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Ukraine-Krieg Tag 268: Woher Russland immer neue Raketen nehmen könnte
Raketenangriffe auf die Ukraine lassen kaum nach, Ersatzteile für deutsche Haubitzen fehlen, Folterspuren in Cherson. Der Überblick am Abend.
Stand:
Fast 100 Raketen hat Russland am Dienstag auf die Ukraine abgefeuert und auch in den vergangenen Tagen ließen die Angriffe kaum nach. Die Folge: Auch am frühen Freitagmorgen waren wieder rund zehn Millionen Ukrainer ohne Strom.
Zum Wintereinbruch scheint Russland seine Angriffe auf die Energieinfrastruktur noch einmal zu verstärken. Das ist durchaus überraschend, denn lange hieß es, dass Moskaus Arsenal an Raketen langsam, aber sicher zur Neige gehe. Von rund 1000 Raketen in russischen Lagern gingen ukrainische und westliche Experten zuletzt noch aus: 70 Prozent seiner Raketen habe Russland demnach aufgebraucht.
Sehr viele dieser Großangriffe könnte sich Moskau demnach nicht mehr leisten. Zumal das Land eine strategische Reserve für eine eventuelle Konfrontation mit dem Westen braucht. Die neuerlichen Angriffe könnten also bedeuten, dass Russland doch über mehr Raketen verfügt als gedacht – oder mit baldigem Nachschub, zum Beispiel aus dem Iran, Nordkorea, Belarus oder den eigenen Fabriken rechnet.
Eine andere Möglichkeit: Russland greift zunehmend auch auf Raketen zurück, die eigentlich nicht für zielgenaue Bodenoperationen gedacht sind. So nutzt Moskau schon länger Systeme, die eigentlich für die Luftabwehr gedacht sind (die S-300 zum Beispiel; der Typ, der auch in Polen landete) und Drohnen, inzwischen vor allem aus dem Iran. Am Freitag kursierten zudem Bilder von Raketentrümmern, die darauf hindeuten, dass Geschosse im Einsatz sind, die eigentlich Nuklearsprengköpfe tragen sollen. Auch dieses Arsenal würde demnach angezapft. Bestätigt ist diese Information allerdings nicht.
Die letzte Möglichkeit: Putins Generälen ist es egal, wie viele Raketen sie noch haben. Sie führen schlicht den Befehl aus, das ukrainische Energiesystem so weit möglich zu zerstören. Gebombt wird solange es eben geht.
Die wichtigsten Nachrichten des Tages
- Nach der Rückeroberung der südukrainischen Stadt durch die Ukraine wurden 63 Leichen mit Spuren von Misshandlung gefunden. Ein Menschenrechtler spricht von einem „noch nie gesehenen Ausmaß“. Rund 430 Fälle werden außerdem untersucht. Mehr hier.
- Street-Art Künstler Banksy zeigt Bilder im Kriegsgebiet: Der britische Künstler ist für ungewöhnliche Aktionen bekannt. Jetzt hat er sich zu mehreren Werken in der Ukraine bekannt und will damit ein Zeichen setzen. Mehr hier.
- Spion im Dienst Russlands: Jahrelang hatte der Tatverdächtige der russischen Botschaft Informationen zugespielt. Das Gericht sprach ihn heute schuldig. Mehr hier.
- Insgesamt 14 Panzerhaubitzen 2000 lieferte Deutschland seit Kriegsbeginn an die Ukraine. Nach Informationen des „Spiegels“ gibt es nun erhebliche Probleme bei der Einsatzbereitschaft der Fahrzeuge. Demnach habe das Bundesverteidigungsministerium versäumt, rechtzeitig umfangreiche Ersatzteilpakete zu bestellen, um die Waffensysteme regelmäßig instand zu setzen. Ein Großteil der aus Deutschland gelieferten Artillerie-Systeme sei mittlerweile reparaturbedürftig, heißt es weiter.
- Dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba zufolge sind ukrainische Experten an der Einschlagsstelle einer Rakete in Polen. Die Ukraine kooperiere offen und konstruktiv, schreibt er auf Twitter. Bei dem Vorfall am Dienstag waren zwei Menschen ums Leben gekommen.
