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Die SPD nach Scholz: Wie sich Lars Klingbeil an der Macht hält
Trotz des 16-Prozent-Debakels versucht SPD-Chef Klingbeil, sich zu halten und trickreich an die Spitze der Fraktion zu kämpfen. Kann das funktionieren?
Stand:
An diesem Dienstag werden die bisherigen und die künftigen SPD-Abgeordneten ab 13 Uhr zu einer gemeinsamen Fraktionssitzung zusammenkommen. Getagt wird im Otto-Wels-Saal, in dem die SPD seit dem Umzug des Parlaments nach Berlin 1999 zu Hause ist.
Aller Voraussicht nach muss die SPD jenen Raum 3S 001 aber künftig der AfD überlassen. Die AfD nämlich wird im künftigen 21. Deutschen Bundestag zweitstärkste Fraktion sein, die SPD nur noch drittstärkste. Den 462-Quadratmeter-Saal wird sie deshalb wohl nicht mehr beanspruchen können.
Viel sichtbarer könnte der Machtverlust für die SPD nach dem schlechtesten nationalen Wahlergebnis seit 1887 kaum sein. Am Mittwoch, wenn ab 10 Uhr die am Sonntag gewählte Fraktion, zusammentritt, wird sich der Machtverlust abermals zeigen: Der künftigen SPD-Fraktion gehören nur noch 120 Abgeordnete an. Bisher sind es 207 Abgeordnete. Die Reihen werden sich also lichten.
SPD-Chef Klingbeil musste rasch handeln
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sah sich gezwungen, schnell zu handeln und Fakten zu schaffen. Schon am späten Wahlabend, während das vorläufige amtliche Endergebnis noch auf sich warten ließ, schickte Klingbeil Fraktionschef Rolf Mützenich vor, um seine eigene Bewerbung um dessen Nachfolge zu verkünden. „Einstimmig schlagen wir Lars Klingbeil als Kandidat für das Amt des Fraktionsvorsitzenden der SPD im Deutschen Bundestag vor“ hieß es im Schreiben Mützenichs an die Fraktion.
In der Nacht warf Klingbeil selbst seinen Hut in den Ring. Bereits eine Stunde nach Schließung der Wahllokale hatte er einen „Generationswechsel“ in seiner Partei angemahnt. Das hieß auf gut Deutsch: Ich bleibe und strebe nach mehr.

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Die Machttaktik Klingbeils sollte man nicht unterschätzen. Seit langer Zeit profitiert er davon, dass er im Vergleich mit seiner Co-Vorsitzenden Saskia Esken als beliebter, erfolgreicher, umgänglicher gilt. Jünger als Esken, 63, ist Klingbeil, 47, ohnehin. Klingbeil hatte am Sonntag seinen Wahlkreis Rotenburg I - Heidekreis (Niedersachsen) mit 42,1 Prozent der Erststimmen verteidigt. Er wurde „Erststimmen-König“ der SPD. Esken kam in ihrem Wahlkreis Calw (Baden-Württemberg) auf 12,9 Prozent der Erststimmen. Jeder Achte wählte sie also, und Klingbeil fast jeder Zweite.
Erste SPD-Politiker forderten Eskens Rückzug
Am Montag forderten SPD-Politiker nicht zum ersten Mal, teilweise indirekt, den Rückzug Eskens. Der SPD-Abgeordnete Adis Ahmetovic brachte die scheidende Bundestagspräsidentin Bärbel Bas als künftige SPD-Chefin ins Gespräch. „Ich freue mich, dass Lars Klingbeil den Fraktionsvorsitz machen wird. Daneben sind Bärbel Bas und Boris Pistorius weitere Personen, die nun noch stärker Verantwortung in unserer Partei und Fraktion übernehmen sollten“, sagte er dem Tagesspiegel.
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„Sollte Saskia Esken auf den SPD-Parteivorsitz verzichten, wäre Bärbel Bas eine exzellente Nachfolgerin“, sagte der SPD-Abgeordnete Axel Schäfer dem Tagesspiegel. Bas sei „bodenständig, sympathisch, erfahren“. Mit Bärbel Bas könne „die SPD in Deutschland punkten“. Bas hatte ihren Wahlkreis Duisburg I (NRW) mit 39 Prozent souverän verteidigt.
Sie gehört dem linken Flügel an, Klingbeil den „rechten“ Seeheimern. Als SPD-Chefin könnte Bas zudem die Spitzenkandidatur für die NRW-Landtagswahl 2027 übernehmen. Die NRW-SPD ist derzeit in einem desolaten Zustand.

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Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) forderte den Rückzug Eskens und sprach sich für Klingbeil als Parteichef aus. „Saskia Eskens Wirken war leider keine Hilfe für die SPD, sodass ich für eine alleinige Spitze mit Lars Klingbeil plädiere“, sagte Jung dem Tagesspiegel.
Esken ließ am Montag, während einer Pressekonferenz mit Kanzler Olaf Scholz und Klingbeil, keine Bereitschaft zum Rückzug erkennen. Die SPD-Chefin wolle einen anderen Posten haben, etwa als Vizepräsidentin des Bundestages, heißt es in der Partei. „Esken geht nicht, ohne dass man ihr etwas gibt“, ist aus SPD-Kreisen zu hören: „Aber die Uhr tickt.“
Erinnerungen an Martin Schulz
Klingbeil vermied es am Montag, sich jegliche Optionen zu verbauen. Ob für ihn ein Wechsel ins Bundeskabinett infrage komme, wurde er gefragt. „Ob es zu einer Regierungsbeteiligung kommt, steht nicht fest“, sagte Klingbeil. Er hielt es also anders als der Wahlverlierer von 2017, Martin Schulz. Der schloss am Tag nach der Niederlage aus, in ein Kabinett von Angela Merkel (CDU) einzutreten, um es Monate später zu versuchen – wegen seiner „Ausschließeritis“ erfolglos.
Ob Klingbeil Minister werden will oder nicht, und falls ja, für welches Ressort, darüber wird in der SPD breit spekuliert. „Wir werden das Ergebnis analysieren, Konsequenzen ziehen“, sagte Klingbeil. Seine Mitverantwortung für das Debakel versuchte er zu zerstreuen. Hinter allen Erwägungen steht die Frage nach der nächsten Kanzlerkandidatur und welche Ämter dafür das beste Sprungbrett sein mögen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius, 64, sieht Klingbeils „Generationswechsel“ nicht auf sich gemünzt. Und der 65-jährige Mützenich? Der liebäugele mit dem Vorsitz der Friedrich-Ebert-Stiftung, heißt es in SPD-Kreisen. Diesen Posten hat bisher Martin Schulz, 69, inne.
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