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Die teileingestürzte Carolabrücke in Dresden wird abgerissen.

© IMAGO/Sylvio Dittrich

Reform der Schuldenbremse : Deutschland braucht die ganz große Koalition

Mehr Kampfbomber oder mehr Kindergärten? Solche Debatten zerreißen das Land. In historischen Krisenzeiten darf Sparsamkeit kein Dogma sein.

Malte Lehming
Ein Kommentar von Malte Lehming

Stand:

Die gute Nachricht vorweg: Es ist viel Geld da. Die Beschäftigungsrate ist konstant hoch. Noch nie haben die Arbeitnehmer so viel an Lohnsteuer und Sozialabgaben an den Bund gezahlt wie in den vergangenen Jahren. Die Steuerschätzung für das kommende Jahr geht von einer Billion Euro aus.

Konstant niedrig ist die Zahl der Arbeitslosen. Das freut die Bundesagentur für Arbeit, weil es die Ausgaben begrenzt. Außerdem sind die Deutschen, im Durchschnitt, ziemlich wohlhabend. Ihr privates Geldvermögen beläuft sich laut Bundesbank auf 7,5 Billionen Euro. Da ließe sich im Notfall, durch eine moderat höhere Vermögenssteuer, auch noch etwas machen.

Leider steht der guten Nachricht eine triste Wirklichkeit gegenüber. Das viele Geld ist, gemessen am Bedarf, zu wenig. Jedenfalls dann, wenn Deutschland ein modernes, energieunabhängiges, klimafreundliches, soziales, verteidigungsfähiges, innovationsfreudiges Land werden soll. An dieser Frage ist die Ampelkoalition zerbrochen. In ihrem Zentrum steht die Schuldenbremse.

Merkel hatte sich als „schwäbische Hausfrau“ präsentiert

Im Jahr 2009 – in einer Zeit also, die geprägt war von den Schocks der globalen Finanzkrise und der aufkommenden Eurokrise – ergänzte der Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz. Bund und Länder wurden gezwungen, ihre Haushalte weitgehend ohne neue Kredite zu finanzieren. Für die Länder gilt das Verschuldungsverbot seit 2020 absolut. Der Bund unterliegt seit 2016 einer strikten Begrenzung der erlaubten Kreditaufnahme.

Angela Merkel, damals Bundeskanzlerin, hatte sich 2008 auf dem CDU-Bundesparteitag als „schwäbische Hausfrau“ präsentiert. Eine gesunde Haushaltsführung müsse auch an Sparsamkeit orientiert sein, hieß das.

Doch seit 2020 überschlagen sich Ereignisse, die staatliche Interventionen unumgänglich machen. Es begann mit der Corona-Pandemie, gefolgt von Impfkampagnen, Wirtschaftshilfen, Kurzarbeitergeld. Dann kam die „Zeitenwende“, der russische Überfall auf die Ukraine, gefolgt von einer Sonderausgabe in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Stärkung der Bundeswehr. Hinzu kamen umfassende Militärhilfen, die Versorgung der Flüchtlinge, eine radikale Umstellung der Energieversorgung.

Inzwischen ist selbst Merkel von ihrer einstigen haushaltspolitischen Leitlinie abgerückt, wie sie in ihren aktuell erscheinenden Memoiren ausführt. Dort bezeichnet sie die „Idee der Schuldenbremse mit Blick auf nachfolgende Generationen“ zwar als weiterhin richtig.

„Um aber Verteilungskämpfe in der Gesellschaft zu vermeiden und den Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung gerecht zu werden, muss die Schuldenbremse reformiert werden, damit die Aufnahme höherer Schulden für Zukunftsinvestitionen möglich wird“, räumt Merkel jedoch ein.

Unternehmen schließen ihre Werke oder ziehen ins Ausland

Die Liste der dringend notwendigen Investitionen ist wahrlich lang. Meldungen über marode Brücken, Straßen und Bahntrassen häufen sich. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur verläuft schleppend. Unternehmen schließen, oft aufgrund gravierender Standortnachteile, ihre Werke oder ziehen ins Ausland.

Eine Zeitlang versuchte die Bundesregierung, die erforderlichen Kredite durch Tricks, genannt Umschichtungen oder Fonds, zu finanzieren. Doch eine solche Umgehung der Schuldenbremse untersagte das Bundesverfassungsgericht im November 2023. Das verschärfte das Problem. Plötzlich tun sich dramatisch klingende Alternativen auf: Ukraine unterstützen oder Armutsfolgen im eigenen Land lindern? Bundeswehr modernisieren oder Brücken reparieren?

Sparsamkeit darf kein Dogma sein

SPD, Grüne und Gewerkschaften fordern eine Reform der Schuldenbremse. Sie haben recht. Wer Sparsamkeit selbst in historischen Krisenzeiten zum Dogma macht, versündigt sich am Land und dem Zusammengehörigkeitsgefühl seiner Bewohner. Mehr Kampfbomber oder mehr Kindergärten? Solche Debatten zerreißen das Land.

Auch mehrere CDU-Länderchefs plädieren für eine Reform der Schuldenbremse, darunter Kai Wegner (Berlin), Daniel Günther (Schleswig-Holstein), Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt). Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg ist offen für eine Lockerung auf Länderebene.

Und Friedrich Merz? Der steckt in der Bredouille. Einerseits will er kein Umfaller sein. Die Schuldenbremse hat er stets verteidigt. Andererseits hat die Union zusammen mit SPD und Grünen eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Die könnte nach der vorgezogenen Bundestagswahl gefährdet sein. Dann wären AfD, BSW und FDP womöglich in der Lage, eine Reform zu verhindern.

Der Anspruch von Merz, als künftiger Kanzler eine moderne und soziale Politik gestalten zu wollen, könnte schlicht an den dafür erforderlichen Mitteln scheitern. „Act now, Mr Merz“, schreibt ihm der „Economist“ ins Gewissen. Viel Zeit, um zu handeln, bleibt nicht.

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