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Streit um Waffen für Israel: Die deutsche Debatte ist entgleist
Die einen fordern einen Lieferstopp, den es längst gibt. Die anderen verurteilen eine Politikwende, die es nicht gibt. Warum spielen Fakten in dieser Kontroverse kaum eine Rolle?

Stand:
Deutschland leistet sich seit Wochen eine peinliche Debatte um deutsche Waffen und Rüstungsgüter für Israel. Peinlich ist sie, weil die Fakten in dieser Kontroverse kaum eine Rolle spielen.
Die einen fordern einen Lieferstopp für Waffen und Munition, die Israel gegen die Palästinenser einsetzen könnte. Das Problem an dieser Forderung: Es gibt diesen Stopp längst. Es gab ihn unter der Ampel. Es gibt ihn heute.
Die anderen ereifern sich über eine angebliche Politikwende des Kanzlers Friedrich Merz. Er will Israel keine Rüstungsgüter liefern, die es im Gazastreifen einsetzen könnte. Das Problem an dieser Empörung: Worin, bitte, besteht dieser Kurswechsel? Die Regierung Merz hält sich an die gleiche Linie wie zuvor die Ampel – siehe oben.
Ein drittes Problem: Erst im Zuge dieser entgleisten Debatte wird zumindest manchen allmählich klar, dass Deutschland strategisch abhängiger von israelischen Rüstungsgütern und Sicherheitstechniken ist als umgekehrt Israel von deutschen Lieferungen.
Was wäre, wenn Israel umgekehrt sagt: Dann liefern wir Deutschland keine „Arrow 3“-Systeme mehr, die zum Kern der künftigen Luftabwehr gehören, keine Heron-Drohnen, keine Systeme für die Cyber-Abwehr und keine Geheimdienstinformationen?
Munition liefert Deutschland nicht
Zurück zu den deutschen Exporten: Es gibt keine pauschale Freigabe von Rüstungsausfuhren nach Israel. Es darf auch keine pauschale Verweigerung geben, wenn Deutschland das Existenzrecht Israels ernst nimmt. In jedem Einzelfall wird geprüft, ob die Güter völkerrechtswidrig eingesetzt werden können. Und ob Israel zusichert, die deutschen Auflagen einzuhalten oder nicht.
Denn auch diesen Dialog gibt es regelmäßig zwischen den verantwortlichen Dienststellen in Deutschland und Israel: Welche Güter Israel in Deutschland bestellen kann und welche Anträge es besser sein lässt, weil sie nach deutscher Interpretation des internationalen Rechts nicht genehmigt werden können.
Nach Gewehrkugeln und anderer Munition, mit denen Israels Armee auf Terroristen wie Zivilisten im Gazastreifen oder Westjordanland zielt, hat Israel nicht gefragt. Die liefert Deutschland auch nicht. U-Boote und Raketen-Schnellboote, mit denen Israel seine Küstengewässer und Bohrplattformen auf dem Meer schützt, dagegen schon.
Der wahre Streitpunkt: Panzergetriebe
Ein Streitpunkt sind ganz andere Fälle: zum Beispiel Panzergetriebe und andere Ersatzteile. Die fallen nicht in die besonders sensible Kategorie Waffen und Munition bei der Exportgenehmigung, sondern unter die Rubrik Rüstungsgüter, die als weniger problematisch gilt. Jedenfalls gab es keine öffentlichen Kontroversen um die Ausfuhr solcher Güter in die Ukraine in deren Abwehrkampf gegen Russland oder nach Saudi-Arabien, das in den Bürgerkrieg im Jemen involviert ist.
Im Zuge dieser entgleisten Debatte wird zumindest manchen allmählich klar, dass Deutschland strategisch abhängiger von israelischen Rüstungsgütern und Sicherheitstechniken ist als umgekehrt Israel von deutschen Lieferungen.
Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion.
Im Fall Israel hingegen muss offenbar in Zeiten besonderer öffentlicher Erregung eine Kontroverse inszeniert werden. Auch dann, wenn sich hinter den Kulissen eine verlässliche Praxis eingespielt hat.
Baerbock und Merz: Nah beieinander
Im Oktober 2024 wurde bekannt, dass die damaligen grünen Minister Annalena Baerbock und Robert Habeck seit Monaten Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter blockiert und von Israels Zusicherung abhängig gemacht haben, dass es bei deren Nutzung nicht gegen das humanitäre Völkerrecht verstoße. Der damalige Oppositionsführer Friedrich Merz empörte sich, ebenso die mitregierende FDP.
Kurz darauf vermeldete Baerbock im Bundestag Erfolg: „Diese Zusage hat es jetzt für die jüngsten Fälle gegeben, entsprechend wird es auch weitere Genehmigungen geben.“ Auf die Frage, warum seit Monaten keine Ersatzteile für Panzer an Israel geliefert wurden, fügte sie hinzu: „Jeder Einzelfall muss geprüft werden.“
Nach dem Regierungswechsel ist die Lage im August 2025 kaum anders. Seit Monaten wird der Export der Panzergetriebe nicht genehmigt. Und die Regierung Merz versichert auf Anfrage nahezu wortgleich: „Rüstungsexportentscheidungen werden stets im Einzelfall beschieden.“
Die scharfen Kritiker der eingespielten Praxis wollen einen Kurswechsel, nur sagen sie es nicht offen. Die Sozialdemokraten, die jetzt Merz attackieren, möchten die Rüstungsexporte komplett stoppen. Warum trauten sie sich das nicht, als der Kanzler Scholz hieß? Und wie viel ist dann die Beteuerung noch wert, dass Deutschland eine besondere Verantwortung für Israels Recht auf Existenz und Selbstverteidigung trage?
Die Merz-Kritiker in der Union möchten, dass die neue Regierung auch die Panzergetriebe und andere Ersatzteile zügig liefert. Israel müsse alles erhalten, was es braucht, um die Hamas zu besiegen. Die Palästinenser im Gazastreifen seien in einer ähnlichen Lage wie die Deutschen in den Nazijahren. Sie müssen von ihrer verbrecherischen Führung befreit werden.
Diese unterschiedlichen Ziele kann man vertreten und argumentieren. Die aktuelle Debatte krankt jedoch daran, dass viele Wortführer die Öffentlichkeit in die Irre führen. Weil sie nicht offen aussprechen, was sie wollen. Weil sie Dinge fordern, die längst Realität sind. Oder da, wo die Kontinuität deutscher Israelpolitik beim Regierungswechsel von der Ampel zu Merz frappant ist, von einem Kurswechsel reden.
- Ampelkoalition
- Annalena Baerbock
- Benjamin Netanjahu
- Friedrich Merz
- Gazastreifen
- Hamas
- Israel
- Palästina
- Robert Habeck
- Ukraine
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