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Sahra Wagenknecht in der 51. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude.

© imago/Future Image / IMAGO/Jean MW

Offener Machtkampf bei der Linken: „Bedrohlich für die Partei“

Nach der umstrittenen Rede von Sahra Wagenknecht im Bundestag eskaliert der Konflikt innerhalb der Linken - und ein Ausweg scheint nicht in Sicht.

Krach sind sie in der Linkspartei gewohnt. Aber was sich in diesen Tagen innerhalb der Partei und zum Teil in der Öffentlichkeit abspielt, hat fast etwas von Endzeitstimmung. Da sind prominente Linke wie Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, und der Ex-Abgeordnete Fabio de Masi, die ganz unterschiedlichen Lagern innerhalb der Partei zugerechnet werden und doch zu dem gleichen Schluss kamen: Sie erklärten in aller Öffentlichkeit ihren Parteiaustritt. Zudem ist ein seit langem schwelender Streit in der Fraktion nun offen ausgebrochen. Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner unterzeichnete einen Aufruf, in dem der Rücktritt der beiden Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali gefordert wird. Für die Partei geht es nun um die Existenz.

Auslöser für den jüngsten Eklat war wieder einmal die Abgeordnete Sahra Wagenknecht. Im Bundestag antwortete sie in der vergangenen Woche im Namen ihrer Fraktion auf Wirtschaftsminister Robert Habeck. Sie warf der Bundesregierung vor, "einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen" und forderte ein Ende der Sanktionen gegen Russland. Damit stellte sie sich gegen die Linie ihrer Partei, die auf dem Erfurter Parteitag Russlands Überfall auf die Ukraine als „verbrecherischen Angriffskrieg“ verurteilt hatte.

Wagenknecht spreche nicht für die Partei, hieß es bei ihren Kritikern bisher oft. Doch im Bundestag war zu beobachten, wie die meisten der anwesenden Linken-Abgeordneten nach der Rede im Bundestag applaudierten. Andere waren derart verärgert über Wagenknechts Auftritt, dass sie demonstrativ dem Plenarsaal fernblieben.

Mit dem Auftritt, bei dem Wagenknecht eben doch im Namen der Fraktion sprach, ist aus Sicht ihrer langjährigen Kritikerinnen und Kritiker nun offenbar endgültig eine Grenze überschritten. Drei ostdeutsche Linken-Politikerinnen fordern in dem auch von Martina Renner unterzeichneten Aufruf den Ausschluss Wagenknechts aus der Fraktion. Die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger kritisierte, die Austritte von Ulrich Schneider und vielen anderen Linken „gehen auch auf das Konto einer ganzen Reihe unprofessioneller Entscheidungen der Fraktion“. Deshalb forderte sie „strukturelle Änderungen“. Auch die Linken-Abgeordnete Kathrin Vogler rief ihre Partei auf, „endlich die nötigen Konsequenzen“ zu ziehen, damit die Linke für Schneider und andere wieder „politische Heimat“ sein könne.

Aus dem Berliner Landesverband, der bisher vergleichsweise stabil durch die anhaltende Krise der Partei glitt, werden nun ebenfalls Austrittsforderungen gegenüber Wagenknecht laut. „Sahra Wagenknecht sollte die Bundestagsfraktion und die Partei verlassen“, sagte das Landesvorstandsmitglied Elif Eralp dem Tagesspiegel. Sie warf Wagenknecht vor, „schon lange nicht mehr“ die Positionen der Partei zu vertreten. Eralp forderte darüber hinaus, dass das „Bündnis“ zwischen Anhängern von Fraktionschef Dietmar Bartsch und Gefolgsleuten Wagenknechts, „das diesen Zustand jahrelang mitgetragen hat“, ein Ende haben müsse. Zwar spricht Eralp als Beisitzerin nicht für den Vorstand, dem Vernehmen nach wird ihre Haltung aber durch eine deutliche Mehrheit gestützt.

