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Union bricht Gespräche bei Gipfeltreffen ab: Ampelparteien und CDU geben einander die Schuld – Lindner schlägt Spitzentreffen vor
Schon zu Beginn des Gipfels gaben sich CDU/CSU wenig optimistisch. Am Dienstagabend erklärte die Union das Treffen für gescheitert. Die Ampel bedauert das. Nancy Faeser spricht von „guten Gesprächen“.
Stand:
Nach dem Scheitern des Migrationsgesprächs der Bundesregierung mit der Union und gegenseitigen Schuldzuweisungen hat FDP-Chef Christian Lindner ein Spitzentreffen der Ampel und ihres Kanzlers Olaf Scholz (SPD) mit CDU-Chef Friedrich Merz vorgeschlagen. „Die Absage der Union an den Asylgipfel darf nicht das letzte Wort sein“, schrieb der Bundesfinanzminister auf der Plattform X. Merz sollte mit dem Kanzler, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ihm selbst persönlich verhandeln.
„Wir werden gemeinsam das Problem lösen“, fügte Lindner hinzu. Deutschland brauche Kontrolle und Konsequenz bei der Migration.
Die Union brach die Gespräche mit der Bundesregierung über ein gemeinsames Vorgehen in der Asyl- und Migrationspolitik am Dienstag ab. Die Vorschläge der Regierung zu einer Zurückweisung von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen seien nicht weitgehend genug, sagte Unions-Verhandlungsführer Thorsten Frei am Dienstag zur Begründung in Berlin.
Frei kritisierte zudem, dass vorgelegte Vorschläge nicht auf zusätzliche Zurückweisungen abzielten, sondern auf beschleunigte Verfahren im Land. Sie würden damit den Herausforderungen nicht gerecht. Die Union werde aber „alles unterstützen, was unserem Land hilft“.
Es seien unterschiedliche Vorschläge dargestellt worden, darunter auch, wie man die Regelungen des gemeinsamen europäischen Asylsystems, das im Jahr 2026 in Kraft treten werde, früher implementieren könne, sagte er. Auch seien schnellere Verfahren an Flughäfen Thema gewesen. Dies bedeute, dass „die Menschen zunächst einmal ins Land kommen und dort dann unter gegebenenfalls beschleunigten Verfahren die Dinge bearbeitet werden“.
Gegenseitige Schuldzuweisungen von Union und Ampelparteien
Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat die Bundesregierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem gescheiterten Treffen scharf kritisiert. „Die Bundesregierung ist intern offensichtlich heillos zerstritten und kann sich nicht auf wirksame Maßnahmen einigen“, erklärte der CDU-Vorsitzende nach dem Ende der Beratungen der Ampel-Regierung mit Vertretern der Union und von Ländern in Berlin auf der Plattform X.
„Die Ampel kapituliert vor der Herausforderung der irregulären #Migration“, schrieb Merz weiter und fügte hinzu: „Die Bundesregierung ist handlungsunfähig und führungslos.“
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CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte in Berlin, die Ampel sei nicht zu wirksamen Maßnahmen zur Begrenzung der irregulären Migration in der Lage. „Wir stehen weiterhin für die Vereinbarung schnell wirksamer Maßnahmen zum Stopp der illegalen Migration bereit, aber nicht für Placebo-Maßnahmen ohne echte Wirkung.“
Der hessische Innenminister Roman Poseck sagte, man brauche „eine wirkliche Trendwende in der Migrationspolitik“. Dazu sei die Ampel nicht bereit. „Wir halten dieses Gesprächsformat nicht für zielführend, das hat das heutige Gespräch gezeigt.“ CDU/CSU fordern Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Grenzen, um die irreguläre Migration zu reduzieren.
Regierungsmitglieder bedauern Abbruch der Asylgespräche durch Union
Die Bundesregierung hat die Entscheidung der Union zum Abbruch der Gespräche über ein gemeinsames Vorgehen in der Migrationspolitik bedauert. „Wir sind bereit, das Gespräch weiterzuführen“, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Dienstag in Berlin. Bei Maßnahmen zur Eindämmung der irregulären Migration sei die Bundesregierung bereit, alles zu tun, was im Rahmen des nationalen und des europäischen Rechts möglich ist. Die Forderungen der Union nach Zurückweisungen an den deutschen Grenzen gingen aber darüber hinaus. „Man kann von einer Bundesregierung nicht verlangen, dass sie sich in Widerspruch zu Recht begibt“, sagte Buschmann.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte nach den Beratungen mit der Union: „Wir haben wirklich gute Gespräche gehabt, auch wenn das manchmal etwas anders klingt.“ Die Bundesregierung habe einen Vorschlag vorgelegt, wie Geflüchtete grenznah untergebracht und schnell zurückgewiesen werden können.
Bedauerlicherweise hat die Union gesagt, dass sie jetzt nicht mehr weiter reden möchte.
