
© Montage: Tagesspiegel, Karikatur: Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel, Foto: freepik
Ein politisch atemloses Jahr: „Rückblende“-Preis für Tagesspiegel-Karikaturist Klaus Stuttmann
2024 war voller Reibung – bis zum Ende. Die besten Fotografen und Karikaturisten des Jahres wurden am Dienstag in Berlin ausgezeichnet.
Stand:
Ende 2024 lag manches Thema gefühlt bereits Jahre zurück, andere schoben sich unerwartet mit voller Wucht noch auf die Agenda. Es war ein atemloses Jahr – auch für die Fotografen und Karikaturistinnen. Die besten ihrer Zünfte wurden am Dienstag in Berlin ausgezeichnet.
Der Deutsche Preis für politische Fotografie und Karikatur wird von der Landesvertretung Rheinland-Pfalz und dem Bundesverband der Zeitungsverleger und Digitalpublisher ausgerichtet. Der Tagesspiegel ist Medienpartner.
Die Jury sichtete in diesem Jahr 735 Fotos, die von 217 Teilnehmenden eingereicht wurden – noch einmal eine Steigerung zum Vorjahr. Und: Es sind immer mehr Jüngere dabei. Zwischen 50 Foto-Serien und 348 Karikaturen von 64 Einreichenden musste sich die Jury diesmal entscheiden.
Bestes Foto: Scholz und Lindner
Über Monate hatte sich aufgebaut, was die Bundesbürger am Abend des 6. November nach dem Schock des US-Wahlergebnisses verdauen mussten: Es krachte in der längst zäh und mehr gegen- als miteinander agierenden Ampel letztmals.

© picture alliance/dpa/Kay Nietfeld
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warf seinen widerborstigen Finanzminister Christian Lindner (FDP) in einem seltenen Moment von öffentlich präsentierter Tatkraft raus. Kay Nietfeld hat die wachsende Distanz zwischen Scholz und Lindner bereits im März eingefangen, als er beide hinter der langen, hohen Trennwand im Gespräch fotografierte. Scheinbar weit, weit entfernt von den Bundestagsabgeordneten im Plenum. Für die Jury eindeutig das Foto des Jahres.
Scharfes Sehen: Eine besondere Symbiose
Erinnern wir uns: 2024 begann mit mahnenden Protesten von Bürgerinnen und Bürgern in vielen Städten. Viele Tausend Menschen standen zum Beispiel für die Demokratie in Schnee und Kälte vor dem Reichstag. Junge wie Alte streckten die Lampen ihrer Handys als Lichter der Hoffnung in die Luft.
Wie wichtig das war und weiterhin ist, zeigte sich im Herbst überdeutlich, als die AfD mit ihren rechten Parolen so viele Wählerinnen und Wähler in Brandenburg, Sachsen und Thüringen dazu verlocken konnte, ihr Kreuz bei ihr zu machen. Waren es wirklich vor allem Unzufriedene, die ihrem Unmut auf diese Weise eine Stimme verschaffen wollten? Oder driftet die Republik insgesamt scharf nach rechts?

© Jacob Schröter
2025 wird in jedem Fall einen Einschnitt bringen. Erstmals hofft auch Sahra Wagenknecht mit ihrem Bündnis im Bund auf die Stimmen der – Ukraine-kriegsmüden – Wähler. Im Hintergrund agiert ihr Mann Oskar Lafontaine. Jacob Schröter fing diese besondere Symbiose im August in Eisenach ein. Für die Jury das beste Foto fürs Scharfe Sehen.
Beste Serie: Eine junge Liebe trotzt dem Krieg
All die Themen überwölbte wieder der blutige Krieg in der Ukraine. Manche winken inzwischen ab, andere fordern lauthals ein Ende – nicht immer haben sie dabei wohl die Ukrainer im Blick. Ganz anders der 1992 geborene Fotograf Fabian Ritter, der Mitglied im DOCKS Collective ist. Die Menschen dort sind eines seiner großen Themen. Mit seiner Gewinner-Serie über Lena und Ivan hat er Menschlichkeit im Unmenschlichen dokumentiert – eine junge Liebe, die mehr als nur Grenzen überwindet. Tiefe Gefühle und unendliche sind in jedem Bild zu spüren. Ritter erhält für seine Serie die begehrte Leica-Kamera.

© Fabian Ritter / DER SPIEGEL

© Fabian Ritter / DER SPIEGEL

© Fabian Ritter / DER SPIEGEL

© Fabian Ritter / DER SPIEGEL

© Fabian Ritter für DER SPIEGEL

© Fabian Ritter / DER SPIEGEL
1. Preis Karikatur: Trumps Kabinett des Grauens
2024 schauten viele Menschen lange vor allem bange in die USA – denn die Entwicklungen jenseits des Atlantiks haben nun mal unmittelbare Auswirkungen auf Deutschland. Was nach einem Duell zweier greiser weißer Männer aussah, nahm schließlich unerwartet Fahrt auf, als die Demokraten Joe Biden doch noch überredeten, seine Vize Kamala Harris antreten zu lassen.

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel
Offenbar zu spät, durfte sich die Politikerin doch vorher unter ihm nicht wirklich profilieren. Jedenfalls halfen alles Engagement und alle Leidenschaft – selbst von den Polit-Ikonen Barack und Michelle Obama und Superstar Taylor Swift nicht.
Harris konnte nicht als erste Schwarze ins Weiße Haus einziehen. Waren die Demokraten alle zu intellektuell unterwegs, haben sie „die Amerikaner“ nicht verstanden? Oder sehnten sich zu viele US-Wähler nach einem, der sagt, wo es lang geht?
Ich will Donald Trump so monströs zeigen, wie ich ihn empfinde.
Klaus Stuttmann, Rückblende-Sieger und Tagesspiegel-Karikaturist
Zieht das bullige Auftreten des „Mir-kann-keiner“-Amerikaners Donald Trump Wähler deshalb so in den Bann, weil sich daraus jede und jeder für sich in schwierigen Zeiten ein individuelles „Mir kann keiner“ und als Gemeinschaft bei all den unübersichtlichen globalen Entwicklungen ein Gefühl des „Uns kann keiner“ ableiten kann? Neue Helden fürs Land. Wenn es nur das wäre.
Die ersten Ansagen des „President elect“, wen er in seine Reihen holen will, lösten in Deutschland Schockwellen aus. Das Gefühl, dass sich in den USA ein Kabinett des Grauens zusammenfinden könnte, hat Tagesspiegel-Karikaturist Klaus Stuttmann brillant karikiert. Das Lachen bleibt Betrachtern im Halse stecken angesichts der illustren Gesellschaft, die Stuttmann Trump zur Seite stellt.
Er zeichnet Trump seit jeher mit Entenschnabel, nun aber hat er ihm mehr Zähne verpasst. Sie sollen der Figur etwas Raubtierhaftes geben, wie er jüngst selbst sagte. Er wolle Trump „so monströs zeichnen, wie ich ihn empfinde“. Auch die weltweit bekannten Figuren des Bösen hat Stuttmann perfekt gezeichnet. Er erhält für diese pointierte Kommentierung den ersten Preis der Karikaturen.
2. Preis Karikatur: FDP und die Gesetze des Marktes
Wie hässlich es in der Bundesregierung derweil wohl längst zuging, legte das D-Day-Papier aus der FDP später offen. Ganz klar wollte die Parteispitze den Bruch – aber mit dem militärischen Schlachtplan à la Alliierten-Landung im Zweiten Weltkrieg will sie nichts zu tun haben. Weder Parteichef Lindner noch der Fraktionschef im Bundestag, Dürr. Echt jetzt?

© KITTIHAWK/Christiane Lokar für die taz
Den Bauernopfern Generalsekretär Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Reymann rief Lindner noch schmähend hinterher, das sei ein „Praktikanten-Papierchen“. Liberale Führung. Lindner versucht derweil, mit einer Aufreger-Debatte über Kettensägen-Politik abzulenken. Harte Wirtschaftspolitik soll die FDP retten. Ob das gut geht?
Die Frage beantwortete nach den für die Partei desaströsen Landtagswahlen in Ostdeutschland „KITTIHAWK“ . Für die Jury gebührt Christiane Lokar für ihre Karikatur vom 24. September in der „taz“ Platz 2. Wies sie mit beißendem Humor damit auch darauf hin, wo sie die FDP nach den vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar 2025 verortet? Das Thema hat für Lokar „der Markt erledigt“ – also Lindners Liberale sich selbst. Noch haben es die Wählerinnen und Wähler in der Hand, wo sie die Partei sehen wollen.
3. Preis Karikatur: Hintergründiger Aufschrei
Den dritten Preis der Karikaturen vergab die Jury an die Bremerin Miriam Wurster. Sie lenkt in ihrer unnachahmlichen Art die Sicht auf ein zu oft vernachlässigtes Thema: die wirklichen Herausforderungen für Frauen in Sachen Gewalt.

© Miriam Wurster für die Süddeutsche Zeitung
„Femizide“ erschien am 20. November 2024 in der „Süddeutschen Zeitung“. Für die Jury ein überfälliger Fokus auf ein immer und immer wieder an den Rand gedrängtes Thema, das sich täglich unter allzu vielen deutschen Dächern abspielt – auf allen Ebenen der Gesellschaft.
Ampel spezial
Schon die Einladung zur Preisverleihung für die Rückblende 2024 mit der Karikatur von Greser & Lenz bot einen Hinweis darauf, dass die Teilnehmenden das politische Jahr bis zum Einsendeschluss Ende November in den Blick nahmen.

© Greser & Lenz für die FAZ
Mit ihrer Zeichnung „Scholz zeigt Führung“ lassen die FAZ-Karikaturisten keinen Zweifel daran, was sie von der Entscheidung des Kanzlers Olaf Scholz (SPD) halten, die Koalition um die FDP zu erleichtern. „Wir machen als Fußgängerampel weiter“ zaubert Betrachtern trotz des verunsichernden Polit-Bebens spontan ein Lachen ins Gesicht. So ging es auch den Jurymitgliedern, die wissen, wie wichtig Humor gerade in schwierigen Zeiten ist.
Der Kanzler spielt auf
Für die Einladung zur Finissage der Berliner Ausstellung am 11. Februar 2025 wählte die Jury dieses heitere Foto von Guido Bergmann, das Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als Trompeter zeigt. Spielt Scholz in diesen Tagen zum letzten Mal auf – oder wird er das politische Orchester weiter anführen? Das Foto zeigt vertauschte Rollen mit Star-Trompeter Till Brönner.
Würden Sie Ihre Trompete dem Mund eines anderen lassen? Sollten die Mauern von Berlin am 8. Januar 2024 zum Einsturz gebracht werden, als dieses Foto entstand? Und ist Scholz am Ende doch viel lockerer, als die Bürger ihn in der Regel öffentlich zu sehen bekommen? Das Foto eröffnet viel Raum für politische wie persönliche Gedankenspiele.

© Bundesregierung/Guido Bergmann
Bei manchem Bild fragt man sich: War das wirklich 2024? Zu Jahresbeginn wurde mit Wolfgang Schäuble einer der prägenden Politiker zu Grabe getragen. Bauern protestierten wochenlang lärmend und brachten so viele Menschen gegen sich auf. Die Freigabe von Cannabis verwandelte nicht einmal Berlin in eine süßlich dampfende Glocke. Ganz anders als in New York, das eine große Cannabis-Wolke wurde. Der 35. Tag des Mauerfalls war für Viele nur noch „ein lokales Ereignis“, trotz all der Friktionen.
Selbst Ex-Kanzlerin Angela Merkel erhielt mit ihrem sorgfältig geplanten Rückblick nur kurz breite Aufmerksamkeit. Ihr spätes öffentliches Geständnis zum Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Atomausstieg sollte besonders bei ihren CDU-Parteigenossen nachhallen. Die Physikerin verriet nun vor großem Publikum, dass sie gedacht hatte, die Katastrophe von Tschernobyl habe es nur wegen der schlampigen Russen gegeben.
Mehr Vertrauen in die eigene Kreativität
Als so ein GAU dann den immer so korrekt wirkenden Japanern passierte, mochte selbst die kühle Physikerin nicht mehr an die Sicherheit dieser Energie glauben. Gespannt dürfen alle sein, ob sich die, die künftig politische Verantwortung tragen wollen, ihren knappen Kommentar zum Aus der Ampel zu Herzen nehmen werden: „Männer“.
Das Jahr 2024 hatte einen kaum mehr zu überblickenden Fundus an Themen – und damit Möglichkeiten, diese zu visualisieren. Verliert man da selbst manchmal den Blick für die eigene Kreativität? Bei der Karikaturenjury schlich sich das Gefühl ein, dass alle übers Jahr noch viel mehr sprühenden Witz gesehen hatten.
War das der Teilnahme unter Zeitdruck mit dem Ampel-Aus geschuldet? Vielleicht wäre mancher Teilnehmer selbst überrascht, aus welcher Vielfalt er auswählen könnte, würden sie oder er kontinuierlich ihre Perlen schon in einem Ordner für die nächste Rückblende sammeln, um die Teilnahme nicht zu verpassen.
Auch an die Fotografen von Demonstrationen hat die Jury aus der Erfahrung vieler Jahre einen Wunsch: Lassen Sie ihre Bilder sprechen, vertrauen Sie auf Ihre visuelle Expertise – und verzichten Sie auf Plakate mit dünnen oder dicken Schriftzügen. Die Schilder – egal, ob beim Bauern-Protest oder der Demo für die Demokratie – nehmen Ihren Fotos allzu oft die Wucht.
- Ampelkoalition
- Angela Merkel
- Christian Lindner
- Donald Trump
- Joe Biden
- Kamala Harris
- Kunst in Berlin
- Lars Klingbeil
- Olaf Scholz
- Rechtsextremismus
- SPD
- Taylor Swift
- Ukraine
- Wolfgang Schäuble
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