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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (r), CDU-Bundesvorsitzender im Bundestag.

© dpa/Michael Kappeler

Eine neue „große“ Koalition?: Die Angst der SPD vor einem Kanzler Merz

Die SPD steht vor einer Schlappe. Um eine Kanzlermehrheit zu bekommen, dürfte die Union die Sozialdemokraten umwerben. Doch in der SPD ist die Distanz zu Merz größer denn je.

Stand:

Kurz vor der Wahl hat die SPD noch Franz Müntefering eingespannt, ihren einstigen Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Müntefering wettert in einem Video gegen Friedrich Merz, der „sich auf die Seite der Gutbetuchten stellt“.

Helmut Kohl, Kanzler von 1982 bis 1998, habe Merz, der ab 1994 im Bundestag saß, nicht in sein Kabinett geholt, „weil er ihn nicht haben wollte“. Gleiches habe für Angela Merkel gegolten, sagt Müntefering, einst Merkels Stellvertreter.

Über Merz’ Nebentätigkeiten als Abgeordneter vor vielen, vielen Jahren lässt sich Müntefering ebenfalls ein, sagt nebulös: „Da hat sich das Finanzamt eingeschaltet.“ Das klingt fast so, als wolle Müntefering Merz, unbelegt, als Steuerhinterzieher darstellen.

31.01.2025

Schon vor seiner Nominierung zum Unions-Kanzlerkandidaten hat die SPD Merz attackiert, als sozial kalten Millionär zu verunglimpfen versucht. Es folgte der Versuch, Merz als Trump-Fan zu inszenieren.

Betrachtet man die Zustimmung zu Union und SPD gut zwei Wochen vor der Bundestagswahl, hat die Anti-Merz-Kampagne der SPD bisher nicht recht verfangen.

Doch was ist, sollten Merz und die SPD schon bald zusammenarbeiten müssen? Die Wählerinnen und Wähler aber könnten den Parteien am 23. Februar Mehrheitsverhältnisse bescheren, in denen ein Bündnis aus Union und SPD als einzige mathematische - und politische - Koalition übrig bleibt. In der Union gibt es massive Vorbehalte gegenüber den Grünen.

In der SPD war die Distanz zu Merz schon groß vor dessen umstrittener Entscheidung, im Bundestag Anträge zu stellen und dabei die Zustimmung der AfD in Kauf zu nehmen.

Merz stehe gegen alles, wofür er selbst stehe, sagte ein SPD-Abgeordneter schon vor Wochen. Bereits Mitte Januar prognostizierte Karl-Heinz Mühe, einst langjähriger Geschäftsführer des SPD-Bezirks Braunschweig: „Die Lage nach der Wahl wird hoch kompliziert.“

Nach einer Wahlniederlage und dem Verlust der Kanzlerschaft von Olaf Scholz werde die Mehrheit der SPD keine Koalition mit Merz bilden wollen, sagte Mühe - schon vor Wortbruch des CDU-Chefs, keine zufälligen Mehrheiten mit der AfD zu bilden. „Die CDU“, sagte Mühe dem Tagesspiegel, „muss uns Angebote machen, die wir Sozialdemokraten gar nicht ablehnen können.“

Ob aber etwa eine Reform der Schuldenbremse und ein Mindestlohn von 15 Euro, zwei Wahlkampfschlager der SPD, dazu ausreichen, die SPD für Koalitionsverhandlungen zu gewinnen, ist fraglich.

Schon als die SPD 2017 mit 20,5 Prozent ihr historisches Wahldebakel einfuhr, schloss der damalige SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz noch am Wahlabend den Eintritt in eine große Koalition aus.

Am Tag darauf verstieg sich Schulz auf eine Reporterfrage zu der Aussage: „In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nie eintreten.“ Erst als die Jamaika-Verhandlungen gescheitert waren, drehte die SPD bei, bildete schließlich 2018 mit der Union eine Regierung.

Damals ging es um ein Regieren mit Angela Merkel, mit der die SPD bereits acht Jahre lang regiert hatte und die in der SPD hohe Sympathien genoss. SPD-Chef Sigmar Gabriel etwa nannte sich selbst den „Vorsitzenden des sozialdemokratischen Fanclubs von Angela Merkel“.

So etwas wird man von SPD-Chef Lars Klingbeil über Merz eher nicht hören; das Verhältnis der beiden Männer zueinander gilt als distanziert.

Seit dem Wortbruch des CDU-Chefs ist auch das lange durchaus belastbare Verhältnis zwischen Merz und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich („Sündenfall“, „Tor zur Hölle“) zerrüttet. Die vergangene Woche im Bundestag hat mehr als nur Blessuren hinterlassen.

Bisher hat kein SPD-Bundestagsabgeordneter ausgeschlossen, Merz zum Kanzler zu wählen. „Ich bekomme Würgereiz, wenn ich heute an eine große Koalition und Herrn Merz als Kanzler denke“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier dem Tagesspiegel. Doch eine Absage an eine solche Koalition vermied auch Breymaier, die freilich nicht mehr für das Parlament kandidiert.

Ich bekomme Würgereiz, wenn ich heute an eine große Koalition und Herrn Merz als Kanzler denke

 Leni Breymaier, SPD-Bundestagsabgeordnete

Doch nach der gemeinsamen Abstimmung der Union mit der AfD „kann sich niemand bei uns vorstellen“, sagt einer aus der SPD-Führung, dass wir einen Koalitionsvertrag verhandeln, in dem am Ende steht: Wir wählen Merz zum Bundeskanzler“. Das Agieren von Merz lasse einen „schockiert, ratlos“ zurück. Wie bitte solle eine gemeinsame Regierung funktionieren?

Die Attitüde von Merz’, Dinge „eins zu eins“, „am Tag Eins“ und ohne Verhandlungen durchsetzen zu wollen, verstören die Sozialdemokraten, die in 22 der letzten 26 Jahren im Bund regiert haben.

Sie sind die traditionelle Konsens-Kompromiss-Kultur gewohnt, wie Merkel und Olaf Scholz sie geprägt haben. Merz’ Masche, das Land wie ein Unternehmen führen zu wollen, im Zweifel „top-down“, kommt in dieser Sozialdemokratie gar nicht gut an.

Ich sehe keine Koalition mit Merz und uns.

ein führender Sozialdemokrat

Die ernsthafte, nicht Wahlkampf-propagandistisch gemünzte Befürchtung in der SPD ist, dass Merz, sollte man am Ende gemeinsam regieren, doch an dem einen oder anderen Punkt eine Mehrheit mit der AfD suchen könnte.

Was sei denn bitteschön, wenn ein Kanzler Merz eine Sachfrage durchsetzen wolle, dafür aber nicht die Zustimmung der SPD bekomme? „Dann sucht er sich doch eine Mehrheit mit der AfD“, befürchtet der Vertreter aus der SPD-Spitze.

Der SPD stehen harte Wochen, Monate, womöglich Jahre ins Haus. „Ich sehe keine Koalition mit Merz und uns“, sagt der führende Sozialdemokrat. Und die Bürger? 66 Prozent der Wähler erwarten, dass die SPD zur Bildung einer „großen“ Koalition mit Merz bereit ist, wie die Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF ermittelte.

Franz Müntefering, der in diesen Tagen gegen Merz wettert, prägte vor vielen Jahren den Satz: „Opposition ist Mist.“ Man hat diesen Satz in der SPD schon lange nicht mehr gehört.

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