zum Hauptinhalt
Ein bisschen Normalität statt Bombenhagel und Artilleriefeuer - ein syrischer Junge radelt entlang zerstörter Straßen in Duma, einem Vorort von Damaskus.

© Abd Doumany/AFP

Waffenruhe im Krieg: Eine Atempause für Syrien

Die von Russland und der Türkei ausgehandelte Waffenruhe für Syrien scheint vorerst zu halten. Gibt es jetzt Hoffnung auf ein Ende des Konflikts? Eine Analyse.

Seit fast sechs Jahren wird in Syrien gekämpft, gelitten und gestorben. Schätzungsweise 500.000 Menschen sind bisher ums Leben gekommen, Millionen haben ihre Heimat verloren. Unzählige Verhandlungsrunden gab es seit 2011, um Not, Gewalt und den Krieg zu beenden. Doch alle Vermittlungsversuche – zumeist durch die Vereinten Nationen und die USA – scheiterten. Waffenruhen wurden verkündet und gleich wieder gebrochen. Frust statt Frieden. Ändert sich nun alles? Bringt der Deal zwischen Russlands Staatschef Wladimir Putin und seinem Kollegen Recep Tayyip Erdogan die ersehnte Wende?

Wie ist die Ausgangslage?

Die ausgehandelte Feuerpause scheint zumindest vorerst weitgehend zu halten. Von vereinzelten Gefechten abgesehen. Für die geschundenen Menschen ist das ein Hoffnungsschimmer. Ihnen dürfte herzlich egal sein, welche Deals und weltpolitische Konstellationen dazu führen, dass das Blutvergießen endlich endet.
Nur: Mögen Moskau und Ankara auch als selbstbewusste Garantiemächte auftreten – die neuen Partner müssen sich mit den alten Problemen herumschlagen. Als größtes Hindernis für eine stabile und damit dauerhafte Waffenruhe gilt die Frage: Wer ist ein Terrorist? Denn dies Gruppen sind von der Feuerpause ausgenommen. Russland und der Türkei zufolge fallen darunter der „Islamische Staat“ (IS) und Al Qaida nahe Dschihadistengruppen wie die frühere Nusra-Front. Das ist Konsens.

Bei den von Ankara unterstützten, von Moskau allerdings bekämpften „moderaten“ islamistischen Rebellen wird das schon deutlich schwieriger. Noch komplizierter dürfte der Umgang mit den syrischen Kurden werden. Als schlagkräftige Gegner des IS werden sie im Kreml und im Weißen Haus geschätzt. Doch Erdogan fürchtet kaum etwas mehr, als eine starke kurdische Front in Nordsyrien, also an der Grenze zur Türkei. Dann sind da noch die vielen anderen Regionalmächte wie Saudi-Arabien und der Iran mit ihren völlig unterschiedlichen Interessen. Und: Syriens Machthaber Baschar al Assad sieht sich nach der für ihn erfolgreichen Schlacht um Aleppo wieder auf der Siegerstraße. Das Konfliktpotenzial ist damit so groß wie zuvor.

Welche Interessen verfolgt Russland?

Sollte die Waffenruhe tatsächlich halten, wäre das für Wladimir Putin ein großer Prestigeerfolg. Zum einen hätte der russische Präsident wieder einmal unter Beweis gestellt, dass ohne oder gar gegen ihn in Syrien und im ganzen Nahen Osten nichts geht. Er gibt vor, was wann passiert. Seit September 2015 ist das so. Damals griff Moskau massiv auf Seiten des Regimes in den Konflikt ein. Und rettete damit Assads politisches Überleben. Ein keineswegs uneigennütziges Vorgehen.

Denn für Putin steht weniger im Vordergrund, Assads Herrschaft zu sichern. Vielmehr geht es ihm um Machtgewinn in der Region. Und somit die Supermacht USA auszubooten. Allein, dass es dem Kreml gelungen ist, die Türkei als Garant der Waffenruhe in Syrien mit einzubinden, macht seine Stärke deutlich. Denn damit ist klar, dass Erdogan auch von seiner Forderung abrückt, sein Intimfeind Assad müsse gehen.

Dass Russland nun auf Friedensgespräche drängt – nachdem es monatelang Teile Syriens in Schutt und Asche gelegt hat– hat noch einen weiteren Grund: Der Krieg kostet Moskau enorm viel Geld. Auf Dauer ist der Feldzug nicht zu finanzieren. Vor allem nicht, wenn aus dem Konflikt ein Guerillakrieg wie in Afghanistan werden sollte.

Russlands Präsident Putin und sein türkischer Kollege Erdogan haben die Feuerpause ausgehandelt und wollen ihn auch durchsetzen.
Russlands Präsident Putin und sein türkischer Kollege Erdogan haben die Feuerpause ausgehandelt und wollen ihn auch durchsetzen.

© AFP

Worum geht es der Türkei?

Die Erdogan-Regierung hat sich von ihrem Ziel, Assad zu stürzen, stillschweigend verabschiedet und will türkische Interessen auf andere Weise wahren. An erster Stelle steht die Verhinderung des von Ankara als hochgefährlich betrachteten Expansionsstrebens der syrischen Kurden. Die Zusammenarbeit mit Moskau ist dabei von entscheidender Bedeutung: Ohne Zustimmung Russlands hätte Erdogan im August seine Truppen nicht nach Syrien schicken können, um die Kurden zu stoppen. Das macht die Türkei im gewissen Maß abhängig von Russland.

