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Nach der Wahl Juniorpartner der Union?: SPD-Politiker fordern Mitgliedervotum
In der SPD wird der Ruf laut, die Mitglieder über einen möglichen Koalitionsvertrag abstimmen zu lassen. „Die Seele der SPD kocht“ heißt es mit Blick auf Merz.
Stand:
Mehrere SPD-Politiker fordern mit Blick auf die mögliche Bildung einer Koalition mit der CDU/CSU nach der Bundestagswahl ein Vetorecht der SPD-Mitgliedschaft. „Die SPD tritt nur in eine Koalition ein, wenn ihre Mitglieder das mehrheitlich befürworten“, sagte Sachsen-Anhalts SPD-Vorsitzende Juliane Kleemann dem Tagesspiegel: „Ein Koalitionsvertrag muss allen SPD-Mitgliedern zu Prüfung und Abstimmung vorgelegt werden. Das schreibt unsere Satzung so vor.“
Mit Blick auf den Unions-Kanzlerkandidaten warnte Kleemann: „Friedrich Merz polarisiert - das wird unsere Leute in einer möglichen Koalitionsfrage stark beschäftigen!“
Friedrich Merz polarisiert - das wird unsere Leute in einer möglichen Koalitionsfrage stark beschäftigen!
Juliane Kleemann, Vorsitzende der SPD Sachsen-Anhalt
Unterstützung für ein sogenanntes Mitgliedervotum gibt es in unterschiedlichen Strömungen der Sozialdemokratie. So verlangten die Sprecherin des pragmatischen Netzwerks in der SPD-Bundestagsfraktion, Dorothee Martin, und der Sprecher des linken Flügels in der SPD, Erik von Malottki, ein Mitgliedervotum nach möglichen Koalitionsverhandlungen.
„Sollte die SPD eine Regierungsbeteiligung anstreben, müssen die Mitglieder bei einer Entscheidung solcher Tragweite in jedem Fall beteiligt werden“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Martin dem Tagesspiegel. Im Vordergrund stehe, bei der Wahl am Sonntag „ein starkes Ergebnis für die SPD zu holen“. Dies sei „die Grundlage, auf der überhaupt über mögliche Koalitionen gesprochen werden kann“.
Es sollte natürlich einen Mitgliederentscheid im Falle einer angestrebten Koalition geben.
Erik von Malottki, Sprecher des linken Flügels in der SPD
Der SPD-Bundestagsabgeordnete von Malottki sagte dem Tagesspiegel: „Es sollte natürlich einen Mitgliederentscheid im Falle einer angestrebten Koalition geben. Eine Beteiligung der Mitglieder ist ein wichtiges Mittel der demokratischen Mitbestimmung für unsere Mitglieder und mittlerweile gute und wichtige Tradition.“
2018 stimmten 66 Prozent der SPD-Mitglieder für ein Regieren mit Merkel
Die SPD hatte ihre Mitglieder 2013 und 2018 über die Koalitionsverträge mit der CDU/CSU unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abstimmen lassen. Im Jahre 2013 stimmten 76 Prozent der SPD-Mitglieder zu, 2018 waren es 66 Prozent.
Das sogenannte Mitgliedervotum ist im SPD-Organisationsstatut verankert. Dort heißt es: „Ein Mitgliedervotum findet statt, wenn es der Parteivorstand mit 3/4-Mehrheit beschließt. Das Mitgliedervotum muss einen konkreten Entscheidungsvorschlag enthalten und mit Gründen versehen sein.“
Sorge vor historischem Wahldebakel
In SPD-Kreisen gilt die Bildung einer „großen“ Koalition mit der CDU/CSU nach der Bundestagswahl als politischer Drahtseilakt mit ungewissem Ausgang. Führende SPD-Politiker rechnen am Sonntag mit einem historisch schlechten Wahlergebnis.
Das bisher schlechteste SPD-Bundestagswahlergebnis von 20,5 Prozent hatte 2017 Kanzlerkandidat Martin Schulz erzielt. In führenden SPD-Kreisen wird mit einem Ergebnis von unter 20 Prozent, womöglich unter 18 Prozent gerechnet. Eine weitere Amtszeit von Kanzler Olaf Scholz (SPD) gilt in SPD-Führungskreisen als extrem unwahrscheinlich.
„Die Seele der SPD kocht“
Selbst im Falle einer parlamentarischen Mehrheit von CDU/CSU und SPD im künftigen Bundestag seien erfolgreiche Koalitionsverhandlungen alles andere als sicher, heißt es in SPD-Führungskreisen. CDU-Chef Merz galt vielen Sozialdemokraten schon vor seinem umstrittenen Manöver Ende Januar im Bundestag, bei dem er die Stimmen der AfD in Kauf nahm, als potenziell komplizierter Partner. Die Abstimmungen von Union, FDP und AfD haben selbst unter pragmatischen Sozialdemokraten das Misstrauen gegenüber Merz erhöht.
„Ich bekomme Würgereiz, wenn ich heute an eine große Koalition und Herrn Merz als Kanzler denke“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier kürzlich. „Die Seele der SPD kocht“, sagt einer aus der SPD-Spitze. „Merz muss uns mehr geben als einst Merkel“, heißt es in der SPD: „Die Fallstricke einer schwarz-roten Regierung sind groß.“
Über die einstige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) waren einige in der SPD verärgert, weil sie sozialdemokratische Themen besetzte und sich mit dieser Politik schmückte. Eine gewisse menschliche Sympathie aber war Merkel meistens sicher. Der einstige SPD-Chef Sigmar Gabriel, Erfinder des SPD-Mitgliedervotums, nannte sich einmal den „Vorsitzenden des sozialdemokratischen Angela-Merkel-Fanclubs“.
Eine trübe emotionale Verfassung der SPD
Ein Merz-Fanclub ist bei der SPD bisher nicht gegründet worden. Führende Köpfe in der SPD aber ahnen, dass man sich nach der Wahl vermutlich mit Merz zusammenraufen müsse. Vieles hänge vom Wahlergebnis, genauer gesagt, den Proportionen zwischen Union und SPD ab. Verhandlungen mit einer CDU/CSU bei 30 Prozent und eigenen 18 Prozent gelten in der SPD als aussichtsreicher, als eine noch größere Unwucht. Die emotionale Verfassung der SPD dürfte in jedem Fall, mit dem vermutlich erwarteten Verlust des Kanzleramtes, eingetrübt sein.
Für das Szenario, wonach Union und SPD eine gemeinsame Mehrheit im Bundestag verfehlen, fehlt führenden Sozialdemokraten jede Fantasie. Erste Personalentscheidungen könnten in der SPD bereits in der Nacht auf Montag fallen.
Anders als zum Wahltag 2021 empfahl die SPD-Spitze allen führenden Köpfe der Partei in Bund und Länder, sich bereits am Sonntag bis zum späten Nachmittag im Willy-Brandt-Haus einzufinden. Einige Weichen für die nähere Zukunft dürften nicht erst bei der ordentlichen Sitzung der Parteigremien am Montag gestellt werden.
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