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Wahlkampf zur Bundestagswahl 2025 in Berlin: Plakat des damals noch amtierenden Kanzlers Olaf Scholz (SPD), im Hintergrund sein Herausforderer und heutiger Kanzler Friedrich Merz (CDU).

© Imago/Jakub Porzycki

Reform des politischen Systems: Sollte der Kanzler nur alle sieben Jahre gewählt werden?

Dauerstreit in den Regierungsbündnissen, sinkendes Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Institutionen: Braucht Deutschland eine Reform seines politischen Systems?

Stand:

Schon kursieren sie wieder im Zentrum der politischen Macht, Begriffe wie „Regierungsbruch“ oder „Minderheitsregierung“. Vor einem Jahr scheiterte die Ampelkoalition am Streit um die wirtschaftspolitische Ausrichtung. Nun tobt der Rentenstreit durch die Republik und bringt Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in arge Nöte.

Muss man sich in Deutschland an die ewigen Keilereien in den immer fragiler werdenden Regierungsbündnissen gewöhnen? Der Jurist und Buchautor Ferdinand von Schirach hat anscheinend genug vom politischen Dauerstreit – und fordert in der ARD-Sendung „Caren Miosga“ nichts anderes als eine Revolution: Das seit 1949 geltende politische System soll nach Ansicht des 61-Jährigen mit einer Grundgesetzänderung umgekrempelt werden.

Raus aus der Dauerwahlkampfschleife

Von Schirachs Kernforderungen: Der Kanzler, die Kanzlerin, wird auf eine Amtszeit von sieben Jahren gewählt, ohne die Möglichkeit der Wiederwahl. Die 16 Bundesländer wählen ihre Landtage alle gleichzeitig – ebenfalls im Rhythmus von sieben Jahren, und zwar mit einem Abstand von dreieinhalb Jahren zur Bundestagswahl.

Nicht zuletzt: Von Schirach schlägt vor, dass ein Kanzler oder eine Kanzlerin während der Amtszeit drei Gesetze am Parlament vorbei beschließen dürfe. Das Bundesverfassungsgericht soll dabei die Rechtmäßigkeit prüfen.

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Die Idee dahinter: das politische System zu beruhigen und aus der Dauerwahlkampfschleife herauszuführen, damit sich die Politik künftig nicht mehr von Umfragen leiten lässt, sondern ihre zentrale Aufgabe für das Land ohne allzu starke Nebengeräusche wahrnehmen kann.

Ein Wahlplakate mit Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) liegt wenige Tage vor der Bundestagswahl im Februar 2025 auf dem Boden im brandenburgischen Nauen.

© dpa/Kay Nietfeld

„Nur so würden Sie solche schwierigen Sachen wie eine Rentenreform hinbekommen. In Koalitionen, wie wir sie heute haben, wo eine Partei, die nur noch 16 Prozent bei einer Wahl bekommt, bestimmt, was gemacht wird, geht das schief“, sagte von Schirach in Anspielung auf den mächtigen Juniorpartner in der schwarz-roten Koalition, die SPD.

Wenn man sich Gedanken darüber macht, wie man eine Demokratie, die stark an Vertrauen verloren hat, stärken kann, dann muss man tatsächlich über Reformen nachdenken.

Wolfgang Merkel, Demokratieforscher

Von Schirachs Idee dürfte aber nur schwer umsetzbar sein. Denn für eine Grundgesetzänderung braucht es die Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat.

Sicher ist aber: Von Schirach lässt sich bei seinem Vorschlag nicht alleine vom Bauchgefühl leiten. Tatsächlich ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen in den vergangenen Jahren deutlich gesunken.

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© DIW I Tagesspiegel/Rita Boettcher

Abwegig sei der Vorschlag nicht – jedenfalls nicht die Intention dahinter, Reformen des politischen Systems anzustoßen, sagt der renommierte Demokratieforscher Wolfgang Merkel dem Tagesspiegel. „Wenn man sich Gedanken darüber macht, wie man eine Demokratie, die stark an Vertrauen verloren hat, stärken kann, dann muss man tatsächlich über Reformen nachdenken. Dann kann man so nicht weitermachen wie bislang.“

Merkel versteht von Schirachs Vorstoß als „Anreiz, zu diskutieren, wie wir es schaffen, ein politisch-demokratisches System zu installieren, das demokratisch bleibt, aber entscheidungsmächtiger wird.“

Durch den Niedergang der klassischen Volksparteien und die damit einhergehende Fragmentierung der politischen Landschaft seien die politischen Akteure gewissermaßen im Dauerwahlkampfmodus. „Die Wettbewerbssituation hält die politischen Parteien in einer Art von Gefangenschaft, weil sie ihre parteiischen Interessen sichtbar machen müssen“, sagt Merkel.