Dafür sprechen unter anderem Äußerungen der Co-Landeschefs Tobias Schulze, Pascal Meiser und auch Sandra Brunner in den vergangenen Tagen. Alle drei hatten deutlich gemacht, dass mit der Forderung nach einem Ende der Sanktionen gegen Russland eine Grenze überschritten sei. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel bezeichnete Schulze die Lage als „wirklich bedrohlich für die Partei“.

Die Führung der Bundestagsfraktion, heißt es intern, habe Wagenknecht vor ihrer Rede die Zusage abgerungen, dass sie nicht die Öffnung der Gas-Pipeline Nord Stream 2 fordern werde. Denn mit dieser Position stellte sie sich gegen die Mehrheitsmeinung der Partei. Dass sie dann vom „Wirtschaftskrieg“ gegen Russland sprach, sehen nicht nur ihre Kritiker in der Partei als kalkulierte Provokation.

Wagenknecht drohte bereits indirekt mit Parteiaustritt

Der Ärger in der Fraktion ist auch deshalb groß, weil Wagenknecht eigentlich in der Debatte über den Haushalt des Wirtschaftsministeriums gar nicht hätte sprechen sollen. Bei den anderen Ressorts schickte die Linke jeweils einen Haushaltsexperten und einen Fachpolitiker ans Rednerpult. Wagenknecht ist weder das eine noch das andere. Der zuständige energiepolitische Sprecher Ralph Lenkert legte nach der Entscheidung für Wagenknecht sein Amt nieder.

Fraktionsintern heißt es, Wagenknecht habe den Zuschlag für die Rede als „Ausgleich“ bekommen, weil sie bei der Demonstration der Linken in Leipzig nicht auf der Bühne stand. Die Ex-Fraktionschefin hatte sich beschwert, sie sei als Rednerin bei der Kundgebung erst ein- und dann ausgeladen worden. Der Leipziger Abgeordnete Sören Pellmann, der oft zu Wagenknechts Unterstützern gezählt wird, berichtete dagegen, sie habe zunächst gesagt, der Termin passe ihr nicht.

Auch um eine Demonstration der Linken in Leipzig gab es vorab eine parteiinterne Kontroverse.
Auch um eine Demonstration der Linken in Leipzig gab es vorab eine parteiinterne Kontroverse.

© Foto: dpa/Jan Woitas

Wegen der angeblichen Ausladung hatte Wagenknecht indirekt gedroht, die Partei zu verlassen. Tatsächlich mehren sich seit einiger Zeit die Hinweise, dass das Lager um die umstrittene Politikerin ernsthaft über einen solchen Schritt nachdenkt. Beim Parteitag in Erfurt konnten sich Wagenknecht und ihre Anhänger personell und inhaltlich nicht durchsetzen. Die Fraktionsführung, so schildern es deren Unterstützer in der Partei, müsse darauf achten, dass die Linke nicht durch den Austritt von Abgeordneten den Fraktionsstatus verliere. Bartsch warnte bereits vor „Spaltungsversuchen, eine Mahnung, die eher an die Wagenknecht-Kritiker gerichtet schien.

Am Freitag, einen Tag nach der umstrittenen Rede, berieten die Linken-Fraktionsvorsitzenden aus Bund und Ländern über den Konflikt und verständigten sich darauf, sich nicht öffentlich zu Wagenknechts Auftritt zu positionieren, weder in die eine noch in die andere Richtung. Man wolle „ein Stück weit Vorbild“ sein, hieß es aus der Runde – doch da war der Streit längst eskaliert.

Mit Spannung wird nun die Sitzung der Bundestagsfraktion am Dienstag erwartet. Auf eine Frage haben selbst Linken-Politiker mit langjähriger Erfahrung in diesen Tagen keine Antwort: wie die Partei aus diesem Konflikt ohne weiteren Schaden herausfinden kann. Wagenknecht selbst rechtfertigte sich am Mittwoch für ihre Rede: Sie habe „selten so viel Zuspruch aus der Bevölkerung“ bekommen.

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