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Reaktionen auf den Brexit: „Ich bin überzeugt, dass sie nach 15 bis 20 Jahren zurückkommen“
Das UK ist jetzt Drittstaat. Der ehemalige EU-Kommissionschef Prodi geht von einer Rückkehr der Briten in die EU aus. Der Newsblog zum Brexit.
- Ragnar Vogt
- Ingo Salmen
- Julia Hoene
Stand:
Seit Mitternacht ist das Vereinigte Königreich kein EU-Mitglied mehr. In London feierten Befürworter des Brexit den Austritt um Mitternacht am Freitag, den 31.1.2020. In Brüssel dagegen oder auch in Berlin war die Stimmung eher melancholisch. Im schottischen Edinburgh wiederum machte die Regierungschefin selbst kämpferisch klar, dass sie Schottland wieder in die EU zurückführen möchte.
Nach diesem historischen Brexit-Datum und bis zum Jahresende gilt nun eine Übergangsphase, in der für die Bürger alles weitgehend beim Alten bleibt. In der Übergangszeit wird die britische Regierung mit den europäischen Institutionen verhandeln, wie die künftigen Beziehungen aussehen sollen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat darüber harte Verhandlungen angekündigt. „Wir werden sehr fair verhandeln, aber sehr hart“, sagte sie am Freitagabend dem ZDF. Die EU habe eine gute Ausgangsposition, weil sie bisher Absatzmarkt für fast die Hälfte aller britischen Exporte sei. Großbritannien habe großes Interesse am Zugang zu diesem Markt.
Auch Irlands Premier Leo Varadkar will einen harten Kurs fahren. In Schottland berät die SNP über den richtigen Kurs, um eine Unabhängigkeit von Großbritannien zu erreichen. Innerhalb der Partei gibt es unterschiedliche Auffassungen über das richtige Verfahren – auch verfassungsrechtliche Probleme treten auf. Auch Wales hat angekündigt, weiterhin mit der EU in Verhandlungen zu bleiben.
Der britische Premier Boris Johnson will schon am Montag in einer Rede darstellen, wie er sich die weiteren Verhandlungen mit der EU vorstellt. EU-Chefunterhändler Michel Barnier hatte im Blick auf die künftigen Beziehungen das Kanada-Modell vorgeschlagen – also ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien vergleichbar dem Ceta-Vertragswerk. Allerdings sind dort Dienstleistungen ausgeklammert, das ist für Großbritannien mit dem Starken Finanzsektor ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig. Dennoch zeigte sich Johnson offen für das Kanada-Modell.
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Nach dem Brexit ist noch lange nicht Schluss...
Die einen hatten sich auf diesen Tag gefreut, die anderen sich vor ihm gefürchtet: Nun ist das Vereinigte Königreich tatsächlich raus aus der EU.Romano Prodi: Es waren schöne, aber anstrengende Jahre
Der ehemalige Präsident der EU-Kommission Romano Prodi rechnet mit einer Rückkehr der Briten in die Europäische Union. „Ich bin davon überzeugt, dass sie Probleme bekommen werden und nach 15 bis 20 Jahren zurückkommen“, sagte der Italiener bei einer Wirtschaftsveranstaltung in Turin nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa.Der Politiker, der von 1999 bis 2004 die EU-Kommission führte, bilanzierte kurz nach dem Brexit: „Dies ist kein schöner Tag für Europa, denn Großbritannien hat für Europa viel bedeutet, sowohl aus militärisch-politischer Sicht als auch für die wissenschaftliche Forschung und die Finanzen. Aber es hat auch immer Unruhe hineingebracht.“
Macron: „Ihr verlasst nicht Europa“
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hat sich schriftlich an die Briten gewandt und eine London-Reise im Juni angekündigt. Der britische EU-Austritt sei ein „Schlag für Europäer“, schrieb Macron auf Englisch.Der Präsident erinnerte an den französischen Weltkriegshelden Charles de Gaulle, der vor knapp 80 Jahren - am 18. Juni 1940 - von London aus angesichts der militärischen Niederlage seine Landsleute dazu aufgerufen hatte, den Krieg von den Kolonien aus fortzusetzen. Er wolle im Juni die Stadt London mit dem Orden der Ehrenlegion auszeichnen, kündigte Macron an. (dpa)
