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Bundesfinanzminister Olaf Scholz und die deutsche Generalkonsulin Tatjana Schenke-Olivieri fahren zum G20 Gipfel in Venedig.

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Olaf Scholz wittert neues „Momentum“: So will die SPD an den schwächelnden Grünen vorbeiziehen

SPD und Grüne liegen in einer Umfrage wieder gleichauf. Das zeigt, wie offen das Rennen ist, in dem alle Kandidaten Probleme haben und selten überzeugen.

Mein Name ist Scholz, Olaf Scholz. Für das richtige James Bond-Gefühl fehlt nur die Sonnenbrille, als der Vizekanzler mit der deutschen Generalkonsulin Tatjana Schenke-Olivieri in einem Boot zum G20 Gipfel in Venedig fährt. Auch Daniel Craig nutzte den Wasserweg im Bond-Film „Casino Royale“, er steuerte das antike Segelboot Soufrière über den Canale Grande. Scholz versucht sich hier in der Lagunenstadt als der zu inszenieren, der das globale Casino Royale etwas an die Kette legt.

Er spricht von einem „historischen Beschluss“, dass sich die Finanzminister der G20-Staaten auf die Einführung einer Mindeststeuer von 15 Prozent für global agierende Unternehmen geeinigt haben, damit müssten auch Amazon, Apple und Co. in Deutschland künftig hohe Summen an den Fiskus abführen, aber auch deutsche Autokonzerne in den USA.

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Der endgültige Beschluss soll beim G20-Treffen der Staats- und Regierungschefs Ende Oktober in Rom fallen. Bei den auch von Scholz vorangetriebenen Verhandlungen war zuvor am 1. Juli im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein Durchbruch erzielt worden. 132 von 139 Mitgliedern des sogenannten Inclusive Framework der OECD unterstützen derzeit das Vorhaben.

Doch welche Konzerne wieviel Steuern in welchen Staaten künftig genau mehr bezahlen sollen, ist eine der offenen Fragen. Genauso, ob am Ende genug Länder verbindlich mitmachen.

Scholz meint dennoch optimistisch: „Endlich können sich große Konzerne nicht mehr ihrer Steuerpflicht entziehen“. Die Steuer solle ab 2023 greifen. Es hatte kaum jemand daran geglaubt, als er schon zu Beginn seiner Amtszeit immer wieder dieses Ziel nannte.

"Ein Wendepunkt", jubilieren sie in der SPD

Aber er ist hartnäckig – und kann Kompromisse schmieden. Es passt für ihn zu diesem Wochenende, dass er und die SPD auch zu Hause etwas Auftrieb verspüren. „Der Wendepunkt“, jubiliert der SPD-Stratege Michael Rüter. Erstmals seit langer Zeit ist die SPD in einer Umfrage gleich gezogen mit den Grünen, beide bei 17 Prozent in einer Insa-Umfrage für die „Bild am Sonntag“, die Union steht bei 28 Prozent, die FDP liegt hier bei 12 Prozent.

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Scholz‘ Vertraute werden seit Wochen nicht müde, dieses Szenario als das zu beschreiben, das die Wende einleiten kann. Die SPD schiebt sich vor die Grünen und statt Laschet oder Baerbock wird über Laschet oder Scholz diskutiert. Und wer mehr das Zeug zum Kanzler hätte. Fast schon stolz teilen sie bei der SPD die Bilder, die Scholz in Venedig umringt von Journalisten aus aller Welt zeigen. Besonders mit der US-Finanzministerin Janet Yellen übt er den Schulterschluss, sie haben bei der Vorbereitung der Mindeststeuerpläne eng kooperiert.

Gefragt beim G-20-Treffen: Vizekanzler Olaf Scholz
Gefragt beim G-20-Treffen: Vizekanzler Olaf Scholz

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Mit 20 Prozent Kanzler?

Das Szenario ist nicht ausgeschlossen, dass er vielleicht das schlechteste Ergebnis der SPD in der Geschichte der Bundesrepublik holt (bisher 2017: 20,5 Prozent mit Kanzlerkandidat Martin Schulz) und dennoch Kanzlerambitionen anmelden könnte. Wenngleich, sollte es nur zu einem Dreierbündnis reichen, Jamaika unter Führung von Armin Laschet wahrscheinlicher sein dürfte, als eine von Scholz geführte Ampel mit Grünen und FDP. Zumindest zeigt es die Offenheit dieser Wahl. FDP-Chef Christian Lindner betont jedenfalls, er wage die Prognose, am Schluss gehe es um Schwarz-Grün oder um Jamaika. „Der Spekulation über die Ampel fehlt die inhaltliche Substanz.“

Scholz glaubt dagegen, Lindner notfalls überzeugen zu können, vor allem wenn es rechnerisch ansonsten für die Union mit den Grünen allein reichen sollte; die Ampel also die einzige Regierungsoption für die FDP wäre. Seine Strategen versuchen das Bild zu malen: Scholz arbeitet, während die anderen sich verheddern, sei es in Schummelei-Affären oder im Fall Hans-Georg Maaßen. Doch der schöne Schein hat mehrere Haken, die bei der respektablen Bilanz als Finanzminister in der Corona-Krise nicht vergessen werden sollten.

"Kokolores": Robert Habeck will nicht für Annalena Baerbock als Kanzlerkandidat einspringen.
"Kokolores": Robert Habeck will nicht für Annalena Baerbock als Kanzlerkandidat einspringen.

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Scholz' Problem sind die Vorsitzenden

Die SPD hat mit Saskia Esken und Norbert-Walter-Borjans zwei Vorsitzende, die die Partei wieder mehr nach links gerückt haben, immer wieder irritieren und mitunter überfordert wirken. Generalsekretär Lars Klingbeil wende viel Kraft und Zeit auf, öffentlichen Schaden durch die beiden zu vermeiden, sagt einer mit Einblick in die internen Abläufe.

Längst laufen Planspiele, sie abzulösen, im Dezember steht die Neuwahl der Parteispitze an. Sowohl Klingbeil als auch Arbeitsminister Hubertus Heil loten ihre Chancen aus, heißt es aus der Bundestagsfraktion. Gewinnt Manuela Schwesig die parallel zur Bundestagswahl stattfindende Wahl in Mecklenburg-Vorpommern, könnte sie, wenn sie denn will, versuchen mit einem der beiden Herren für eine Doppelspitze zu kandidieren.

Scholz ist hier schon einmal gescheitert, natürlich wäre es immer die stabilste Variante, wenn ein möglicher Kanzler auch Chef seiner Partei wäre. Aber die skizzierte und intern diskutierte Option würde ihm mehr helfen als die jetzige Konstellation.

Zugleich ist aber ein Linksruck der Fraktion zu erwarten, die Jusos haben viele Kandidatinnen und Kandidaten in Stellung gebracht, es wird damit gerechnet, dass Matthias Miersch von der Parlamentarischen Linken nach dem Fraktionsvorsitz nach der Bundestagswahl greifen könnte. Eine Reihe profilierter Sozialdemokraten wie Ulla Schmidt, Christoph Matschie, Martin Schulz oder Fritz Felgentreu werden dem Bundestag nicht mehr angehören, andere wie der oft quer zur Parteilinie stehende Abgeordnete Florian Post werden im Wahlkampf als „persona non grata“ behandelt.

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Die Schwäche der Anderen

Das wirft die Frage auf: Welche Freiheit hätte Scholz, sollte er regieren? Der Unterschied zu den Mitbewerbern: Scholz kann die SPD nach oben ziehen, wird für den richtigen Kandidaten gehalten, während in der Union viele lieber Markus Söder gesehen hätten und bei den Grünen Robert Habeck statt Annalena Baerbock.

Die innerparteilichen Probleme im Hintergrund hat auch ein Armin Laschet, einige halten ihm vor, den rechten Rand in der CDU zu stärken, durch sein machtloses Laufenlassen der Provokationen des früheren Verfassungsschutzchefs Maaßen, der in Südthüringen für die Union in den Bundestag einziehen will.

[Lesen Sie auch: Wie Baerbock mein feministisches Weltbild ins Wanken brachte (T+)]

Der Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels von CDU und CSU im Bundestag, Uwe Schummer, nennt ihn „eine rollende Kanonenkugel auf einem Schiffsdeck“. Er hat das Zeug, Laschet immer wieder in die Bredouille zu bringen, zudem kann das Klimathema im Sommer mit weiteren Wetterextremen wieder an Fahrt gewinnen, ebenso Corona. Da muss Laschet nur auf die explodierenden Zahlen durch die Deltavariante in den Niederlanden schauen, dennoch dürfen in NRW auch wieder Discos in Regionen mit einer Inzidenz unter 10 öffnen. Und Laschet steht wieder als riskanter Lockerer dar, zudem bleibt er bei der Umsetzung der Klimaziele sehr vage.

Robert Habeck ist zurück

Aber das Wochenende hat noch einen zweiten Gewinner. Mit einem Interview in der "Süddeutschen Zeitung" hat sich Robert Habeck zurückgemeldet, er hat lange geschwiegen, gilt als authentisch und ist nicht der Typ, der versucht, durch Aufhübschungen im Lebenslauf Eindruck zu schinden.

Armin Laschet ist derzeit in der Favoritenrolle für das Kanzleramt.
Armin Laschet ist derzeit in der Favoritenrolle für das Kanzleramt.

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Er nennt Spekulationen über einen Austausch Baerbocks „Kokolores“. Aber er räumt auch ein: „Es gab handwerkliche Fehler.“ Und richtig engagiert springt er ihr nicht bei. Wenn er ab diesem Montag auf Sommertour geht, wird er stark im Fokus stehen, während Baerbock im Urlaub ist.

Die aktuelle Lage stärkt den Ko-Parteichef, vor allem wenn es um eine Machtverteilung in einer neuen Regierung nach der Wahl gehen sollte. Doch er hat Recht, gelaufen ist noch nichts, bisher wird teils sehr einseitig auf Baerbock geschaut, aber neue Probleme sollten nun nicht mehr kommen, um einen Abwärtssog zu vermeiden.

Was deutlich wird: Keiner der drei Kandidaten überzeugt laut Umfragen bisher, um die Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel anzutreten. Auch das macht es so offen.

Laschet wie Scholz profitieren bisher davon, dass auf ihre Schwachstellen – bei Scholz vor allem seine angeblichen Erinnerungslücken beim CumEx-Skandal der Warburgbank als Erster Bürgermeister in Hamburg - weniger stark geschaut wird, zugleich haben die Grünen mit dem Krisenmanagement einige Feuer noch zusätzlich angefacht. Scholz jedenfalls fühlt die SPD nun in Schlagdistanz zu den Grünen – und sieht ein neues „Momentum“.

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