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Katharina Dröge und Britta Haßelmann, Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, geben ein Statement.

© Imago/Jens Schicke

Strategiepapier der Fraktionsspitze: Grüne wollen weg vom „Zerrbild der alltagsfernen Elite-Partei“

Die Führung der Fraktion zieht einem Bericht zufolge schmerzhafte Lehren aus der Ampelzeit. Die Alltagsprobleme der Bürger müssten wieder in den Fokus der Grünen rücken – und der Klimaschutz.

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Die Bundestagswahl am 23. Februar verlief aus Sicht der Grünen enttäuschend, die Partei landete bei 11,6 Prozent und kommt seitdem auch in Umfragen wie dem aktuellen Politbarometer von ZDF und Tagesspiegel nicht recht von der Stelle. In der Partei läuft seitdem die Ursachenforschung, es wird heftig debattiert, wie die Neuaufstellung in der Opposition gelingen kann, zumal die Linke ein immer stärkerer Konkurrent wird.

Wenn es nach den beiden Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann geht, muss die Partei mit ihren Co-Vorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak wieder näher an die Bürgerinnen und Bürger heran und sich mit den Alltagsproblemen der Menschen beschäftigen. Das geht aus einem Strategiepapier hervor, das dem Tagesspiegel vorliegt. Zuerst hatte der „Spiegel“ darüber berichtet.

Wenn man aber das Offensichtliche nicht ausspricht, schürt das Misstrauen.

Katharina Dröge und Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen

Das Papier mit dem Titel „Ein Blick zurück, ein Blick nach vorne“ soll als Diskussionsgrundlage bei der Klausur des Fraktionsvorstands Anfang der Woche dienen und Weichen für eine strategische Neuausrichtung der Grünen stellen. „Wir leben in Zeiten, die von Krisen geprägt sind“, schreiben Dröge und Haßelmann. „Wir wollen Antworten geben, wie wir dem entgegentreten. Wie wir Frauenrechte, Selbstbestimmung, Klimaschutz und Demokratie stärken.“

Indirekte Kritik an Baerbock und Habeck

Dröge und Haßelmann arbeiten sich in dem Papier an sechs Thesen ab und ziehen Lehren aus der gescheiterten Ampel-Koalition mit SPD und FDP. „Die Regierungszeit hat Vertrauen gekostet“, schreiben die Fraktionsvorsitzenden. „Es gibt in Deutschland aktuell keine Mehrheit für eine progressive Politik.“

Zu den Fehlern in der Zeit als Regierungspartei heißt es: Zwar sei Deutschland „klimafreundlicher, gerechter und fortschrittlicher“ geworden, zwar habe man sich für konkrete Sozialleistungen wie Bürgergeld, höhere Familienleistungen, günstigeren Strom, eine BAföG-Reform und das Deutschlandticket eingesetzt. Trotzdem verfange bei den Menschen „zu oft noch das Zerrbild der alltagsfernen Elite-Partei“, so die Analyse der Fraktionschefinnen. „Das muss uns zu denken geben.“

Mit den Grünen würden die Menschen globale Zukunftsfragen wie Klimaschutz, Verteidigung der Demokratie, Krieg und Frieden verbinden, nicht hingegen Alltagsprobleme „im Hier und Jetzt“ wie miese Schulklos, undichte Turnhallen, schlechter Nahverkehr auf dem Dorf oder zu niedrige Renten. „Beim Alltag der Menschen aber denkt man weniger an uns. Das müssen wir ändern“, schreiben Dröge und Haßelmann. Alltagsfragen seien „genauso wichtig wie die Weltlage“.

Grüne wollen „Pakt für bezahlbares und gutes Leben“

Konkret schlagen sie einen „Pakt für bezahlbares und gutes Leben“ vor. Es gehe um Mieten, das Deutschlandticket, Strom oder Lebensmittel. „Die Preise müssen runter“, so Dröge und Haßelmann.

Die ehemalige Außenministerin Annalena Baerbock und der Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck, frühere Aushängeschilder der Partei, aber später mehr und mehr umstritten, werden in dem Papier nicht namentlich erwähnt. Die Kritik an ihnen lässt sich aber deutlich herauslesen.

So sei den Menschen nicht ausreichend erklärt worden, warum sich die ehemalige Friedenspartei insbesondere seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine für einen deutlichen Ausbau der Verteidigungsfähigkeit einsetze. Die Diskussion sei von den Grünen zu sehr auf einzelne Waffensysteme verengt worden, kritisieren die Fraktionschefinnen.

„Wir hätten klarmachen müssen, dass es der unbedingte Wille zu Frieden und mehr Sicherheit auf dem europäischen Kontinent ist, der uns leitet.“ Unter anderem Baerbock hatte mit der öffentlich Forderung, der Ukraine Leopard-Kampfpanzer oder Taurus-Marschflugkörpern zu liefern, Schlagzeilen gemacht.

Auch die Debatten über das Gebäudeenergiegesetz, bekannt geworden als „Heizungsgesetz“, hätten Vertrauen gekostet, heißt es in dem Papier weiter. Es sei unzureichend vorbereitet und schlecht kommuniziert worden. Vielen Menschen sei nicht klar gewesen, worum es gehe, so die Autorinnen. Ihr Fazit: „Wir dürfen uns nicht darauf beschränken, zu sagen: Es muss sich was ändern. Sondern immer zeigen, wie es gehen kann.“

Dröge und Haßelmann betonen ferner die Bedeutung des Klimaschutzes für ihre Partei. Im Wahlkampf hatte es unter anderem an Habeck Kritik gegeben, das Thema nicht genug in den Fokus zu rücken. Die Bekämpfung der Klimakrise könne nicht ohne Veränderung gelingen, „trotzdem hatten wir in den letzten Jahren einen unentschlossenen Umgang mit der Frage, wie offensiv wir über diese Veränderung sprechen“. Man habe teilweise aus Sorge vor Widerstand gegen Klimaschutz versucht zu beschwichtigen.

Auch Innere Sicherheit soll in den Fokus der Grünen

„Wenn man aber das Offensichtliche nicht ausspricht, schürt das Misstrauen“, heißt es in dem Papier. Dazu gehöre es zuzugeben, dass es bei Veränderungen nicht nur Gewinner gebe. „Wir brauchen deswegen Eindeutigkeit und Ehrlichkeit.“ Dröge und Haßelmann fordern demnach, dass die Verursacher der Klimakrise für die Schäden aufkommen sollen. Konkret schlagen sie einen „Klimaschäden-Hilfsfonds“ vor, „finanziert durch Übergewinnsteuern oder Abgaben auf fossile Börsengeschäfte“.

Auch das Thema Innere Sicherheit muss nach Ansicht der Verfasserinnen fokussiert angegangen werden. Debatten über Migration und Anschläge dürfe man nicht den Scharfmachern überlassen. Als Maßnahmen schlägt die Fraktionsspitze unter anderem vor, die Nachrichtendienste zu reformieren. Die Polizei dürfe nicht mit „Symbolmaßnahmen wie Grenzschließungen“ belastet werden, sondern soll sich auf die reale Bekämpfung von Kriminalität konzentrieren können.

Zur Rolle der Grünen in der Opposition schreiben Dröge und Haßelmann: „Wir werden eine Regierung, deren Kurs wir falsch finden, dann unterstützen, wenn sie in der Sache etwas richtig macht.“

Eine weitere Lehre aus der Zeit in der Ampel-Regierung sei: „Wer nur die eigenen Ideen gut findet, nicht bereit ist, die Perspektive der anderen einzubeziehen – der wird nicht von Veränderungen überzeugen.“

Kompromissbereitschaft und der Einsatz für die eigenen Anliegen gehörten zusammen. „Die Menschen sind doch zu Recht müde von einer politischen Haltung, die nur aus Prinzip blockiert und Fortschritt verhindert.“

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