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Friedrich Merz (CDU), Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat

© dpa/Christoph Soeder

Merz ist ein Sieger mit schwierigem Start: Union und SPD haben keine Zeit zu verlieren!

Die Union gewinnt die Bundestagswahl, aber nicht deutlich genug. Jetzt drohen schwierige Verhandlungen. Doch Deutschland bleibt kaum Zeit.

Christian Tretbar
Ein Kommentar von Christian Tretbar

Stand:

Die Wahl ist gelaufen, jetzt kommt es vor allem auf eines an: Geschwindigkeit. Um Deutschland herum spielt sich eine massive geopolitische Veränderung ab, die Europa, die Deutschland auf einzigartige Weise herausfordert.

Frankreich, Großbritannien, Polen sind längst aufgewacht und dabei, Antworten auf die geopolitische Zeitenwende zu suchen. Die stärkste Volkswirtschaft Europas kann sich jetzt keine Hängepartie bei der Suche nach einer neuen Regierung leisten.

Und Friedrich Merz dürfte tief in der Wahlnacht aufgeatmet haben. Denn lange Zeit sah es so aus, als bräuchte Merz zum Regieren neben der SPD einen dritten Partner. Und dass er so lange zittern musste, lag auch am eigenen Abschneiden. Die Union ist zwar klar als Siegerin aus der Wahl hervorgegangen. Nur ist sie nicht so stark geworden, dass sie die Bedingungen diktieren könnte.

Ein Ergebnis deutlich über 30 Prozent wäre angesichts der Schwäche vor allem der SPD eigentlich Pflicht gewesen. Nur hat Merz dies nicht liefern können. Da aber sowohl FDP als auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde verpasst haben, langt es nun für eine Koalition, die man früher einmal Groko – große Koalition – nannte.

FDP und BSW haben den ganzen Abend gezittert, ob sie nicht doch in den Bundestag einziehen. Aber die Liberalen haben ihr Ziel deutlich verfehlt. Damit sind die politischen Karrieren von Christian Lindner und Wolfgang Kubicki Geschichte. Der Kurs der Liberalen, in der Ampel eine Art Daueropposition zu sein, hat sich nicht ausgezahlt. Und das BSW ist sehr knapp gescheitert.

Langwierige Koalitionsverhandlungen sollten Union und SPD jetzt nicht führen. Es braucht angesichts der fragilen weltpolitischen und wirtschaftspolitischen Lage keinen dicken, detaillierten Koalitionsvertrag mit hunderten Spiegelstrichen.

Christian Tretbar, Tagesspiegel-Chefredakteur

Bleibt jetzt also für die Union nur die SPD. Die Sozialdemokraten haben eine historische Wahlniederlage zu verkraften und die wird zu heftigen Debatten führen. Verantwortlich dafür wird in erster Linie Olaf Scholz gemacht. Er konnte als amtierender Kanzler keinen Amtsbonus aufbauen. Er hat die Menschen emotional zu wenig erreicht. Auch seine politische Karriere ist beendet.

Allerdings wäre es zu einfach, die Schuld nur bei ihm zu suchen. Die SPD hat es versäumt, auf den Kandidaten zu setzen, der wenigstens etwas Aussicht auf Erfolg gehabt hätte: Boris Pistorius. Jetzt wird sich zeigen, wer künftig bei den Sozialdemokraten das Sagen hat und die Verhandlungen führen wird.

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Keine Zeit für lange Differenzen

SPD-Chef Lars Klingbeil hat bereits das Amt des SPD-Fraktionschefs für sich beansprucht. Partei und Fraktion sollen aus einer Hand geführt werden. Allerdings kann sich aus einem so miserablen Abschneiden der SPD für den Parteivorsitzenden kein Anspruch auf eine Vizekanzlerschaft ableiten. Die wird Pistorius für sich reklamieren, und damit muss es auch auf ihn als wichtigsten Verhandler in Koalitionsgesprächen aufseiten der SPD hinauslaufen.

Mögliche Koalitionen

Rechnerisch mögliche Koalitionen laut amtlichem Endergebnis

Union + SPD
328 Sitze
Union + Grüne
293 Sitze
Union + SPD + Grüne
413 Sitze
Union + AfD
360 Sitze
SPD + Grüne + Linke
269 Sitze
SPD + Grüne
205 Sitze
SPD + Linke
184 Sitze
SPD + AfD
272 Sitze
Daten: Bundeswahlleiterin, Stand 14.03.25, 10:25 Uhr

Langwierige Koalitionsverhandlungen sollten Union und SPD jetzt nicht führen. Es braucht angesichts der fragilen weltpolitischen und wirtschaftspolitischen Lage keinen dicken, detaillierten Koalitionsvertrag mit hunderten Spiegelstrichen. Gerade aus der Erfahrung der Ampel weiß man, wie schnell diese Verträge von der Wirklichkeit überholt werden.

Wichtiger wäre eine Art Leitlinien-Katalog, in dem man sich auf die wesentlichen Eckpfeiler konzentriert: Wie will man auf die veränderte geopolitische Lage reagieren? Welche Maßnahmen sind zur Ankurbelung der Wirtschaft notwendig? Welche Schritte sind in der Migrationspolitik machbar? Wie baut man die eigene Verteidigung im europäischen Kontext auf?

Und wie soll das alles finanziert werden? Deutschland wird nicht die Zeit haben, um alle Differenzen, die es auch in einem schwarz-roten Bündnis geben könnte, vorher auszudiskutieren. Man wird stark auf Sicht und entlang der großen Linien agieren müssen.

Friedrich Merz wird Führungskraft zeigen müssen – gegenüber den USA, in Europa und Deutschland. Denn die Welt dreht sich rasant in völlig neue Richtungen.

Eines ist dabei klar: Er ist zwar der klare Gewinner, aber die Erwartungen der eigenen Partei hat er nicht erfüllt. Deshalb ist Merz ein Wahlsieger, der mit einem blauen Auge startet.

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