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Ukraine-Gespräche in Berlin: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird von Bundeskanzler Friedrich Merz zu Gesprächen im Kanzleramt empfangen.

© Imago/dts Nachrichtenagentur/Handout Bundesregierung/Guido Bergmann

Friedrich Merz und der Ukraine-Gipfel in Berlin: Vereint oder verstört der Kanzler die Europäer?

Es steht nicht weniger auf der Agenda als die Frage von Krieg und Frieden in Europa. Das Berliner Treffen macht Merz zum Antreiber der Gemeinschaft. Doch seine Europapolitik ist widersprüchlich.

Stand:

Schluss mit den innenpolitischen Spielereien! Jetzt geht es um alles! Um nicht weniger als die Zukunft eines demokratischen Deutschlands in einem freien Europa! Um Wohlstand und Frieden auf dem Kontinent. Das war die unmissverständlich vorgetragene Botschaft des Bundeskanzlers am Wochenende.

„Wir werden eines Tages nicht danach gefragt, ob wir die Haltelinie in der deutschen Rentenversicherung für ein Jahr weniger oder ein Jahr länger gehalten haben“, sagte der CDU-Chef auf dem CSU-Parteitag am Samstag in München mit Blick auf den wochenlangen Streit mit den Jungen in der Union.

Friedrich Merz rief dort das Ende der „Pax americana“ aus, nun müsse man selbst den „Erhalt von Freiheit und Frieden, einer offenen Gesellschaft, einer marktwirtschaftlichen Ordnung mitten in Europa“ organisieren.

Ein ernst zu nehmender Versuch ist der von Merz organisierte Ukraine-Gipfel mehrerer europäischer Staats- und Regierungschefs an diesem Montag. Mit den teilnehmenden Amerikanern und Ukrainern – angeführt werden die Delegationen von Donald Trumps Gesandten Steve Witkoff und Jared Kushner beziehungsweise dem Kiewer Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – haben sich der Kanzler und sein außenpolitischer Berater Günter Sautter bereits am Sonntag zu Vorgesprächen getroffen.

Den Ernst der Lage sehen die meisten Europäer

Nun, mögen manche Merz-Kritiker lästern, sei nach den vielen Ukraine-Gipfeln von Paris und London halt auch einmal Berlin an der Reihe. Außerdem lenke der CDU-Politiker nur zu gerne die Aufmerksamkeit weg von der für ihn so schwierig verlaufenen Rentendebatte hin zum Hauptthema des „Außenkanzlers“.

Am Ernst der Lage kann es freilich auch keine wirklich begründeten Zweifel geben. Der Kanzler bringt deshalb nicht nur das schon öfter zusammengekommene E3-Trio Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen, sondern hat auch Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Polens Premier Donald Tusk nach Berlin geladen.

Ein erfahrener EU-Veteran findet das richtig: „Wir sollten als Europäer verstanden haben, dass wir unter dem militärischen Druck Putins stehen und einem US-Präsidenten, der uns zivilisatorischen Abbau vorwirft“, sagt Jean Asselborn, Luxemburgs ehemaliger Langzeit-Außenminister. „Der einzig gangbare Weg, um uns zu behaupten, ist, zu zeigen, dass wir die Bezeichnung ,Union’ nicht aus unserem Namen gestrichen haben.“

Wir haben wieder einen Bundeskanzler, der sich genuin für die Außen- und Europapolitik interessiert, wie das bis auf Ludwig Erhard und Olaf Scholz immer der Fall war.

Ehemaliges Mitglied des Bundeskabinetts (CDU)

Kürzlich war der deutsche Regierungschef noch verspottet worden, weil die Unterhändler der Vereinigten Staaten die wichtigsten Fragen allein mit der russischen Seite zu besprechen schienen. „Sie sind nicht einmal mit im Spiel“, schrieb der vom Kreml mit US-Kontakten beauftragte Banker Kirill Dmitriev in den sozialen Medien in Richtung des Bundeskanzlers.

Gar keine Rolle – das war eine propagandistische Übertreibung. Dass er sie selbst für zu klein hält und die Amerikaner europäische Sicherheitsinteressen in der Ukraine bisher nicht ernst genug nehmen, hat Merz sogar schon öffentlich gesagt. Er will es ändern.

Lob für seine „Führungsstärke, die Europa so dringend braucht“, erhielt Merz aber auch schon in der Vorwoche vom früheren litauischen Chefdiplomaten Gabrielius Landsbergis, nachdem der Kanzler sich erneut dafür starkgemacht hatte, die in der EU eingefrorenen russischen Vermögenswerte der Ukraine zukommen zu lassen.

Ein früheres CDU-Kabinettsmitglied stellt fest: „Wir haben wieder einen Bundeskanzler, der sich genuin für die Außen- und Europapolitik interessiert, wie das bis auf Ludwig Erhard und Olaf Scholz immer der Fall war.“ Trotzdem sieht er aber auch den Europapolitiker Friedrich Merz zwiespältig – unter anderem wegen des radikalen Kurswechsels bezüglich der Moskauer Milliarden.

Die Ukraine braucht zum zweiten Quartal nächsten Jahres frisches Geld, um ihren Abwehrkampf gegen Russlands Angriffskrieg weiterführen zu können und in eine bessere Verhandlungsposition zu kommen. Weil die USA unter Präsident Trump die materielle Unterstützung eingestellt haben, hängt sie fast ganz an den Europäern.

