das ist typisch Wahlkampf“, so Kemfert. Die Parteien der Mitte „springen über die Stöckchen der extremen Rechten“. Doch die Wirtschaft nicht zu transformieren, koste Deutschland Wohlstand.

Sie betonte außerdem, dass Klimaschutz anders als oft von rechts dargestellt enorme wirtschaftliche Vorteile biete. Man habe nun die Chance, die Rahmenbedingungen so anzupassen, dass abgewanderte Unternehmen nach Deutschland zurückkehren, sagte sie mit Blick auf jene Firmen, die sich durch den von Ex-US-Präsident Joe Biden initiierten „Inflation Reduction Act“ in die USA orientiert haben.

In Deutschland ist die Atomenergie Geschichte und man sollte sie jetzt auch mal abhaken.

Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität in Lüneburg

Die anhaltende Debatte über eine weitere Nutzung von Atomenergie betrachtet sie mit Argwohn. „Die Studien zeigen sehr deutlich: Weltweit geht der Anteil von Atomenergie zurück.“ Es dauere mittlerweile Jahrzehnte, bis ein Kernkraftwerk gebaut ist und es müsse zudem vonseiten des Staates massiv subventioniert werden. „In Deutschland ist die Atomenergie Geschichte und man sollte sie jetzt auch mal abhaken.“

Jakob Hafele: Nicht mehr nur auf Wirtschaftswachstum schauen

Der Ökonom Jakob Hafele plädierte dafür, nicht mehr primär nur auf Wirtschaftswachstum zu schauen. Anders als in den vergangenen Jahrhunderten „geht es weniger darum, den Kuchen größer zu machen, sondern darum, ihn fairer zu verteilen“, sagte der Geschäftsführer und Chefökonom des ZOE-Instituts für zukunftsfähige Ökonomien. Er kritisierte die seit den 90er Jahren eskalierende Ungleichheit, die ein Nährboden für die AfD sei. Extremer Reichtum nehme immer weiter zu. Man könne in den USA sehen, wo das hinführt, wenn man das immer weiterlaufen lasse.

„In so einer Situation funktioniert das deutsche Wirtschaftsmodell nicht mehr. Jetzt brauchen wir eine große Veränderung und die kostet nun mal viel Geld“, sagte Hafele. „Die stärkeren Schultern müssen mehr davon tragen.“ Das sei historisch immer so gewesen. Deshalb befürwortet er eine Milliardärssteuer, wie sie Parteien des linken Spektrums wollen.

Die künftige Regierung kann zwar weiter versuchen, Geld an der Schuldenbremse vorbeizuschummeln, aber ich finde, man sollte sich da ehrlich machen und sie auf Dauer reformieren.

 Jakob Hafele, Chefökonom des ZOE-Instituts für zukunftsfähige Ökonomien

„Die künftige Regierung kann zwar weiter versuchen, Geld an der Schuldenbremse vorbeizuschummeln, aber ich finde, man sollte sich da ehrlich machen und sie auf Dauer reformieren“, sagte er. Immerhin seien 400 bis 800 Milliarden Euro nötig, um die Wirtschaft zu modernisieren.

Mit Blick auf Bürokratieabbau sagte er: „Ich hasse ja Bürokratie. Wir sollten an vielen Stellen Bürokratie abbauen.“ Einiges habe die Ampel in dem Bereich getan. „Nur häufig wird Bürokratieabbau für alles Mögliche verwendet.“ Dann gehe es weniger um die Vereinfachung von Prozessen, als vielmehr mehr darum, Klimaziele abzubauen oder soziale Standards zu verschlechtern. „Das darf nicht passieren“, warnte er.

Christian Traxler: Generöse Steuerentlastungen der falsche Weg

Christian Traxler, Professor of Economics an der Hertie School in Berlin, hält es für nötig, sich stärker auf den deutschen und europäischen Binnenmarkt zu konzentrieren. Denn das Erfolgsmodell als Exportweltmeister werde für Deutschland angesichts der geopolitischen Lage in den nächsten vier, fünf Jahren nicht zurückkommen. Aus seiner Sicht ist Wirtschaftswachstum weiter notwendig, wenn man erfolgreich sein wolle.

Traxler sprach sich dafür aus, den Konsum wiederzubeleben .„Es braucht Konsumenten, die bereit sind, in die Zukunft zu investieren“, sagte er. Das Paradoxe: „Wir sehen in sehr vielen Umfragen, dass sich viele Menschen im eigenen Wirtschaftsumfeld sehr gut fühlen.“ Zugleich blickten sie aber pessimistisch auf die gesamte Wirtschaftslage. „Die Stimmung muss sich ändern“, sagte er.