- Die Innenministerinnen und -minister der G7-Staaten haben ein sofortigen Stopp der russischen Angriffe auf die Ukraine gefordert und ihre Unterstützung für die Strafverfolgung der Verantwortlichen bekräftigt. „Nach wie vor erreichen uns täglich Bilder grausamster Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung und der Zerstörung ziviler Infrastruktur in der Ukraine“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Freitag zum Abschluss der Ministerberatungen im hessischen Kloster Eberbach. „Das muss aufhören, Putin muss diesen brutalen Krieg beenden.“
- In einem auf Twitter veröffentlichten Video ist der Schutz der russischen Truppen vor dem anbrechenden Winter zu sehen. Darin ist zu erkennen, wie Plastikfolie notdürftig um mehrere Bäume gespannt ist, um ein Zelt zu imitieren. Angesichts der ersten Schneefälle dürfte das für die russischen Soldaten nur mäßigen Schutz bieten. Auf dem Video ist zudem zu beobachten, wie der Schnee bereits auf den Schlafplätzen innerhalb der „Zelte“ liegt.
- Nach dem tödlichen Raketeneinschlag auf polnischem Staatsgebiet rechnet Polens Präsident Andrzej Duda mit weiteren Vorfällen dieser Art. „Leider müssen wir in gewissem Sinne darauf vorbereitet sein, dass sich Unfälle als Folge des Krieges an unserer Grenze wiederholen können“, sagte Duda am Freitag in der ostpolnischen Stadt Rzeszow.
- Nach dem Rückzug der russischen Truppen aus Teilen der ukrainischen Region Cherson baut Moskau seine Verteidigungsanlagen auf der angrenzenden Halbinsel Krim aus. Mit den Befestigungsarbeiten solle „die Sicherheit der Krim-Bewohner garantiert“ werden, sagte der von Moskau eingesetzte Verwaltungschef der 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel, Sergej Aksjonow, am Freitag. Die Sicherheit der Krim müsse jedoch „hauptsächlich durch Maßnahmen auf dem Territorium“ der Region Cherson gewährleistet werden.
- Der Kreml fühlt sich bestätigt durch Sprengstoffspuren, die Schwedens Staatsanwaltschaft bei den beschädigten Nord-Stream-Pipelines gefunden hat. „Dass nun Angaben über einen Sabotage- oder Terrorakt eintrudeln, bestätigt nur ein weiteres Mal die Informationen, die die russische Seite hatte und hat“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Freitag der Nachrichtenagentur Interfax zufolge.
- Im Kohle- und Stahlrevier Donbass im Osten der Ukraine liefern sich ukrainische und russische Truppen heftige Gefechte, wobei sich der Frontverlauf derzeit kaum verändert. Der ukrainische Generalstab meldete am Freitag Artillerie- und Panzerbeschuss auf Dörfer wie Wodjane, Krasnohoriwka und Marjinka bei der Stadt Awdijiwka. Die Kiewer Angaben waren nicht unabhängig überprüfbar, deckten sich in diesem Fall aber mit Berichten russischer Militärblogger.
- Die russischen Invasionstruppen in der Ukraine bereiten sich nach Einschätzung britischer Militärexperten auf weitere Rückschläge vor. Das geht aus dem täglichen Geheimdienst-Update des Verteidigungsministeriums in London am Freitag hervor. Demnach fokussieren sich die russischen Streitkräfte nach ihrem Rückzug vom westlichen Ufer des Flusses Dnipro in den meisten von ihnen besetzten Teilen des Landes darauf, sich neu zu ordnen und Vorkehrungen zur Verteidigung zu treffen.
- Papst Franziskus bietet erneut den Vatikan als Vermittler im Ukraine-Krieg an. In einem Interview der italienischen Zeitung „La Stampa“ ruft das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche Russland und die Ukraine auf, den Konflikt zu beenden. Auf die Frage, ob er eine Aussöhnung zwischen den beiden Ländern für möglich halte, fordert der Papst alle auf, darin nicht aufzugeben.
- Der frühere Bundestagspräsident und Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble hat frühere Fehler im Umgang mit Russland eingeräumt. Auf die Frage, ob er wütend auf sich sei, sagte der CDU-Politiker dem „Handelsblatt“ (Freitag): „Natürlich. Wir wollten es nicht sehen. Das gilt für jeden.“ In seiner Zeit als Innenminister habe er mit seinem russischen Amtskollegen darüber gesprochen, wie man gemeinsam den islamistischen Terror bekämpfen könne. „Ich hätte mal gucken können, was Russland in Tschetschenien treibt. Oder auf den damaligen polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczynski hören.“ Dieser habe nach Russlands Überfall auf Georgien gewarnt: „Erst kommt Georgien, dann die Ukraine, dann Moldawien, dann die baltischen Staaten und dann Polen. Er hat recht behalten“, sagte Schäuble.
- Der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) hat Russland zur Aufgabe des besetzten ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja aufgefordert. Moskau solle sein militärisches und ziviles Personal sofort abziehen und seinen „unbegründeten Besitzanspruch“ auf das AKW im Südosten der Ukraine aufgeben, hieß es in einer Resolution, die das Gremium am Donnerstagabend in Wien verabschiedete.
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