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„Schwerwiegende Mängel“ : Unionsexperte Röttgen kritisiert Wehrdienstgesetz von Pistorius scharf
Der Fraktionsvize von CDU/CSU fordert substanzielle Nachbesserungen am Entwurf des Verteidigungsministers von der SPD. Bei der Wehrpflicht pocht er auf einen Automatismus.
Stand:
Angesichts der veränderten Sicherheitslage aufgrund der gestiegenen Bedrohung durch Russland ist auch in Deutschland die Armee wieder deutlich mehr in den Fokus gerückt, die Bundeswehr soll gestärkt. Das gilt für Ausrüstung, Ausstattung – und Personal. Wie die angestrebte Sollstärke der Truppe erreicht werden kann, ist umstritten. Dabei geht es auch um eine mögliche Wehrpflicht.
Die Bundesregierung treibt in diesem Zusammenhang geplante Wehrdienstgesetz voran. Nun zeichnen sich allerdings Differenzen der Koalitionspartner ab. Der für Verteidigungs- und Außenpolitik zuständige Unions-Fraktionsvize im Bundestag, Norbert Röttgen, kritisiert mit Blick auf den Entwurf von Verteidigungsminister Boris Pistorius, CDU/CSU könnten die „schwerwiegenden Mängel nicht akzeptieren“.
Der Gesetzentwurf des SPD-Politikers, den das Kabinett am 27. August beschließen soll, ignoriere die sicherheitspolitischen Anforderungen in wesentlichen Bereichen, begründete Röttgen die Ablehnung der Unionsfraktion. So gebe es keine konkreten Zahlen und Zeitvorgaben, bis wann Deutschland welche Ziele beim Aufwuchs der Streitkräfte erreicht haben müsse. „Damit fehlt jeder Maßstab, ob wir auf Kurs sind – oder nachsteuern müssen“, sagte Röttgen der „Welt am Sonntag“.
Wir müssen substanzielle Verbesserungen erreichen und zu einem tragfähigen Kompromiss kommen.
Norbert Röttgen, Unionsfraktionsvize (CDU)
Der CDU-Politiker weiter: „Wir müssen substanzielle Verbesserungen erreichen und zu einem tragfähigen Kompromiss kommen, der die Kernaufgabe dieser Zeit erfüllt: die Bundeswehr substanziell zu stärken, weil die Sicherheit Deutschlands es verlangt.“

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Die Bundeswehr brauche laut Nato-Planungen bis 2035 rund 90.000 Berufs- und Zeitsoldaten mehr – zusätzlich zum jährlichen Regenerationsbedarf, so Röttgen. „Und wir können nicht erst 2033 anfangen zu fragen, woher all diese Soldaten kommen sollen.“
In dem Gesetz müssten Meilensteine definiert werden, in welchen Schritten man vorankommen wolle. „Wir müssen den Zeitraum in Jahresscheiben aufteilen und ab 2026 jedes Jahr netto 10.000 weitere Zeit- und Berufssoldaten einplanen. Wenn wir diese Ziele verfehlen, muss reagiert werden.“
Der für die Nato-Zusagen nötige Personalbedarf liegt dem Bericht zufolge nach einer ersten Grobschätzung des Verteidigungsministeriums bei künftig rund 460.000 Soldaten, davon 260.000 aktive Kräfte und 200.000 Reservisten. Es fehlen bei einer aktuellen Zahl von rund 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten also allein rund 90.000 aktive Soldaten.
„In diesem Gesetz müssen also Meilensteine definiert werden, in welchen Schritten wir vorankommen wollen“, so der CDU-Politiker. Ab 2026 müssten jedes Jahr netto 10.000 weitere Zeit- und Berufssoldaten eingeplant werden. „Wenn wir diese Ziele verfehlen, muss reagiert werden.“
Mit Blick auf eine Wehrpflicht wirft Röttgen dem Minister vor, die Formulierung im Koalitionsvertrag, man orientiere sich am schwedischen Wehrdienstmodell, nur teilweise umgesetzt zu haben. Das schwedische Modell „beinhaltet seit 2017 eine automatische Pflicht, wenn Jahresziele freiwillig verfehlt werden, was bisher stets der Fall war“, sagte Röttgen.
„Herr Pistorius verwirklicht in seinem Entwurf nur die eine Seite des Kompromisses, indem er ausschließlich auf Freiwilligkeit setzt, ohne Zielvorgaben zu machen oder einen klaren Mechanismus festzulegen, wann und unter welchen Bedingungen ein Spurwechsel von der Freiwilligkeit zur Wehrpflicht erfolgen muss. Das geht so nicht, da muss zwingend nachgebessert werden“, so der Verteidigungsexperte.

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Deutsche Männer sollen künftig mit 18 Jahren dazu verpflichtet werden, einen Fragebogen zu dem Thema auszufüllen, wie es zuletzt aus Regierungskreisen hieß. Für andere Geschlechter soll das freiwillig sein. Abgefragt werden sollen „Bereitschaft, Eignung und Verfügbarkeit für den Dienst in den Streitkräften“.
Es sei nicht akzeptabel, dass Pistorius allein den Vorstellungen der SPD folge. Deutschland könne sich „angesichts der sicherheitspolitischen Einschätzung, dass Russland 2029 kriegsfähig gegenüber der Nato sein wird, keine Zeitverschwendung leisten“. Wenn es um Krieg oder Frieden gehe, dürfe die Sicherheit Deutschlands und der Nato-Partner nicht der Parteitaktik zum Opfer fallen. „Es geht um eine nationale Selbstverpflichtung, die die Koalition erfüllen muss.“
In der SPD gibt es erhebliche Widerstände gegen einen verpflichtenden Wehrdienst, stattdessen wird auf Freiwilligkeit gesetzt. Auf dem Parteitag Ende Juni konnte ein drohender schwerer Streit abgewendet werden.
Wenn die Wehrpflicht erst bei einer verschärften militärischen Krisenlage aktiviert wird, sei sie kein Abschreckungs-, sondern ein Krisenreaktionsinstrument, erläuterte der CDU-Politiker. Zwar sei die Einführung der Musterung vom ursprünglich geplanten Jahr 2028 nun auf Juli 2027 vorgezogen worden. „Aber auch diese Verzögerung ist unverständlich.“
Die Unzulänglichkeiten des Gesetzentwurfs seien für die Union nicht tragbar: „Dies ist kein Gesetz, bei dem man Kompromisse eingehen kann, von denen man nicht überzeugt ist, mit der Hoffnung, es später zu korrigieren. Wir haben keine Zeit mehr für Fehler, die wir mit offenen Augen sehen. Wir müssen bis 2029 liefern, dieser Schuss muss sitzen“, sagte Röttgen. „Es geht um die Erfüllung einer nationalen, historischen Pflicht unserer Zeit.“
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