Brexit-Nacht verläuft friedlich - wenige Festnahmen
Trotz teilweise aggressiver Atmosphäre ist die Brexit-Nacht in London und anderen Teilen Großbritanniens weitgehend friedlich verlaufen. Es habe nur wenige Festnahmen gegeben, teilte Scotland Yard am Samstag mit.Auch in Glasgow wurde ein Mann festgenommen. Dort versammelten sich in der Nacht im Stadtzentrum sowohl Brexit-Befürworter als auch Brexit-Gegner. Die Polizei hielt die beiden Gruppen mit einem Großaufgebot auf Abstand. (dpa)
Emotionales Video britischer Weltkriegsveteranen
Britische Weltkriegsveteranen haben ihre Enttäuschung über den EU-Austritt ihres Landes mit Hilfe einer riesigen Projektion auf den Klippen der Hafenstadt Dover zum Ausdruck gebracht. „Ich bin sehr, sehr traurig über das alles“, sagte ein 95 Jahre alter Veteran namens Sid in der von einer EU-freundlichen Kampagne veröffentlichten Aufnahme, die bis zum Mittag Zehntausende Male auf Twitter geteilt wurde. „Wir wollen zusammen sein und wir werden zusammen sein, da bin ich mir sicher.“Ähnlich äußerte sich auch der 97-jährige Stephen Goodall. „Ich bin sehr bedrückt, dass wir Europa verlassen, weil es mir so viel bedeutet hat“, sagte er in dem kurzen Film. „Ich mag es, ein Europäer genannt zu werden. Das Gefühl der Kameradschaft, das man hat, wenn man durch Europa reist, das ist echt etwas Besonderes.“ Er hoffe für seine Nachfahren, dass sich Großbritannien Europa in Zukunft wieder stark annähern werde.
Die Aufnahme, die auch ins Deutsche und Französische übersetzt wurde, endete mit einem Bild eines der zwölf europäischen Sterne. Darunter stand geschrieben: „Das ist unser Stern. Passt für uns auf ihn auf.“
Söder: „Bayern-Botschaft“ in London geplant
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union bedauert. „Das ist ein trauriger Tag. Die Briten werden uns in Europa sehr fehlen“, sagte er laut Mitteilung der Bayerischen Staatskanzlei.Söder betonte, es gelte jetzt, die Beziehungen weiter eng aufrechtzuerhalten. Bayern plane daher bereits eine Repräsentanz in London. Diese „Bayern-Botschaft“ werde noch vor dem Sommer eröffnet, sagte Söder. „Wir bleiben als Europäer verbunden!“ (dpa)
EU-Ratschef Michel: Immer positiv bleiben!
EU-Institutionen entfernen britische Flaggen
Wegen des Brexits haben die EU-Institutionen britische Flaggen entfernt. Im großen Ratsgebäude in Brüssel holten zwei Mitarbeiter den Union Jack kurz vor dem britischen EU-Austritt in der Nacht zum Samstag ohne großes Zeremoniell aus der Reihe der Fahnen der bisher 28 EU-Länder und trugen sie davon, wie offizielle Bilder zeigten.Freude bei Frankreichs Bierbrauern
Frankreichs Bierbrauer feiern den Brexit. Mit dem Austritt Großbritanniens habe Frankreich nun erstmals wieder die meisten Brauereien in der Europäischen Union, erklärte der Verband Brasseurs de France.Deutschland komme nach dem Brexit mit rund 1500 Brauereien nur auf Platz zwei, betonte der französische Brau-Präsident Maxime Costilhes. Allerdings räumte er ein, dass die Bundesrepublik immer noch mit Abstand "die größten Brauereien mit der höchsten Bierproduktion" in der EU hat. (AFP)
Roth: Europa musste als "letzter Lumpenhund herhalten"
Europastaatsminister Michael Roth (SPD) erwartet schwierige Verhandlungen mit Großbritannien über ein neues Kooperationsabkommen. Die EU-Standards etwa in der Sozialpolitik und bei Verbraucherfragen dürften "nicht unter Druck geraten", betonte Roth im Inforadio des RBB. Auch Dumping um die niedrigsten Löhne und Steuern dürfe es nicht geben, sagte Roth weiter.Roth warnte die Regierung von Großbritanniens Premierminister Johnson vor "Rosinenpickerei". Die verbliebenen 27 EU-Staaten seien "gerade dabei, die EU in der Sozialpolitik zu stärken". Ziel sei die Bekämpfung des Dumpings "um die niedrigsten Löhne", "die niedrigsten sozialen Standards" sowie "die niedrigsten Unternehmenssteuern", sagte Roth dem Sender.
