
© dpa/Kay Nietfeld
Kampf um SPD-Kanzlerkandidatur: Für Olaf Scholz wird es immer enger
Die Vorsitzenden der mächtigen NRW-SPD-Abgeordneten im Bundestag berichten von „viel Zuspruch“ für Boris Pistorius in den Wahlkreisen. Scholz befindet sich derweil auf einem Umfrage-Tief.
Stand:
Wenn sich die Vorsitzenden der SPD-Bundestagsabgeordneten aus Nordrhein-Westfalen zu Wort melden, erst recht noch öffentlich, so hat das Gewicht. Fast jeder vierte SPD-Abgeordnete stammt aus NRW, 49 der 207 Parlamentarier.
Umso brisanter sind die Worte, die die beiden Vorsitzenden Wiebke Esdar und Dirk Wiese, in der Debatte um die SPD-Kanzlerkandidatur finden. Esdar und Wiese erklärten am Montag gegenüber dem WDR: „Im Zentrum steht die Frage, was die beste politische Aufstellung jetzt für diese Bundeswahl ist. Dabei hören wir viel Zuspruch für Boris Pistorius.“ Die Parteigremien würden das aber entscheiden.
Mit einigem Abstand werden seine Arbeit und seine Entscheidungen für unser Land mit Sicherheit weitaus positiver beurteilt werden.
Wiebke Esdar und Dirk Wiese (beide SPD) über Olaf Scholz
Esdar und Wiese sagen damit öffentlich, was SPD-Politiker seit Wochen über ihre Mitglieder vor Ort, die Stimmung in den Wahlkreisen berichten: Dass dort nämlich Verteidigungsminister Pistorius erheblich beliebter sei als Kanzler Olaf Scholz. So sehen es auch, seit mindestens einem Jahr, alle Umfragen. Im neuen Politiker-Ranking von Insa für die „Bild“ fällt Scholz von Platz 19 auf den 20. und letzten Platz, ist nun noch unbeliebter als AfD-Chef Tino Chrupalla. Pistorius liegt souverän auf Platz Eins.
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Wie ein Nachruf auf Scholz
Pikant sind die Worte, die die beiden SPD-Politiker für Scholz finden. Das aktuelle Ansehen von Scholz sei „stark mit der Ampel-Koalition verknüpft“, heißt es in dem Statement von Esdar und Wiese, das dem Tagesspiegel vorliegt. Die Zustimmung zur Ampel, die ja inzwischen Geschichte ist, lag zuletzt bei null Prozent. „Mit einigem Abstand werden seine Arbeit und seine Entscheidungen für unser Land mit Sicherheit weitaus positiver beurteilt werden“, erklärten Esdar und Wiese. Das klingt wie nach einem Nachruf auf Scholz.
Die Wortmeldung von Esdar und Wiese ist auch deshalb brisant, weil die beiden Politiker die mächtigen Strömungen in der SPD-Bundestagsfraktion leiten: Wiese als Sprecher des eher konservativen Seeheimer Kreises, Esdar als Sprecherin der Parlamentarischen Linken. Wenn sie ausgerechnet in diesen Tagen, wo eine Schlacht um die SPD-Kanzlerkandidatur tobt, auf „viel Zuspruch für Boris Pistorius“ verweisen, so kommt das einer Backpfeife für Scholz gleich.
Sollte die Antwort auf die K-Frage stärker als bisher auf Pistorius deuten? Dafür spricht auch eine Äußerung der Co-Vorsitzenden der NRW SPD, Sarah Philipp, ebenfalls gegenüber dem WDR. Sie sagt: „Die Partei stellt sich für einen kurzen und intensiven Wahlkampf auf. Dass mit Olaf Scholz und Boris Pistorius gleich zwei Sozialdemokraten zugetraut wird, ein guter Kanzler zu sein, ist dabei eine Stärke.“
Philipp widerspricht damit der Darstellung etwa der SPD-Co-Vorsitzenden Saskia Esken. Sie hatte am Montag im ARD-Morgenmagazin gesagt, ein Beschluss des Parteivorstandes zur Kanzlerkandidatur sei nicht unbedingt notwendig, „weil es so klar ist“. Klar ist in Eskens Augen die Nominierung von Kanzler Scholz als Kanzlerkandidat. Esken sagte über Scholz: „Er ist unser Kanzler und unser Kanzlerkandidat.“
Mit der NRW-SPD-Vorsitzenden Philipp, Ex-Vizekanzler Franz Müntefering und Juso-Chef Philipp Türmer wird der Kreis derer lauter, die darauf hinweisen, dass die Kanzlerkandidatur mitnichten entschieden ist.
Bemerkenswerte Worte des Juso-Chefs
Besonders bemerkenswert ist die Wortmeldung Türmers. „Man krönt sich nicht als Kanzler selbst zum Kandidat, sondern das ist eine Entscheidung der Partei und ihrer Gremien“, sagte er am Montag im Deutschlandfunk. Die Gremien müssten jetzt einen Vorschlag machen, der dann von der Partei bewertet werde. Türmer legte sich zwar nicht auf eine Person fest, forderte aber: „Wir müssen mit dem Kandidaten oder der Kandidatin in den Wahlkampf ziehen, mit dem wir die größten Chancen haben.“
Angesichts der Zustimmungswerte für Pistorius und Scholz lässt sich das als indirektes Plädoyer für Pistorius werten. Dass die Chancen bei der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 mit Pistorius größer sein dürften als mit Scholz - das räumen sogar vehemente Befürworter von Scholz sein. Sie argumentieren eher dahingehend, dass man einem amtierenden Kanzler nicht die Kandidatur nehmen dürfe oder dass ein Wechsel des Kandidaten gut 90 Tage vor der Wahl ein gewagtes Manöver sei.
„Olaf Scholz nicht erste Wahl“
Am Sonntag hatten erstmals zwei SPD-Bundestagsabgeordnete, Joe Weingarten aus Rheinland-Pfalz und Johannes Arlt aus Mecklenburg-Vorpommern, öffentlich für Pistorius als Kanzlerkandidaten plädiert. „Die Bedenken der Mehrheit der SPD-Mitglieder in meinem Wahlkreis und vieler Bürger, dass Olaf Scholz eben nicht die erste Wahl für die nächste Bundestagswahl sei, teile ich“, sagte Arlt dem Tagesspiegel.
Aufmerksam wurde in der SPD registriert, wie sich Pistorius am Sonntagabend in der ARD eingelassen hatte. Er stellte sich erneut hinter Scholz, ohne aber eine eigene Kandidatur auszuschließen. „Er hat die Tür bewusst offen gelassen“ - so formulierte es ein SPD-Strippenzieher am Montag.
Der Kanzler, derzeit beim G-20-Gipfel in Rio de Janeiro, ließ bislang keine Bereitschaft erkennen, auf die Kanzlerkandidatur zu verzichten. Die meisten Sozialdemokraten waren bisher der Auffassung, nur Scholz selbst könne einen Übergang zu Pistorius herbeiführen. Mit der Erklärung von Esdar und Wiese bekommt die Kandidatendebatte abermals mehr Dynamik.
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