Es braucht Konsumenten, die bereit sind, in die Zukunft zu investieren.

Christian Traxler, Professor of Economics an der Hertie School

Auch er hält die Schuldenbremse für ein Problem, da Deutschland dringend in Infrastruktur wie Bahnnetze und Schulen sowie die Verteidigung investieren müsse.

Eine generöse Einkommensteuer- oder Unternehmensteuerentlastung lehnt er ab. „Empirisch kann man sagen, dass generöse Einkommensteuereinschnitte sehr selten bis gar nicht zu Wirtschaftswachstum geführt haben“, sagte er. Und: „Der Spielraum für sehr generöse Steuerentlastungen ist sehr, sehr limitiert, unabhängig von einer Reform der Schuldenbremse.“

Er wünscht sich „mehr Mut zur Innovation“. Es sei nun wichtig, „Optimismus zu kreieren, Innovationen und Investitionen zu stemmen und auf eine vernünftige fiskalische Basis zu stellen“.

Christian Tretbar: Klima schaffen, das Innovationen stärker ermöglicht

Der Chefredakteur des Tagesspiegels, Christian Tretbar, befürwortet ebenfalls eine Reform der Schuldenbremse. „Der Staat muss in einer geopolitischen Lage wie dieser handlungsfähig sein und darf nicht aus einer Ideologie heraus sich Optionen nehmen.“

Er attestierte den Grünen und deren Kanzlerkandidat Robert Habeck „Versagen“, weil sie aus Klimaschutz und einer ökologischen Wirtschaftswende kein „positives Zukunftsthema“ gemacht hätten. Stattdessen sei das Thema nun angstbesetzt und auf das Heizungsgesetz reduziert. Wirtschaft und Klimaschutz zu vereinen, sei ein guter Grundgedanke. Aber Habeck habe das als Wirtschaftsminister nicht ins Ziel gebracht. „Er hatte eine gute Vision, aber die praktische Umsetzung ist nicht sein Steckenpferd.“

Viele Menschen haben das Gefühl, das ist nicht nur eine Konjunkturdelle. Das ist eine wahnsinnige Verschiebung

Christian Tretbar, Chefredakteur des Tagesspiegels

„Viele Menschen haben das Gefühl, das ist nicht nur eine Konjunkturdelle. Das ist eine wahnsinnige Verschiebung“, sagte er im Hinblick auf die Wirtschaftsflaute. Und es gebe gerade angesichts der Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump, die zulasten deutschen Stahls und deutscher Autos gehen dürfte, ein Bedürfnis nach Antworten.

Auf die Frage, ob Medien mitverantwortlich seien für die schlechte Stimmung, sagte er: „Wir Medien sind Teil einer Atmosphäre, Stimmungslage – das ist total klar. Unsere ureigenste Aufgabe ist es, Probleme und Missstände, die da sind, aufzudecken und anzusprechen“, so Tretbar. Dabei müsse man aber schauen, welche Tonalität man anschlage und wie man Ideen transportiere. Es dürfe nicht nur gezeigt werden, welche Dinge schlecht laufen, sondern man müsse auch Menschen präsentieren, die sich Gedanken machten über Lösungsansätze.

Bürokratie und Digitalisierung hängen aus seiner Sicht zusammen. „Man kann Bürokratie für Unternehmen und für den einfachen Bürger einfacher machen“, sagte er mit Blick auf Bürgerämter, Schulen oder das Gesundheitswesen. Der Staat müsse dafür sorgen, dass man sich bestimmte Wege sparen könne. Das beeinflusse auch die Stimmung. „Wollen wir als innovativer Staatsdienstleister auftreten, oder nicht?“ Deutschland müsse ein Klima schaffen, in dem Innovationen stärker gefördert werden. Beispielhaft nannte er Trump, der kürzlich angekündigt hatte, 500 Milliarden Dollar in ein KI-Programm zu investieren. „Das sind Dimensionen, die können wir uns hier gar nicht vorstellen.“

Anlass des Tagesspiegel-Expertentalks „High Noon“ war die anhaltende Flaute der deutschen Wirtschaft und die Frage, wie die Parteien dagegen vorgehen wollen. Die eingeladenen Wirtschaftsexperten sollten analysieren, welche Maßnahmen aus ihrer Sicht dringend geboten sind. Moderiert hat den Expertentalk Anja Wehler-Schöck, Mitglied der Chefredaktion des Tagesspiegels.

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