Der SPD-Politiker prangerte auch die britische Europapolitik der vergangenen Jahre an. London habe über Jahrzehnte ein distanziertes Verhältnis zur EU gepflegt. Kaum eine Regierung habe versucht, dem durch eine positive Grundhaltung entgegenzuwirken. In Großbritannien habe Europa mit Blick auf alles, was schiefgehe, als "letzter Lumpenhund herhalten" müssen, kritisierte Roth. (AFP)
Den Brexit mit Humor nehmen....
Blauschimmelkäse und Yorkshire-Pudding für Johnson
Premierminister Boris Johnson feierte im kleineren Kreise in seiner Residenz in der Downing Street mit englischem Sekt und einer ausgeprägt britischen Auswahl an Häppchen, darunter Shropshire-Blauschimmelkäse und Yorkshire-Pudding mit Rindfleisch und Meerrettich.Lange Party bei den Befürwortern
Bis in die Nacht hinein haben mehr als 5000 Brexit-Befürworter vor dem Parlament in London den Abschied aus der Staatengemeinschaft gefeiert. Sie stimmten patriotische Lieder an, schwenkten britische Fahnen, ließen Feuerwerksraketen aufsteigen und Champagnerkorken knallen. "Wir sind frei", sagte der 53-jährige Tony Williams. "Das ist ein fantastischer Tag."Sichtbare Gegenproteste aus den Reihen der Millionen Briten, die im Juni 2016 beim Brexit-Referendum für einen Verbleib in der EU gestimmt hatten, gab es keine. (Reuters)

Brexit spaltet auch die britische Presse
Die Spaltung der Briten angesichts des nun vollzogenen Brexit hat sich am Samstag auch in den Medienkommentaren widergespiegelt. Die rechtsgerichtete Boulevardzeitung "Daily Express" rief nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs in der Nacht zum Samstag "ein glorreiches neues Britannien" aus. Der Londoner "Standard" prophezeite den Briten hingegen einen "holprigen Weg" aus der EU.Das Boulevardblatt "Sun", das vor dem Brexit-Referendum im Juni 2016 vehement für den Austritt geworben hatte, feierte den Vollzug mit dem Titel "Muscles without Brussels" (Muskeln ohne Brüssel). Der "Daily Telegraph" kommentierte: "Gut gemacht, britisches Volk - endlich draußen". Der Fernsehsender Sky News ließ hingegen Wehmut erkennen mit der Laufband-Botschaft "Farewell, au revoir, Auf Wiedersehen".
Der mit öffentlichen Geldern finanzierte Sender BBC, der wegen seiner Brexit-Berichterstattung sowohl von Befürwortern als auch Gegnern wiederholt kritisiert worden war, berichtete betont nüchtern: "Brexit: Das Vereinigte Königreich verlässt die Europäische Union", lautete einer der Titel.
Die linksgerichtete Zeitung "The Guardian" verwies auf die anhaltende Spaltung der Briten im Brexit-Streit. "Die gemischten Gefühle am Brexit-Tag zeigen, dass Großbritannien sich noch nicht wohl in seiner Haut fühlt", kommentierte die Zeitung.
Trotz der Appelle von Premierminister Boris Johnson, die Brexit-Wunden in der britischen Gesellschaft zu heilen, seien sich Befürworter und Gegner nur in einer Sache einig: Beide sähen im Brexit-Vollzug "eine epochale Veränderung in der Geschichte dieser Inseln".
Die Zeitung "i" ließ anklingen, dass auch nach dem Brexit noch einiges zu regeln ist. "What next?" (Was kommt als nächstes?), fragte sie auf ihrer Titelseite.
Großbritannien hatte um Mitternacht (MEZ) den Brexit vollzogen. Es trat damit als erstes Mitgliedsland aus der EU aus. Dem Schritt waren das Referendum vor dreieinhalb Jahren und ein langes politisches Gezerre mit mehreren Verschiebungen des Brexit-Termins vorausgegangen. In einer Übergangsphase bis Jahresende sollen nun die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien ausgehandelt werden. (AFP)
Nach dem Brexit ist vor dem nächsten Krach
Der Brexit ist vollzogen, nach jahrelangem Hin- und Her ist das Vereinigte Königreich ausgetreten. Das heißt natürlich nicht, dass jetzt alles wieder etwas entspannter wird. Im Gegenteil, jetzt gehen erstmal die Verhandlungen mit der EU los - und viele können sich auch vorstellen, dass jetzt durch die schottischen Absetzbewegungen das UK selbst auseinander fällt.
Überall ist Brexit
"Wir sind draußen"

Und nochmal das Brandenburger Tor
Am Brandenburger Tor
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