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FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner.

© Foto: Imago/Jean MW

Tempolimit gegen AKW-Weiterbetrieb: Lindner und sein vergiftetes Angebot an die Grünen

Kurz vor der entscheidenden AKW-Abstimmung schlug der FDP-Chef einen Kuhhandel in Richtung der Grünen vor. Die arrangieren sich fast geräuschlos mit dem Streckbetrieb.

Das Datum zur finalen Abstimmung über den Streckbetrieb der verbliebenen drei Atomkraftwerke passte in Bild. Ausgerechnet zum Karnevalsbeginn am 11.11. stimmte der Bundestag für einen temporären Weiterbetrieb der Meiler Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland bis zum 15. April 2023.

Während die Narren der Republik den Beginn der fünften Jahreszeit feierten, stimmten um 11.11 Uhr die Abgeordneten – manche sogar in quietschbunten Anzügen – nach monatelangem Streit über das wohl nun endgültige Enddatum für die deutsche Nutzung der Atomkraft ab. Ein Streit, bei dem auch so manchem Beteiligten über die Monate die Ernsthaftigkeit abhandengekommen schien.

Ich wäre sofort bereit zu sagen, wir machen in Deutschland ein Tempolimit, wenn die Kernkraftwerke länger laufen.

Christian Lindner, FDP-Vorsitzender

Den letzten Akt dazu lieferte Finanzminister Christian Lindner. Wochenlang hatte der FDP-Chef die Ampel-Partner von SPD und vor allem Grünen dazu gedrängt, den geplanten Atomausstieg zum Jahreswechsel aufzuweichen. Über die Frage des Kaufs neuer Brennstäbe hatte sich die Ampel über den Sommer und Herbst Stück für Stück zerlegt, ehe Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit der Richtlinienkompetenz ein Machtwort für einen Kompromiss sprach.

Einen letzten Versuch für längere Laufzeiten ließ sich Lindner dann aber doch nicht nehmen und schlug einen Kuhhandel in Richtung Grüne vor. „Ich wäre sofort bereit zu sagen, wir machen in Deutschland ein Tempolimit, wenn die Kernkraftwerke länger laufen“, sagte der FDP-Politiker im Podcast „Lage der Nation“, der am Mittwoch ausgestrahlt wurde.

Tempolimit gegen Atomkraft, die heilige Kuh der FDP gegen die heilige Kuh der Grünen. Ein Schelmenstück, denn das sein Vorschlag keine Chance hat, dürfte Linder klar gewesen sein. Im Sommer hatten die Liberalen genau diesen Vorschlag – damals kam er aus den Reihen der Union – noch wortreich abgelehnt.

Sein Angebot war dann auch wohl eher als vergiftet zu verstehen. Die Grünen als starre ideologische Partei, die FDP als Vernunftspartei – so das Bild, das Lindner zeichnen wollte. In seiner Fraktion dürfte aber auch einigen klar sein, dass sich die Liberalen, ähnlich wie die Grünen bei der Atomkraft, durch ihr Veto beim Tempolimit in eine gefährliche Sackgasse manövriert haben.

In den Irrungen des Atomstreits haben wohl alle Ampel-Parteien gelitten. In der Schlussdebatte vor der Abstimmung am Freitag machte das die Union, die den Kauf neuer Brennstäbe und einen Weiterbetrieb bis 2024 gefordert hatte, noch einmal deutlich. „Unser Vorschlag erspart der Atmosphäre viele Tonnen CO2“, sagte der Vize-Fraktionschef der Konservativen, Steffen Bilger.

Atomkraft ist keine Lösung und sicher ist nur das Risiko.

Harald Ebner, Grünen-Politiker

Er kritisierte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), dass sein Haus einen Weiterbetrieb nicht ergebnisoffen geprüft hätte. „Die Fachleute arbeiten hart – aber auch für die Tonne“, sagte Bilger, beim Stresstest habe es sich um eine „politische Auftragsarbeit“ gehandelt. Die Grünen seien nun in der Verantwortung, sollte es in diesem oder dem nächsten Winter zu Problemen kommen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck wird von der Union hart kritisiert.
Wirtschaftsminister Robert Habeck wird von der Union hart kritisiert.

© Foto: IMAGO/Emmanuele Contini

Es war eine Debatte, in der die Spitzen der Ampel- und der Oppositionsparteien das offene Feld lieber mieden. Bis auf Habeck erschien auf der Regierungsbank erst gar kein Minister. Wohl auch, weil längst alle Argumente ausgetauscht sind. Die SPD betonte, man brauche den Streckbetrieb nur, um in Bayern Stromausfälle zu verhindern.

Die Grünen betonten dagegen nochmals die Gefahren der nuklearen Energieerzeugung. „Atomkraft ist keine Lösung und sicher ist nur das Risiko“, sagte Harald Ebner, Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.

Chris Kühn, Grüner Staatssekretär im Umweltministerium, kritisierte die Energiepolitik der Union der vergangenen 16 Jahre. Sie habe durch eine Melange aus der Abhängigkeit von russischen Energieträgern und einer Blockade beim Ausbau der erneuerbaren Energien die Ampel erst in die schwierige Situation gebracht. „Sie planen nichts anderes als den Ausstieg aus dem Atomausstieg“, sagte Kühn. Die Bundesregierung hingegen handle pragmatisch.

Doch dem pragmatischen Machtwort von Olaf Scholz wollten am Ende nicht alle Grünen folgen. Mit 375 Ja-Stimmen aus der Ampel-Koalition erhielt die 19. Änderung des Atomgesetzes zwar eine breite Zustimmung, immerhin neun Abgeordnete der Grünen votierten jedoch dagegen.

Mit Nein stimmten ausschließlich die Grünen-Abgeordneten aus Niedersachsen, wo der Widerstand gegen die Atomkraft traditionell groß ist und mit dem AKW Emsland einer der drei letzten Meiler steht.

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„Die Weisung des Bundeskanzlers bindet den Bundestag nicht“, teilten nach der Abstimmung fünf Grünen-Abgeordnete, darunter der frühere Umweltminister Jürgen Trittin, in einer persönlichen Erklärung mit. Die Entscheidung eines Streckbetriebs von Emsland sei fachlich falsch: „Die Netzstabilität gerät anders als in Süddeutschland regelmäßig durch zu viel – nicht durch zu wenig – Strom im Netz in Gefahr.“

Ungewohnt zahm blieb in der Debatte, in Abwesenheit des Finanzministers, dagegen die FDP. Carina Konrad, Vize-Fraktionsvorsitzende, lobte SPD und Grüne für ihre Kompromissbereitschaft. Sie äußerte sich zufrieden mit dem Deal. „Die Stromversorgung wird über den Winter stabilisiert“, sagte Konrad.

Man müsse sich bereits jetzt aber Gedanken für den nächsten Winter machen. „Schiefergas könnte eine Alternative sein“, sagte Konrad. Ein weiteres rotes Tuch für Grüne und SPD, die Fracking vehement ablehnen. „Wir müssen uns Gedanken machen, was geht“, sagte Konrad. Der nächste Ampel-Streit scheint absehbar.

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