Dabei falle es den Parteien zunehmend schwer, „Entscheidungen für das Allgemeinwohl“ zu treffen. Bürgerinnen und Bürger erwarteten, dass Probleme gelöst werden. „Doch daran mangelt es, und deshalb ist das Vertrauen in die politischen Eliten und in die Institutionen knapp geworden“, sagt der Demokratieforscher.

Merkel kann der Idee, den Regierungschef künftig auf sieben Jahre zu wählen und diesen mit „Kanzlergesetzen“ auszustatten, dennoch wenig abgewinnen. „Wir müssen uns vielmehr fragen, wie wir das System entscheidungsfähiger machen können, ohne das Parlament dabei zu entmachten“, gibt Merkel zu bedenken. Dennoch sei die Überlegung nicht falsch, die Exekutive zu stärken. „Man kann die Position des Kanzlers über eine höhere Präsenz bei der Bestimmung der Richtlinien der Politik stärken“, sagt Merkel.

Wahlplakate für die Bundestagswahl 2025 hängen dicht hintereinander an Bäumen in Heilbronn.

© dpa/Bernd Weißbrod

Sympathien hegt der Demokratieforscher hingegen für den Vorschlag, die Landtage zeitgleich zu wählen – auch, um den Einfluss von Umfrageinstituten auf die Politik zu minimieren. „So ließe sich der demoskopische Imperativ durchbrechen“, sagt Merkel.

Warnung vor „Präsidialsystem“

Auch Simon T. Franzmann, Direktor des Instituts für Demokratieforschung in Göttingen, erkennt Reformbedarf im politischen System und begrüßt die Diskussion, hält die Vorschläge von von Schirach allerdings für ungeeignet. „Würden wir die Exekutivspitze auf sieben Jahre wählen, käme dies einem kompletten Systemwechsel gleich. Wir haben aus gutem Grund heute eine parlamentarische Demokratie, bei der sich der Kanzler oder die Kanzlerin der Mehrheit des Parlaments stellen muss“, sagt er dem Tagesspiegel.

Würden wir alle Landesparlamente an einem Tag wählen, käme dies der Bedeutung von Mid-Term-Wahlen in den USA gleich.

Simon T. Franzmann, Demokratieforscher

Die Position des Kanzlers sei mächtig genug. Er habe die Möglichkeit, die Vertrauensfrage als Disziplinierungsinstrument zu stellen. Der Vorschlag von von Schirach ziele auf die Einrichtung eines Präsidialsystems ab – „ein fundamentaler Widerspruch zu den Prinzipien der parlamentarischen Demokratie“, sagt er und fügt mit Verweis auf die Situation in den USA hinzu: „Ein Präsidialsystem kann einer einzigen Person sehr schnell sehr viel Macht geben.“

Franzmann sieht die Ideen grundsätzlich skeptisch. „Die Wiederwahl eines Kanzlers auszusetzen, halte ich für falsch“, sagt der Politikwissenschaftler. Das Modell der möglichen Wiederwahl sei mit einem „Belohnungs- und Sanktionssystem“ gleichzusetzen: Agiere der Kanzler oder die Kanzlerin zur Zufriedenheit einer Mehrheit der Bevölkerung, erfolge die Belohnung in Form der abermaligen Wahl – oder im anderen Fall die Abwahl. „Streichen wir das Instrument der Wiederwahl, fehlt dieses wichtige Instrument, das die Exekutive zur Rücksichtnahme auf die Bevölkerung verpflichtet“, gibt Franzmann zu bedenken.

Franzmann rät auch davon ab, die Termine für die Wahlen der 16 Landesparlamente zu vereinheitlichen. „Ein zu harter Eingriff in die föderalstaatliche Autonomie“, sagt er. Zudem würde das Ziel dahinter verfehlt, nämlich den Effekt von Landeswahlkämpfen auf die Bundespolitik zu minimieren.

„Würden wir alle Landesparlamente an einem Tag wählen, käme dies der Bedeutung von Midterm-Wahlen in den USA gleich“, sagt Franzmann. Eine solche Bündelung aller Landtagswahlen „hätte noch einen viel stärkeren Einfluss auf die bundespolitischen Geschäfte, würde landespolitische Themen verdrängen und der Demokratie auf Landesebene schaden.“

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