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Steuerrabatt für mehr Zuwanderung: Darf man ausländische Fachkräfte steuerlich bevorzugen?
Durch steuerliche Vorteile möchte die Ampelkoalition mehr Fachkräfte anlocken. Doch der Aufschrei ist groß: Ist das Vorhaben rechtlich zulässig und was würde es bringen? Ein Faktencheck.
Stand:
Kaum eine Maßnahme des Wachstumspakets der Ampelkoalition hat derart breite, unmittelbare Kritik ausgelöst wie der geplante Steuerrabatt für ausländische Fachkräfte. Der Deutsche Gewerkschaftsbund sprach von „gesellschaftlichem Zündstoff“. Die Union von „Inländer-Diskriminierung“.
Ähnlich äußerte sich vor wenigen Tagen die Chefin der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, die in dem Vorschlag einen Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Gleichbehandlung sieht.
Selbst innerhalb der Bundesregierung gab man sich skeptisch, darunter Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sowie Arbeits-, Sozial- und Steuerpolitiker von SPD und Grünen. Und auch in der Bevölkerung stießen die Pläne nicht auf Begeisterung: In einer Civey-Umfrage lehnten sie fast drei Viertel der befragten Bürgerinnen und Bürger ab.
Viele Arbeitgeber vermeiden so gut wie möglich innerbetriebliche Lohnungleichheit zwischen ähnlich qualifizierten Beschäftigten, um den Betriebsfrieden zu wahren.
Steffen Müller, Ökonom IWH
Erlaubt das Steuerrecht eine Begünstigung einzelner Arbeitnehmer, in dem Fall ausländischer gegenüber inländischen Arbeitskräften? Was kostet den Staat eine solche Maßnahme? Und wie sehr hilft sie zur Linderung des Fachkräftemangels? Ein Faktencheck.
1. Was plant die Ampelkoalition?
Weil mehr Menschen in Rente gehen, als neu auf den Arbeitsmarkt drängen, fehlen in Deutschland bis 2030 schätzungsweise bis zu fünf Millionen Fachkräfte. Für eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gilt der Fachkräftemangel unter Ökonomen als eines der drängendsten Probleme.
Das hat auch die Bundesregierung erkannt und will mit einem Bündel an Maßnahmen entgegenwirken. Eine davon zielt darauf ab, durch Steuervergünstigungen mehr Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland lotsen.
Dafür schlagen die Ampelspitzen vor, einen Teil des Bruttolohns ausländischer Arbeitskräfte steuerfrei zu stellen: im ersten Jahr 30 Prozent, im zweiten 20 Prozent und im dritten zehn Prozent.
Nach Berechnungen von Julia Jirmann, Referentin für Steuerrecht und Steuerpolitik beim Netzwerk Steuergerechtigkeit, würden Arbeitnehmer bei einem jährlichen Bruttolohn von 36.000 Euro 4639 Euro sparen, bei 48.000 Euro 6897 Euro und bei 60.000 Euro 9516 Euro. Schätzungen zufolge wären davon jedes Jahr zusätzlich 70.000 Personen betroffen.
2. Ist eine solche Maßnahme steuerrechtlich zulässig?
„Das Einkommenssteuergesetz enthält diverse steuerfreie Begünstigungen für Lohnkomponenten“, sagt Frank Hechtner und nennt beispielhaft die Inflationsausgleichsprämie oder die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags- und Nachtarbeit.
„Insofern wäre dies steuerrechtlich zulässig und möglich“, sagte Hechtner, Professor für betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), dem Tagesspiegel.
Die Frage der Gleichbehandlung sei eher dem Grundgesetz zuzuordnen. Nach Artikel 3 darf niemand etwa wegen seiner Heimat oder Herkunft benachteiligt oder bevorzugt werden. Aus Hechtners Sicht lässt sich zum heutigen Zeitpunkt noch kein verfassungsrechtliches Urteil fällen.
Viele Fragen um die konkrete Ausgestaltung der Maßnahme seien noch offen. „Auch hier dürfte aber der Gesetzgeber einen sehr weitreichenden Spielraum haben, wenn er lenkend eingreifen will und damit ein konkretes Ziel vor Augen hat“, sagte er.
In der Bundesregierung verteidigte man den geplanten Rabatt für ausländische Fachkräfte damit, dass dies andere Länder ebenfalls täten. Etwa in den Niederlanden oder Frankreich.
Auch in einigen skandinavischen Ländern werden ausländische Arbeitskräfte steuerlich bessergestellt. „Wenn eine solche Regelung gewollt ist, kann sie auch verfassungskonform ausgestaltet werden“, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kürzlich.
3. Würden Firmen davon Gebrauch machen?
Doch selbst wenn man eine solche Regelung steuer- und verfassungsrechtlich sauber umsetzen könnte, ist fraglich, ob Unternehmen die Option auch nutzen würden.
„Viele Arbeitgeber vermeiden so gut wie möglich innerbetriebliche Lohnungleichheit zwischen ähnlich qualifizierten Beschäftigten, um den Betriebsfrieden zu wahren“, sagte Steffen Müller dem Tagesspiegel.
Der Ökonom vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) bezweifelt, dass Firmen das Instrument tatsächlich nutzen würden.
4. Was würde die Maßnahme kosten?
Falls doch, würde es den Staat teuer zu stehen kommen. Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge würden anfangs rund 300 Millionen Euro an Steuereinnahmen entgehen.
Wenn im dritten Jahr der erste Jahrgang nur noch einen Rabatt von zehn Prozent bekäme, aber neue Fachkräfte dazu- kämen, würden die Kosten auf bis zu 600 Millionen Euro jährlich steigen.
„Hinzu kommen wie immer teure Mitnahmeeffekte“, gibt der IWH-Ökonom Steffen Müller zu bedenken. Denn der Rabatt würde allen neuen ausländischen Fachkräften gewährt, also auch jenen, die ohne die steuerliche Ermäßigung gekommen wären.
5. Wie sehr hilft das gegen den Fachkräftemangel?
Dass sich durch den Steuerrabatt das Fachkräfteproblem lindern lässt, bezweifeln Fachleute aus unterschiedlichen Gründen. „Zunächst ist fraglich, ob zuwanderungsinteressierte Personen im Ausland überhaupt von ihnen erfahren“, sagte IW-Ökonom Martin Beznoska dem Tagesspiegel.
Weitere entscheidende Hürden sind aus seiner Sicht, dass Bürokratie und Visumsverfahren zu langwierig und kompliziert sind.

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Ein Beispiel: die Anerkennung im Ausland ausgebildeter Ärztinnen und Ärzte. Dem Marburger Bund zufolge liegt die erforderliche Prüfung derzeit bei den 16 regional zuständigen Approbationsbehörden mit unterschiedlichen Verfahrensweisen – statt bei einer zentralisierten.
Es sei zunehmend international bekannt, dass ausländische Ärztinnen und Ärzte anderen europäischen Ländern den Vorzug gäben, so die Ärztegewerkschaft.
„Die Attraktivität Deutschlands für ausländische Fachkräfte wird durch viele weitere Faktoren bestimmt“, sagt auch FAU-Professor Frank Hechtner. Aus seiner Sicht wichtiger seien etwa fehlender Wohnraum oder zu geringe Angebote bei der Integration.
Auch eine Reform des Ehegattensplittings sowie der Ausbau von Betreuungsangeboten für Kinder seien Maßnahmen. „Diese würden sich positiv auf die Arbeitsmarktbeteiligung auswirken und würden weniger gesellschaftlichen Zündstoff mit sich bringen“, sagt Julia Jirmann.
Die Steuerexpertin weist zudem auf die im internationalen Vergleich hohe Abgabenlast für alle in Deutschland arbeitenden Menschen hin. „Es gibt kaum ein Land in der Welt, das mittlere Arbeitseinkommen stärker und Vermögen geringer besteuert als Deutschland.“ Aus ihrer Sicht könne insgesamt zugunsten aller Arbeitnehmerinnen „umgesteuert“ werden.
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