Eine der zwei von der EU-Kommission vorgeschlagenen Optionen schließt Merz’ Regierung aber kategorisch aus: Gemeinschaftsschulden, Eurobonds also. Dafür wischt Merz nun eigene Bedenken von früher, die manche EU-Partner von heute noch teilen, locker beiseite: Dass nämlich Investoren aus eher autoritären Staaten der Eurozone den Rücken kehren könnten, wenn dort Einlagen anderweitig verwendet werden.

Eine fragwürdige Aussage hallt nach

Das größte europäische Fragezeichen hinter Merz rührt aber von einer Aussage in der vergangenen Woche her. Ausgerechnet der ehemalige Europaabgeordnete, der bei Aufenthalten in Brüssel gerne seine Rückkehr zu den Wurzeln betont, ließ die dortigen EU-Institutionen am Rande eines Auftritts in Mainz ziemlich im Regen stehen.

„Ihr braucht auf der Welt auch Partner“, so Merz, lautete stets sein Rat an die Amerikaner, die gerade ihre neue Sicherheitsstrategie veröffentlicht hatten: „Einer der Partner kann Europa sein. Und wenn ihr mit Europa nichts anfangen könnt, dann macht wenigstens Deutschland zu eurem Partner.“

Auch anschließende Erklärungsversuche, wonach alle EU-Staaten einzeln Ansprechpartner für Washington sein könnten, weil im Bundesstaat USA das weltweit einzigartige EU-Konzept eines nur etwas weniger verzahnten Staatenbundes immer weniger verstanden werde, machten die Sache nicht viel besser.

Der Koalitionspartner SPD war mehr als irritiert, auch wenn die Kritik vor allem hinter vorgehaltener Hand geäußert wurde. Vor allem aber die Grünen, die den Kanzler bis dato als deutlich europafreundlicher eingeschätzt hatten als den der eigenen Ampelregierung zuvor, sparen öffentlich nicht damit.

Friedrich Merz taumelt auf der internationalen Bühne zwischen nationalen Alleingängen und europäischem Anspruch.

Franziska Brantner, Grünen-Vorsitzende

„Merz taumelt auf der internationalen Bühne zwischen nationalen Alleingängen und europäischem Anspruch“, sagt Parteichefin Franziska Brantner dem Tagesspiegel: „Erst bietet er Deutschland den USA als Ersatzlösung an, wenn die USA mit Europa nichts mehr anfangen können, nur um sich kurz darauf als Gastgeber eines europäischen Gipfels zu inszenieren. Das ist kein strategischer Kurs, sondern politisches Zickzack.“

Diese Merz-Sätze müssen nicht nur die europäischen Organe in Brüssel nachdenklich zurückgelassen haben, sondern auch die Regierungen in Paris und London. Eine deutsche Sonderbeziehung zu den USA träte dann in direkte Konkurrenz zur „special relationship“ Großbritanniens. Nicht zuletzt in Trumps erster Amtszeit hatte Frankreich über Präsident Macron nach außen eine persönlich gute Beziehung zelebriert.

Neue deutsch-französische Stolperfallen

Was das deutsch-französische Verhältnis anbelangt, das Merz nach Scholz zu reparieren versprochen hat, kommen noch heikle Punkte hinzu. So nahm die Zolleinigung mit den Amerikanern aus dem Sommer vor allem Rücksicht auf die deutsche Autoindustrie, weniger auf die französische Agrarwirtschaft. Nun will man nächste Woche vielleicht auch beim verteidigungspolitischen Zukunftsprojekt FCAS getrennte Wege gehen.

Jede nationale Initiative, losgelöst vom Gemeinschaftsgedanken in der EU, ist weder wünschenswert noch zielführend – vor allem nicht vom stärksten EU-Mitgliedstaat.

Jean Asselborn, früherer Außenminister Luxemburgs

Gerade aus Sicht kleinerer Mitgliedstaaten sind das alles problematische Entwicklungen: „Jede nationale Initiative, losgelöst vom Gemeinschaftsgedanken in der EU, ist weder wünschenswert noch zielführend“, sagt der Luxemburger Asselborn dem Tagesspiegel, „vor allem nicht vom stärksten EU-Mitgliedstaat.“ Auch die Grünen-Chefin fordert mehr statt weniger Integration von Merz: „In dieser geopolitischen Lage braucht es Mut und Willenskraft, die nächsten Schritte der europäischen Einigung entschlossen voranzubringen.“

Die europapolitischen Widersprüche sind greifbar. Eingelöst hat er den eigenen Anspruch zum Beispiel in der Nahostpolitik, die er und sein Außenminister Johann Wadephul näher am europäischen Mainstream betreiben – auch durch das teilweise Waffenembargo gegen Israel im Sommer. Stark national motiviert war dagegen Merz’ neues Grenzregime für weniger Migration und zuletzt der Kampf für das Aus vom Verbrenner-Aus.

„Ich nehme dem Kanzler ab, dass er ein überzeugter Europäer ist. Er zeigt das aber in seinem politischen Handeln längst nicht so eindeutig wie beim Ukraine-Gipfel“, sagt der frühere Minister aus der eigenen Partei.

Als „Mutter aller problematischen Aussagen“ bezeichnet er eine aus dem US-Wahlkampf 2020.  „Trump und ich würden uns schon einig“, sagte Merz damals noch ohne jede politische Funktion. Der Christdemokrat, der nicht zitiert werden will, bedauert, dass das europäische „Wir“ auch damals fehlte.

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