Das gilt ebenfalls für das zweite strategische Ziel: Erdogan will seinem Land einen Platz am Tisch sichern, wenn über die Zukunft des südlichen Nachbarn verhandelt wird. Dabei kommt es für die Türken auch darauf an, den Einfluss des schiitischen Iran so gut es geht zu begrenzen. Das Risiko für die Türkei besteht darin, dass sie durch die Kooperation mit Russland und durch die Zähmung sunnitischer Milizen in Syrien im Rahmen der Feuerpause am Ende ungewollt die iranische Rolle weiter stärken könnte.

Was plant Assad?

An seinem Ziel hält der syrische Präsident fest. Er will das ganze Land wieder unter seine Kontrolle bringen. Doch das dürfte ihm schwerfallen. Zwar ist die gewonnene, symbolträchtige Schlacht um Aleppo für ihn ein enormer Erfolg. Allerdings verdankt er den Sieg allein der russischen und iranischen Unterstützung. Auf sich gestellt wäre die Regierungsarmee nicht in der Lage gewesen, die Rebellen in die Knie zu zwingen.

Dennoch wird Assad wohl versuchen, weiter Krieg gegen seine Feinde zu führen. Systematisch hat das Regime deshalb Kämpfer und Zivilisten aus Aleppo in Gebiete abziehen lassen, die noch von Rebellen beherrscht werden. Mit anderen Worten: Assads Armee wird ihre Angriffe künftig auf die Region Idlib konzentrieren können. Dort befinden sich die meisten der feindlichen Kämpfer. Unter ihnen sind auch viele Mitglieder islamistischer Brigaden, die von der Waffenruhe als Terrorgruppen ausgenommen sind. Das könnte Assad einen willkommenen Vorwand geben, gegen jede Art Opposition vorzugehen. Vielleicht sogar noch massiver als in Aleppo.

Wie stark sind die Aufständischen?

So schwach wie selten zuvor, politisch wie militärisch. Dass die Oppositionsgruppen ihre einstige Hochburg Aleppo aufgeben mussten, ist für sie eine herbe Niederlage. Ihr Einfluss beschränkt sich geografisch inzwischen auf die Region Idlib und einige Gebiete im Süden des Landes. Dort stehen noch einige zehntausend Kämpfer unter Waffen. Die meisten von ihnen gehören islamistischen Milizen an. Sie sehen sich als Vertreter der Interessen der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit.

Die moderate Freie Syrische Armee besitzt dagegen kaum noch nennenswerten Einfluss. Bei möglichen Verhandlungen mit dem Regime werden die Assad-Gegner wenig in die Waagschale zu werfen haben. Hinzu kommt: In vielen Fragen sind sich die Aufständischen uneins. Konsens herrscht allein bei Assad: Syriens Zukunft ist nur ohne den Autokraten vorstellbar.

Wie wird die Syrien-Politik der USA unter Donald Trump aussehen?

Der designierte US-Präsident sieht den Syrien-Konflikt bisher fast ausschließlich durch die Brille des Kampfes gegen den IS. Trump hat seinen Anhängern versprochen, die Dschihadisten gleich zu Beginn seiner Amtszeit schnell und vernichtend zu schlagen. Dabei will er mit Russland zusammenarbeiten. Die Frage nach der Zukunft Assads ist für ihn zweitrangig. Allerdings ist unklar, ob ein Präsident Trump wirklich so handeln kann, wie es der Wahlkämpfer Trump versprochen hat.

Das gilt erstens für den Kampf gegen den IS. Trump hat bisher die Frage nicht beantwortet, wie er die Auseinandersetzung gegen die Miliz forcieren will, ohne das US-Militärengagement über das derzeitige Maß an Luftangriffen hinaus zu verstärken. Ein Einsatz von US-Bodentruppen wäre angesichts der Kriegsmüdigkeit der Amerikaner innenpolitisch heikel. Zweitens wird Trump gerade wegen der nach den mutmaßlichen russischen Cyberangriffen auf die USA wieder verstärkten amerikanisch-russischen Rivalität unter Druck geraten, Syrien nicht einfach dem Kreml zu überlassen.

Welche Rolle spielen die UN noch?

Eine sehr geringe. Nach der gemeinsamen türkisch-russischen Ankündigung einer Waffenruhe blieb der Weltorganisation lediglich, den Vorstoß pflichtschuldig zu begrüßen. Es sei zu hoffen, dass die Vereinbarung das Leben von Zivilisten schone, die Versorgung der Bevölkerung mit Hilfsgütern erleichtere und eine gute Grundlage für die kommenden Gespräche zwischen Regierung und Opposition sei, teilte Syrien-Vermittler Staffan de Mistura mit.

Die diplomatischen Worte können kaum kaschieren, dass den UN bei dem Abkommen für eine Feuerpause bestenfalls eine Statistenrolle blieb. Moskau, Ankara und Teheran wollen die Waffenruhe garantieren – von den Vereinten Nationen ist keine Rede. Das zeigt, wie hilflos die UN tatsächlich sind. De Mistura hat zwar mit viel Engagement versucht, die Gewalt wenigstens zu begrenzen. Doch letztendlich ohne greifbaren Erfolg. Vor allem das syrische Regime und das mit ihm verbündete Russland haben den Diplomaten regelmäßig auflaufen lassen. Nun machen beide gemeinsame Sache. An den UN vorbei.

Zur Startseite