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Manche Querdenker müssen nun auf andere Plattformen ausweichen.

© REUTERS/Dado Ruvic

Nach Löschung von 150 Facebook-Konten: Experten fürchten Gewalt von Querdenkern

Facebook löscht 150 Konten von Querdenkern. Das trifft die Szene, birgt aber auch Gefahren. Ein Überblick.

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Es klingt wie ein harter Schlag gegen die Szene der Verschwörungsgläubigen: Ohne Vorwarnung hat Facebook am Donnerstag 150 Konten der Querdenken-Bewegung gelöscht, auch Gründer Michael Ballweg ist betroffen. Was bedeutet dies für die Szene, und wie wirksam ist die Maßnahme? Ein Überblick.

Facebooks Begründung

Die Löschung der 150 Querdenker-Konten liegt nach Angaben des Konzerns nicht an der bevorstehenden Bundestagswahl, sondern an einer veränderten globalen Unternehmenspolitik. Schon in der Vergangenheit wurden einzelne Beiträge und Accounts gelöscht, sofern diese zu Gewalt aufriefen oder anderweitig gegen die Gemeinschaftsstandards des Unternehmens verstießen. Mit der neuen „coordinated social harm“-policy sollen nun Akteure bekämpft werden, die durch „koordinierte Kampagnen“ der Gesellschaft schaden. Anders als früher beschränken sich die Maßnahmen nicht mehr auf einzelne Nutzerkonten, sondern richten sich auch gegen größere Netzwerke.

Nach unseren Erkenntnissen erstreckten sich diese Aktivitäten über mehrere Internetdienste und stellten in der Regel Gewalt als probates Mittel dar

Facebook-Manager Nathaniel Gleicher

Die neue Policy wurde am Donnerstag erstmals durchgesetzt – ausgerechnet bei den Querdenkern in Deutschland. Laut Facebook gehe es bei Querdenker-Netzwerken in erster Linie darum, den Verschwörungsmythos der „Coronadiktatur“ zu verbreiten. In einem Blogeintrag schreibt Facebook-Manager Nathaniel Gleicher: „Nach unseren Erkenntnissen erstreckten sich diese Aktivitäten über mehrere Internetdienste im gesamten Netz und stellten in der Regel Gewalt als probates Mittel dar, um die Maßnahmen der Regierung zur Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte im Namen der Pandemie zu kippen.“

Voraussichtlich hat die Regelung auch Konsequenzen für andere Bewegungen in Deutschland und im Ausland. Für die Betreiber der betroffenen Konten, Seiten oder Gruppen bedeutet dies, dass sie ihren Zugriff dauerhaft verlieren – es sei denn, sie können ihn durch eine gerichtliche Entscheidung zurückbekommen. Die Daten der Nutzer sind nach der Löschung nicht vernichtet, sondern können wiederhergestellt werden.

Reaktionen der Szene

Die Nachricht von der Kontenlöschung führte innerhalb der Bewegung zu heftiger Empörung. Noch in der Nacht riefen führende Köpfe zu „Widerstand“ gegen die Maßnahme auf. Der Aktivist Markus Haintz, ein ehemaliger Vertrauter von Querdenken-Gründer Michael Ballweg, forderte auf Telegram, die Plattform Facebook zu verbieten. Ballweg selbst reagierte mit einem wohlbekannten Reflex: Er bat seine Anhänger um Spenden. Diese seien nötig, um gegen die Löschung der Kanäle vorgehen zu können. Geldspenden stellen seit Beginn der Pandemie eine zentrale Einnahmequelle der Querdenken-Funktionäre dar. Allerdings klagen Szenegrößen zunehmend über wegbrechende Spenden.

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Einerseits liegt dies am generellen Schrumpfen der Bewegung, das sich seit Monaten auch in schlecht besuchten Kundgebungen und Aufmärschen materialisiert. Andererseits wurden zahlreichen Aktivisten Bank- und Paypalkonten gekündigt. Erst in dieser Woche beschwerte sich die Gruppe „Mutigmacher“, sie habe nach ihrem Youtube-Account nun auch ihr Paypal-Konto verloren. Der Berliner Firma „Ovalmedia“, die den verschwörungsideologischen „Corona-Ausschuss“ überträgt, wurde das Geschäftskonto von der Volksbank gekündigt.

In einem emotionalen Video beklagte sich die Aktivistin Eva Rosen im vergangenen Monat über wegbrechende Spenden. Sie könne, bekannte Eva Rosen unter Tränen, inzwischen ihre Miete nicht mehr zahlen. Nach der Maßnahme von Facebook verbreitete Rosen am Freitag eine Nachricht, wonach das Löschen ein Beweis für „Faschismus“ sei.

Voraussichtliche Folgen

Durch die Löschungen verlieren wichtige Aktivisten der Querdenken-Bewegung weiter an Reichweite – dies schränkt nicht nur ihre Erfolgschancen für Spendenaufrufe, sondern auch für Mobilisierungen zu Kundgebungen ein. Das Schrumpfen der Bewegung dürfte sich dadurch noch einmal beschleunigen.

Experten wie die Sozialpsychologin Pia Lamberty von der gemeinnützigen Organisation CeMAS warnen allerdings seit langem davor, dass mit dem Schrumpfungs- auch ein Radikalisierungsprozess verbunden ist: Da sich zunächst vor allem die vergleichsweise moderaten Kräfte von der Szene abwenden, verbleibt ein harter Kern von Aktivisten, der sich gegenseitig befruchtet und ohne mäßigende Einflüsse zu immer radikaleren Verschwörungsnarrativen antreibt. Sicherheitskreise fürchten, dass vor diesem Hintergrund auch Gewalttaten zunehmen. Kundige Beobachter der Szene wie der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume halten auch Terroranschläge für möglich.

Rechtsterrorismus ist dort immer nur einen Klick entfernt

Politikwissenschaftler Josef Holnburger über die Plattform Telegram

Die Gruppen und Akteure, deren Kanäle am Donnerstag von Facebook gelöscht werden, sind mehrheitlich auch auf Telegram aktiv. Genau dort jedoch fehlt jeder mäßigende Einfluss: In dortigen Gruppen sind die Akivisten weitgehend unter sich und überbieten sich gegenseitig mit Verschwörungsmythen. Sowohl die Ausdrucksweise als auch die verbreiteten Inhalte sind expliziter als auf Facebook. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass Telegram Nutzern keine Möglichkeiten bietet, Hassnachrichten zu melden.

Der Politikwissenschaftler Josef Holnburger, der ebenfalls für CeMAS arbeitet, schätzt Telegram definitiv als die gefährlichste Social-Media-Plattform ein. Er sagt: „Rechtsterrorismus ist dort immer nur einen Klick entfernt.“ Es werde zu Gewalt aufgerufen und sei sehr einfach, Waffen oder Drogen zu kaufen. Telegram sei wie „Darknet für die Hosentasche“.

Vorgehen anderer Plattformen

Neben Facebook reagieren auch Anbieter wie Youtube und Twitter mit Löschungen oder Algorithmusveränderungen, um die Reichweite extremer Akteure einzuschränken. „Aber da fehlt die Transparenz“, sagt Josef Holnburger von CeMAS. In Deutschland verpflichtet das Netzwerkdurchsuchungsgesetz Plattformen wie Facebook, Twitter und Youtube, strafrechtlich relevante Inhalte zeitnah zu löschen. Josef Holnburger sagt, die großen Plattformen hielten sich daran, doch das Hauptproblem sei, dass Messengerdienste wie Telegram gar nicht von diesem Gesetz betroffen seien.

Dort könnten sich deshalb weiterhin Menschen radikalisieren. Das Gesetz bringe trotzdem etwas, denn es sorge dafür, dass die radikalen Bewegungen nicht noch mehr Reichweite über große Netzwerke bekommen können. Auch die neue Unternehmenspolitik von Facebook sei ein wichtiger Schritt. „Aber Facebook ist diesen Schritt ziemlich spät gegangen.“ Außerdem fehle auch hier die Transparenz: „Die Zivilgesellschaft kann kaum nachvollziehen, wann welche Inhalte entfernt werden.“

Uneinheitliches Vorgehen

Am Tag nach der Löschaktion fällt auf, dass Facebook seiner „coordinated social harm“-policy im Fall der Querdenken-Bewegung bislang nur halbherzig nachkommt. Denn obwohl die Zahl von 150 gelöschten Accounts zunächst nach entschiedenem Durchgreifen klingt, wurden etliche zentrale Konten der Bewegung verschont. So bestehen die Accounts dutzender Querdenken-Ortsgruppen weiter, darunter auch jener von „Querdenken Berlin“. Die Konten von Führungsfiguren der Bewegung wie dem Anwalt Ralf Ludwig, ein enger Vertrauter von Michael Ballweg, wurden ebenfalls nicht angetastet.

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Von Unternehmensseite heißt es dazu, das Bestreben von Facebook sei nicht, jeden Querdenker-Account zu löschen, sondern nur diejenigen, die gegen die Gemeinschaftsstandards verstießen. Wenn beispielsweise lediglich kritisch über Corona-Impfungen diskutiert werde, würden solche Accounts nicht gelöscht. „Auch wenn wir Querdenker nicht grundsätzlich auf unserer Plattform verbieten, werden wir die Lage weiter beobachten und Maßnahmen ergreifen, sobald wir weitere Verstöße feststellen“, schreibt Facebook-Manager Nathaniel Gleicher.

Das Vorgehen des Konzerns wirft Fragen auf. Denn auf den verbliebenen Konten finden sich haufenweise Inhalte, die nach der Eigendefinition von Facebook eindeutig gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen. In der Berliner Querdenkengruppe wird etwa über die Schaffung von „Konzentrationslagern“ fantasiert, Wählern demokratischer Parteien wird der Tod gewünscht. Verschont geblieben ist zudem der Account des Verschwörungsideologen Reiner Fuellmich, der kommende Woche für die Querdenker-Partei „Die Basis“ in den Bundestag einziehen will.

Fuellmich hat in den vergangenen Monaten besonders gravierende Fehlinformationen verbreitet. So warnte er Anfang des Jahres, 25 Prozent aller Deutschen, die sich gegen Corona impfen ließen, würden direkt sterben – weitere 36 Prozent würden potentiell tödliche Nebenwirkungen erleiden. Die Regierung plane eine „organisierte Massentötung“ und sogar „Schlimmeres“ als den Holocaust. Trotz der massiven Unwahrheiten hat die Kleinpartei „Die Basis“ Reiner Fuellmich zu ihrem „Kanzlerkandidaten“ gekürt.

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