Annalena Baerbock, Bundesaußenministerin
Dieser Vorschlag stehe in Einklang mit europäischem Recht, sagte Faeser. Dies sei bei der CDU-Forderung nach Zurückweisungen nicht der Fall. Es dürfe „keine riskanten Ausnahmen vom geltenden europäischen Recht geben“, sagte sie. Einige Bundesländer hätten bei dem Treffen Interesse signalisiert, den Vorschlag der Regierung weiter zu verfolgen.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) äußerte Bedauern und Unverständnis für den Abbruch der Gespräche durch die Union. „Bedauerlicherweise hat die Union gesagt, dass sie jetzt nicht mehr weiter reden möchte“, sagte Baerbock. Dabei seien bei dem Treffen am Dienstag „viele Themen noch gar nicht besprochen“ worden.
Der Union wurde angeboten, dass ihre Vorschläge zur Zurückweisung von Asylbewerbern eins zu eins umgesetzt werden.
Bijan Djir-Sarai, FDP-Generalsekretär
Auch Grünen-Chef Omid Nouripour zeigte sich nach dem Abbruch der Gespräche verärgert. „Was für ein Schmierentheater der Union“, sagte Nouripour dem Nachrichtenportal „t-online“. „Die Union hatte die Chance, sich an gemeinsamen Lösungen zu beteiligen und hat überdeutlich gezeigt, dass sie dazu nicht in der Lage ist“, kritisierte er. Es gehe der Union „offensichtlich nicht um die Sache, nicht um tatsächliche Sorgen, sondern schlicht um Überschriften, Lautstärke und Profilierung“.
Scharfe Kritik äußerte zudem FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. „Es ist vollkommen unverständlich, dass die Union die Verhandlungen verlassen hat. Schließlich wurde ihr angeboten, dass ihre Vorschläge zur Zurückweisung von Asylbewerbern eins zu eins umgesetzt werden“, sagte Djir-Sarai am Dienstag in Berlin. Es gebe „keinen objektiven Grund, die Gespräch zu beenden“, sagte er. Und: „Die FDP ist auch weiterhin bereit, das von der CDU geforderte Modell umzusetzen. Wir sind bereit, diesen Weg mit der Union gemeinsam zu gehen – trotz rechtlicher Bedenken. Das sollte dann aber auch in gemeinsamer Verantwortung erfolgen.“
Union zeigte sich schon im Vorfeld skeptisch
Bereits zum Auftakt der zweiten Runde der Migrationsgespräche von Bund, Ländern und CDU/CSU hatten Unionspolitiker die Erwartungen an das Treffen gedämpft.
„So wirklich sind die Voraussetzungen noch nicht gegeben“, sagte der Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) kurz vor Gesprächsbeginn am Dienstagnachmittag mit Blick auf Vorbehalte bei den Grünen gegen Zurückweisungen an den deutschen Grenzen. „Es gibt Hinweise, die das Ganze schwierig erscheinen lassen“, sagte Frei.
Seit Dienstagnachmittag liefen im Bundesinnenministerium die Gespräche über den Kurs in der Migrationspolitik. Die erste Runde war am vergangenen Dienstag ebenfalls ohne Ergebnis zu Ende gegangen.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Montag Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen angeordnet und mehr Zurückweisungen als bisher in Aussicht gestellt. Dies hatte die Union zur Bedingung für die Teilnahme an dem zweiten Treffen gemacht. Die Kontrollen sollen am 16. September beginnen und zunächst sechs Monate andauern.
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Frei betonte, dass es sowohl am Montag als auch am Dienstag ein Telefonat mit Faeser gegeben habe. Darin habe Faeser „auch deutlich gemacht, was für uns notwendig ist, um in ein solches Gespräch zu gehen“, sagte Frei.
Wenn er sich aber Wortmeldungen aus der Koalition anschaue, „bringe ich das noch nicht ganz übereinander“, bremste Frei die Erwartungen an das Treffen. Er sprach insbesondere Äußerungen von Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge an, die sich skeptisch bezüglich Zurückweisungen gab.
Videos zu den Ampel-Parteien sehen Sie hier
Auch das Bundesinnenministerium äußerte sich wenig zuversichtlich. Denn: Dort gibt es gegen den Vorschlag der Unionsfraktion für umfassende Zurückweisungen an den deutschen Grenzen rechtliche Bedenken.
Zwar sichere Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union den EU-Mitgliedsstaaten die Zuständigkeit „für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ zu, heißt es in einer Bewertung der Fachleute zu den rechtlichen Voraussetzungen für einen Rückgriff auf Artikel 72 in diesem Kontext. Bisher habe sich allerdings kein EU-Mitgliedstaat erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) auf diesen Artikel berufen.
Zudem habe der EuGH einen Rückgriff auf diesen Artikel mit Blick auf den Schengener Grenzkodex für unzulässig erachtet und dies damit begründet, dass dieser die legitimen Interessen der Mitgliedstaaten ausreichend berücksichtige und Ausnahmen im Falle einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit bereits ermögliche.
Migrationsgipfel drohte schon frühzeitig zu platzen
Frei hatte argumentiert, dass Zurückweisungen von Nicht-EU-Ausländern ohne Visum direkt an der Grenze mit geltendem Recht vereinbar seien. Er verwies dabei unter anderem auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
Die Unionsfraktion im Bundestag hatte ihre Teilnahme am Migrationsgipfel mit der Ampel-Regierung überhaupt erst wenige Stunden vorher am Dienstagmorgen zugesagt.
Das Gespräch findet statt, obwohl die Union nicht die verlangte Konkretisierung der Beschlüsse Faesers erhalten hat. „Die Sache ist wichtiger als der Weg dahin“, sagte Frei. „Wir haben weder Schaum vor dem Mund, noch sitzen in der Schmollecke.“
Nouripour lässt Kritik an Faeser durchklingen
Auch für die Grünen als Koalitionspartner bleiben nach Faesers Vorstoß noch viele Details unklar. „Es gibt in der Tat eine Reihe von Fragen, die jetzt mit dieser Ankündigung einhergehen“, sagte der Parteivorsitzende Omid Nouripour im Deutschlandfunk. Auf die Frage, ob er wisse, was Faeser bei ihren Vorschlägen vorschwebe, antwortete Nouripour: „Nein, ich weiß es nicht.“
„Wir sind sehr gespannt, was das ist und sind gerne bereit, alles zu diskutieren, was rechtens und machbar und wirksam ist“, sagte Nouripour. „Wir stehen natürlich als Koalition zusammen und verhandeln auf der einen Seite des Tisches mit der Union auf der anderen Seite“, betonte Nouripour zugleich.
Der Grünen-Chef sagte, es gelte, die Ideen auch mit den europäischen Partnerstaaten und vor allem mit den Nachbarn zu besprechen. Er verwies dabei auch auf Österreich, das bereits signalisiert hatte, keine von Deutschland abgewiesenen Migranten zurücknehmen zu wollen.
Der Leidtragende wäre Deutschland.
Irene Mihalic, Grünen-Innenpolitikerin
Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic warnte indes erneut vor einer Kettenreaktion, sollte Deutschland umfassend an den Grenzen zurückweisen. „Das hätte natürlich einen Dominoeffekt zur Folge“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion im ARD-Morgenmagazin. Mihalic warnte vor einer Aussetzung internationalen Rechts und einer Spaltung Europas. „Der Leidtragende wäre Deutschland. Denn wir profitieren gerade von der europäischen Einigung, gerade auch in Migrationsfragen.“
Aus Grünen-Regierungskreisen hieß es unmittelbar vor den Beratungen am Dienstagnachmittag, man wolle, „dass es eine bessere Kontrolle und Steuerung gibt und das Recht durchgesetzt wird“. Dafür brauche es praxistaugliche Maßnahmen, die den europäischen Zusammenhalt nicht gefährdeten. Nach der Prüfung des Bundesinnenministeriums sei klar, dass die Vorschläge von Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) für umfassende Zurückweisungen an den deutschen Landgrenzen „europarechtskonform eindeutig nicht machbar sind“.
Kanzler würde sich über Gemeinsamkeit mit Union „wirklich freuen“
Kanzler Scholz versicherte, der Regierung sei es ernst mit gemeinsamen Lösungen. „Wir würden uns auch freuen, wenn wir da noch was gemeinsam machen können, auch mit der Opposition“, sagte der SPD-Politiker beim Sommerfest der Parteizeitung „Vorwärts“. „Im Rahmen klarer Prinzipien. Aber wir würden uns wirklich freuen.“ Von SPD-Seite sei das Angebot ehrlich gemeint. „An uns wird es nicht liegen, falls es nicht klappt“, sagte der Kanzler weiter.
Scholz verwies zugleich darauf, dass die Bundesregierung bereits Gesetze auf den Weg gebracht habe, sowie auf das unlängst vorgelegte Sicherheitspaket.
Es sieht Maßnahmen für eine härtere Gangart bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber in ihre Herkunftsländer vor, Schritte zur entschiedeneren Bekämpfung des islamistischen Terrors und Verschärfungen beim Waffenrecht. Es soll bereits am Donnerstag im Bundestag beraten werden.
Mit Skepsis reagierte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Faesers Ankündigung zu den Grenzkontrollen. Der Vorsitzende für den Bereich Bundespolizei, Andreas Roßkopf, warf angesichts der bereits jetzt starken Auslastung der Kollegen die Frage nach der Umsetzbarkeit auf. „Das wird eine sehr sportliche Herausforderung“, sagte er dem RND.
Auch in der Wirtschaft löste die Ankündigung Faesers Sorgen aus. Einschränkungen der Personenfreizügigkeit bedeuteten für die Wirtschaft immer Verzögerungen und damit Kostensteigerungen, sagte der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbands (BGA), Dirk Jandura, dem „Handelsblatt“. „Sie stören die Logistik und bringen damit Lieferketten durcheinander.“ (Tsp, dpa)
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