zum Hauptinhalt
Kämpft gegen seine Abwahl: Bundeskanzler Olaf Scholz in der ZDF-Sendung „Klartext“ an diesem Donnerstag.

© REUTERS/Michael Kappeler

Eine Woche vor der Bundestagswahl: Scholz ist zum Herausforderer degradiert

Als Amtsinhaber sollte Bundeskanzler Olaf Scholz eigentlich über einen Vorteil im Wahlkampf verfügen. Doch diesen vermochte der Sozialdemokrat nicht zu nutzen.

Christian Tretbar
Ein Kommentar von Christian Tretbar

Stand:

Dieser Wahlkampf hat eine Konstante: die Umfragen. Es geht mal ein Prozentpunkt rauf oder runter, vielleicht auch mal zwei.

Aber im Großen und Ganzen bleiben die Werte für fast alle Parteien stabil, entweder auf ausreichend hohem Niveau wie bei der Union oder erschreckend niedrigem Level wie bei der SPD. Für einige, wie die FDP, wird es zusehends eng, überhaupt nochmal in den Deutschen Bundestag einzuziehen.

Und diese nicht vorhandene Dynamik in den Umfragen sorgt dagegen auf anderer Seite für ziemlich viel Bewegung: bei den Kandidaten. Denn die Vorzeichen haben sich mittlerweile längst umgekehrt.

Olaf Scholz, eigentlich Kanzler, Amtsinhaber, derjenige, der staatspolitische Ruhe ausstrahlen sollte, wirkt gehetzt, aufgekratzt. Positiv formuliert soll dies Handlungsfähigkeit, Agilität und auch eine gewisse Offensive ausstrahlen. Nur wirkt es zunehmend verzweifelt.

Auf der anderen Seite ist Friedrich Merz. Die Hoffnung der Sozialdemokraten war es, dass er stolpert, sich verbal verrennt und Fehler macht aus der puren Unerfahrenheit eines Wahlkämpfers heraus. Doch bisher ist nichts davon passiert.

Es gab einen kleinen Moment nach Aschaffenburg, als er mehr oder weniger Hals über Kopf erklärt hat, über seinen 5-Punkte-Plan im Parlament abstimmen zu lassen und ihm völlig egal sei, wer da zustimme. Da hatte er seine Partei noch nicht ausreichend mitgenommen, es wirkte wie aus einem Affekt. Vielleicht war es das auch. Aber zumindest konnten er und sein Team die Partei einfangen und den Plan durchziehen.

In der Wählergunst hat ihm das nicht geschadet. Die Union wächst, leicht nur, aber immerhin. Seitdem wirkt er etwas verwandelt. Seine Auftritte sind geprägt von Klarheit und Ruhe. Er lässt sich auch in einer Bürgerbefragung wie beim ZDF nicht aus der Fassung bringen, wen er dauernd unterbrochen wird.

Und er hat sich angewöhnt, mehr zu lachen. Vielleicht aus einer gewissen Siegessicherheit, vielleicht auch, weil ihm seine Berater erklärt haben, dass er zu oft verbissen dreinschaut. Dafür gibt es im Moment für Merz keinen Grund. Er hat immer noch keine überragenden Beliebtheitswerte, aber zumindest leicht ansteigende.

In diesem Setting treffen Scholz und Merz am Sonntag im nächsten TV-Wettkampf wieder aufeinander. Diesmal sind sie nicht allein, weil Alice Weidel (AfD) und Robert Habeck (Grüne) auch mit von der Partie sind (RTL, Sonntag, 20:15 Uhr). Und Scholz wird sich wieder rechtfertigen müssen, warum in München erneut ein abgelehnter Asylbewerber einen Anschlag verübt hat. Eine passende Antwort wird er nicht parat haben.

Dabei hatten sich in diesem Wahlkampf durchaus Chancen eröffnet für Scholz. Selbst beim Thema Migration. Doch statt selbst einen Plan vorzulegen, selbst in die Offensive zu kommen und die Union zu zwingen, im Parlament noch für veränderte Sicherheitspakete zu stimmen, wirkte er getrieben.

Ein echtes Politik-Angebot konnte er in Fragen der Sicherheit und Migration nicht machen. Einzig auf die eigenen Erfolge zu verweisen und vor dem Untergang der Demokratie zu warnen, verfängt bei potenziellen Grünen-Wählerinnen und Wählern, nicht aber bei potenziellen Wählerinnen und Wählern der SPD.

In der Wirtschaftspolitik ein ähnliches Bild. Zu viel eigene Nabelschau, zu viel Ich und viel zu wenig Angebot nach vorne. Scholz kommt da einfach nicht aus seiner eigenen Haut. Viele Menschen nehmen ihm die ja durchaus vorhandenen Erfolge seiner Kanzlerschaft nicht mehr ab.

Wenn man zu oft betont, wie großartig man selbst ist, dann kann das zwei Effekte haben: Entweder die Leute glauben das irgendwann oder sie sind nur genervt davon. Scholz hat da eher Pech mit der zweiten Variante.

Auch bei der nächsten großen Chance lässt der amtierende Kanzler zu viel liegen: Donald Trump. Es war klar, dass Trump diesen Wahlkampf gerade mit Blick auf den Krieg in der Ukraine beeinflussen wird. Doch statt als europäischer Macher und Motor aufzutreten und einen Plan zu haben, am besten geschmiedet im Schulterschluss mit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, steht Scholz mit leeren Händen da. Blamiert sogar, weil US-Vizepräsident JD Vance noch nicht einmal mehr mit ihm reden will.

Und so wirkt es eine Woche vor der Wahl, dass Scholz zum Herausforderer degradiert ist und Merz bereits wie ein Amtsinhaber agiert. Und das ist keine Folge der stagnierenden Umfrage. Das ist die Folge eines falsch aufgesetzten Wahlkampfs.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })