
© AFP/John Macdougall
Nutzung von Atomkraft in der EU: So positioniert sich Berlin im Streit mit Paris
Frankreich will, dass die Kernkraft beim Ausbau der erneuerbaren Energien in der EU eine Rolle spielt. Doch die Bundesregierung ist strikt dagegen. Aber einig ist die Ampel nicht.
Stand:
Der schöne Schein trog. Ende Januar wurde beim Treffen von Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit dem französischen Staatschef Emmanuel Macron zum 60. Jahrestag des Freundschaftsvertrages beider Länder eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, in der es am Rande auch um die Kernkraft ging.
Beide Seiten hatten dabei anscheinend einen Kompromiss über die heikle Frage erzielt, inwieweit bei der zukunftsträchtigen Erzeugung von Wasserstoff auch die Atomkraft zum Einsatz kommen kann. Doch jetzt ist ein neuer Streit zwischen beiden Ländern über die Lesart der Erklärung aufgeflammt.
„Durch die Hintertür will Frankreich die Ambitionen beim Ausbau der erneuerbaren Energien senken“, heißt es aus EU-Diplomatenkreisen. In der deutsch-französischen Erklärung vom 22. Januar stand geschrieben, dass „sowohl erneuerbarer als auch kohlenstoffarmer Wasserstoff“ zum Zuge kommen kann, um die Abhängigkeit der Europäer von Kohle und Gas zu verringern. Unter „kohlestoffarmem Wasserstoff“ versteht man in Paris derweil ein Verfahren, bei dem Atomstrom eingespeist wird. In Berlin will man indes verhindern, dass Frankreich die EU-Ziele zur Förderung der erneuerbaren Energien aufweicht.
Die Auseinandersetzung zwischen beiden Ländern wird dabei in mehreren Etappen geführt. Macron, der in den nächsten Jahren mindestens sechs neue Atomkraftwerke bauen lassen will, hat zunächst einmal die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf seine Seite gezogen. Am vergangenen Montag legte die Brüsseler Behörde Regeln für die Herstellung von erneuerbarem Wasserstoff vor. Darin sind Ausnahmen vorgesehen, denen zufolge Wasserstoff aus Atomstrom auch als „grün“ bezeichnet werden kann – ganz im Sinne Frankreichs.
Beim Streit um die Taxonomie fügte sich Scholz
In Paris geht man davon aus, dass Deutschland die Entscheidung der Kommission hinnehmen wird. Ähnlich war es auch vor einem Jahr im Streit um die sogenannte Taxonomie gelaufen. Auch damals hatte die Brüsseler Behörde einen sogenannten delegierten Rechtsakt vorgelegt, der Investitionen in die Kernkraft wegen des geringen Ausstoßes von Treibhausgasen als nachhaltig bezeichnete.
Auch wenn es seinerzeit in Berlin im von den Grünen geführten Umwelt- und Wirtschaftsministerium einen Aufschrei angesichts der Kommissionsentscheidung gab, konnte Kanzler Scholz in Brüssel das Vorhaben nicht verhindern.
Wie damals steht die Bundesregierung auch diesmal wieder vor dem Problem, dass sie nicht allein die Entscheidung der Kommission blockieren kann. Insgesamt wäre eine Mehrheit von 20 Mitgliedstaaten nötig, um den delegierten Rechtsakt wieder zu kippen.
„Ich sehe nicht, dass es eine Mehrheit unter den Mitgliedstaaten oder im Europaparlament gegen den delegierten Rechtsakt geben wird“, sagt Nicolás González Casares, Energieexperte der Sozialdemokraten im EU-Parlament.
Frankreich pocht auf bessere Bedingungen für Wasserstoff, der mit der Hilfe von Kernkraft erzeugt wird.
Nicolás González Casares, Energieexperte der Sozialdemokraten im EU-Parlament
In der nächsten Etappe des deutsch-französischen Streits geht es um eine Richtlinie zu erneuerbaren Energien. Hier geht es nicht bloß um die Erzeugung von Wasserstoff, sondern insgesamt um den künftigen Anteil von Erneuerbaren wie Wind, Sonne und Biomasse am Energiemix in der Europäischen Union. „Das entscheidende Problem besteht darin, dass Frankreich auch hier auf bessere Bedingungen für Wasserstoff pocht, der mit der Hilfe von Kernkraft erzeugt wird“, sagt Casares.
Casares stammt aus Spanien, und sein Land steht ebenso wie Deutschland einer möglichen Anrechnung der Kernkraft auf die erneuerbaren Energien skeptisch gegenüber. In spanischen Regierungskreisen ist man ebenso wie in der Bundesregierung der Ansicht, dass Kernkraft nicht als erneuerbare Energie eingestuft werden dürfe.
In diesem Punkt ist – anders als in der Auseinandersetzung um den delegierten Rechtsakt – noch offen, wie der Streit zwischen Deutschland und Frankreich ausgeht. Das Thema dürfte auch eine Rolle spielen, wenn Außenamts-Staatssekretär Andreas Michaelis in der kommenden Woche seine regelmäßige Video-Schalte mit seinem Pendant in Paris, der Diplomatin Anne-Marie Descôtes, abhält.
In Berlin wird derzeit zwischen Kanzleramt und Wirtschaftsministerium eng koordiniert, wie man sich gegenüber Paris in der Diskussion um den Stellenwert der Kernkraft im Rahmen der erneuerbaren Energien positioniert.
Vollkommen einig sind sich die Ampel-Parteien aber nicht in der Bewertung der Atomkraft. FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler hält die Position Frankreichs für nachvollziehbar. „Hinsichtlich der Definition von klimaneutralem Wasserstoff kann aus meiner Sicht die Kernenergie auch weiterhin eine Rolle spielen“, sagt der Liberale. „Solange der Wasserstoff ohne CO₂ produziert wird, hilft er dem Klimaschutz“, zeigt er sich überzeugt.
- Atomkraft
- Bundesregierung
- Die EU
- Emmanuel Macron
- Frankreich
- Friedrich Merz
- Olaf Scholz
- SPD
- Ursula von der Leyen
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: