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„Bereit für den Wahlkampf“: Grünes Gruppen-Kuscheln beim Parteitag in Wiesbaden
Eigentlich stecken die Grünen in der Krise, doch auf ihrem Parteitag in Wiesbaden herrscht gute Laune. Um Inhalte geht es nur am Rande.
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Die Box, in die die Grünen-Mitglieder ihren Namen einwerfen können, um sich für einen Redebeitrag bewerben zu können, quillt über. Immer wieder versuchen Mitarbeiter, den Zettelberg in die Kiste zurückzudrücken. Auf die große grüne Bühne, über der „Der Start sind wir“ geschrieben steht, schafft es nur ein Bruchteil der Redewilligen.
Groß war das Gesprächsbedürfnis der Grünen am ersten Abend ihres dreitägigen Parteitages in Wiesbaden. Neun Tage nach der Wahl von Donald Trump in den USA und dem Bruch der Ampel-Regierung in Berlin, sieben Wochen nach dem angekündigten Rückzug der Grünen-Spitze um Omid Nouripour und Ricarda Lang, Monate nach den krachenden Wahlniederlagen in Europa, Thüringen, Sachsen und Brandenburg.
In seinem Bewerbungsvideo für das Kanzleramt hatte Robert Habeck die Bürgerinnen und Bürger zu Gesprächen am Küchentisch eingeladet. Davor waren am Freitagabend erst einmal die Parteifreunde am Zug.
Doch anders als man vermuten könnte angesichts der Krisen, Wahlschlappen und Führungslosigkeit ist die Stimmung in der großen Kongresshalle im Herzen Wiesbadens gut. 9000 Mitglieder habe man seit dem Ampel-Bruch gewonnen, freut sich die scheidende Bundesgeschäftsführerin Emily Büning in ihrer Begrüßungsrede. Mehr als 700.000 Euro an Kleinspenden habe man in nur einer Woche gesammelt. „Wir sind bereit für den Wahlkampf“, sagt Büning.
Ganz so weit ist es jedoch noch nicht. Am Samstag soll zuerst ein neuer Bundesvorstand gewählt werden, am Sonntag dann Robert Habeck als „Kandidat für die Menschen in Deutschland“ – ein Kanzlerkandidat light, im Spitzenduo mit Annalena Baerbock.
Die Außenministerin ist es auch, die die erste große Rede des Abends hält. Sie fällt ernst aus, denn Baerbock blickt zurück. „Wir sind 1000 Tage in der Situation, dass der Angriffskrieg nach Europa zurückgekommen ist“, sagt Baerbock. Der russische Überfall auf die Ukraine ist ihre Erzählung, warum die Ampel in die Krise geraten ist. „Wir konnten nicht einfach unseren Koalitionsvertrag Seite für Seite abarbeiten“, sagt sie.
Inhaltlich könnte es um Klima und Gerechtigkeit gehen
Zudem hätten die Grünen in der Ampel die großen Probleme, die die GroKo zuvor liegengelassen habe, endlich angepackt: die Sanierung der Bahn, die Unabhängigkeit von russischer Energie, der Kampf gegen die Klimakrise, die Beseitigung des Fachkräftemangels. Baerbocks Credo: Es hat die Grünen in der Regierung gebraucht und es braucht sie auch weiter.
Doch der Weg dahin ist weit. In Umfragen scheinen die Grünen bei zehn bis zwölf Prozent festzukleben. Wie den Grünen die Wende gelingen soll, ist völlig unklar. „Wir müssen diese drei Tage nutzen, um über die nächsten drei Monate zu reden“, sagt Robert Habeck in seiner kurzen Rede. Er wirkt befreit, anders als auf dem Parteitag in Karlsruhe vor einem Jahr muss er sich nicht für die Ampel-Beschlüsse rechtfertigen. „Es gibt keine FDP und es gibt keinen Christian Lindner mehr in dieser Regierung“, ruft Habeck unter dem großen Jubel des Saals.
Inhaltlich lässt er sich noch nicht in die Karten schauen. Das blitzt nur bei Baerbock durch, die deutlich länger als Habeck spricht und in ihrer Rede auch die Folgen der Inflation thematisiert. Sie sei „die Herausforderung unserer Zeit“, sagt die Außenministerin. Die Grünen bräuchten dafür Antworten, wie das Deutschlandticket, die Mietpreisbremse, einen höheren Mindestlohn und die Strompreisbremse. „Sich diesen Themen noch intensiver zu stellen, heißt nicht, dass wir unsere Kernthemen aufgeben.“
Wie weit die Grünen die Gerechtigkeitsdebatte drehen wollen, wird sich erst am Samstag zeigen. Dann wird es wohl Abstimmungen über die Forderung nach einer Vermögenssteuer geben. Die Grüne Jugend will gar ein Ende des „Spardiktats“. Die Organisatoren haben die Diskussion darüber wohlweislich in die Abendstunden gelegt, denn es dürfte dabei nicht nur geredet, sondern auch gestritten werden.
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