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Müssen sich scharfe Kritik des Oppositionschefs Friedrich Merz (CDU) anhören: Vizekanzler Robert Habeck und Kanzler Olaf Scholz am Montag im Bundestag.

© REUTERS/AXEL SCHMIDT

Vertrauensfrage im Bundestag: Nicht nur das Vertrauen in Scholz ist verloren

Es ist eine große Wahlkampfschlacht mit unterschiedlichen Rollen. Dabei geht es um eine ganz andere Frage des Vertrauens.

Christian Tretbar
Ein Kommentar von Christian Tretbar

Stand:

Jetzt ist es also offiziell: Olaf Scholz, Noch-Bundeskanzler, genießt kein Vertrauen mehr im Bundestag. Seine Regierungsmehrheit ist ohnehin perdu seit einigen Wochen. Damit ist das Ampel-Aus besiegelt.

Olaf Scholz war erst der vierte sozialdemokratische Kanzler in der bundesdeutschen Geschichte – und alle haben sie Vertrauensfragen gestellt. Helmut Schmidt hatte sie im Februar 1982 gewonnen. Die anderen drei hatten das Instrument eingesetzt, um Neuwahlen zu bewirken.

Willy Brandt ging aus dieser Neuwahl 1972 triumphal hervor, was seinen Mythos in der SPD bis heute begründet. Gerhard Schröder fehlte nicht viel und es wäre ihm 2005 genauso gegangen. Die Chancen, dass Olaf Scholz als großer Gewinner aus der Wahl im Februar hervorgeht, sind von heute aus betrachtet gering. Aber sie sind da.

Denn Friedrich Merz muss auch erstmal die Herzen der Menschen erobern – nicht gerade seine Paradedisziplin. Auffällig in den Umfragen: Selbst nach den heftigen Debatten um Scholz, seiner erneuten Kanzlerkandidatur und dem Verdruss auch über ihn in der SPD sind die Umfragen nicht gesunken. Im Gegenteil: Seine Beliebtheitswerte sind wieder etwas gestiegen. Wobei das Wort „Beliebtheit“ in dem Zusammenhang irreführend ist. Denn sowohl Merz als auch Scholz sind mit ihren Werten nicht gerade die großen Hoffnungsträger.

Die erste große Wahlkampfschlacht im Bundestag

Aber man sollte die SPD und Scholz noch nicht ganz abschreiben. Zu viele Unwägbarkeiten liegen in den kommenden Wochen noch vor den Wahlkämpfern – allen voran der Start der Trump-Präsidentschaft. Das kann den Wahlkampf nochmal deutlich durcheinander wirbeln.

Das Setting für diesen Wahlkampf konnte man im Bundestag aber schon gut erkennen. Es war die erste große Wahlkampfschlacht. Olaf Scholz, der versucht seinen Wahlkampf aus dem Jahr 2021 zu recyceln – mit den Themen Mindestlohn, Rente und der Formel Respekt für alle. Seine Rede war durchaus kämpferisch, wenig demütig und zielte klar auf den sozialdemokratischen Kern.

Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz gab den oppositionellen Einpeitscher. Eloquent sezierte er Scholz’ Rede, griff ihn persönlich scharf an und setzte inhaltlich stark auf das Thema Wirtschaftskraft. Das Pult im Bundestag gehört zu seinen Stärken. Wie es sich mit den persönlichen Begegnungen im Wahlkampf verhält, wenn er spontan herausgefordert ist, Wärme zeigen muss, das wird man noch sehen. Spannend war, dass er einen kleinen verbalen Schutzschirm um die FDP und vor allem deren Chef Christian Lindner baute. Scholz hatte die Liberalen hart kritisiert. Vielleicht hegt Merz doch noch Hoffnungen auf Schwarz-Gelb.

Eine andere Frage des Vertrauens ist wichtiger als die Vertrauensfrage selbst

Lindner selbst gab sich schneidig. Attackierte Scholz und würde sich sonst gerne als Deutschlands oberster Disruptor sehen. Und Robert Habeck? Der grüne Spitzenkandidat kam nicht richtig auf die Flughöhe, auf der er sich gerne sieht: intellektuell, etwas über den Dingen, als Brückenbauer. Zu verkopft wirkt das hin und wieder. Immerhin hat er sich kritisch mit der eigenen Ampel-Zeit auseinandergesetzt. Inhaltlich blieb er bei seinen Kernthemen: Klima- und Energiepolitik.

Damit ist die gescheiterte Vertrauensfrage eigentlich eine gewonnene. Denn genau das wollten alle Beteiligten: Jetzt endlich richtig Wahlkampf machen. Aber viel entscheidender ist eigentlich eine ganz andere Frage des Vertrauens. Denn dass Scholz im Parlament kein Vertrauen mehr genießt, ist letztlich ein prozessualer Akt. Dass aber die Politik insgesamt in der Bevölkerung deutlich an Vertrauen verliert, ist die eigentlich erschreckende Nachricht des Jahres. Verschiedene Studien und Umfragen zeigen, dass sowohl das Vertrauen in politische Institutionen als auch in Parteien sinkt.

Das wiegt schwerer als verloren gegangenes Vertrauen im Bundestag. Es ist jetzt Aufgabe aller Parteien der demokratischen Mitte, dieses Vertrauen wieder herzustellen. Eine Wahl allein wird das nicht schaffen. Sehr wohl aber das, was danach geschieht.

Welche Versprechen werden gemacht und was wird gehalten? Wie gut sind die Instinkte über Befindlichkeiten, Stimmungen und Möglichkeiten in der Bevölkerung? Wie klar werden Entscheidungen kommuniziert und wie schaffen es die künftig politisch Verantwortlichen in der Regierung, die Menschen auch emotional anzusprechen? Denn mit dem Faktischen allein wird man es nicht schaffen, Vertrauen wiederherzustellen.

Für die Stabilität unserer Demokratie ist es deutlich entscheidender, wie die Menschen wieder mehr Vertrauen in Politik bekommen als die Frage, wer der nächste Kanzler wird. Auch wenn der dann erstmal wieder wenigstens auf das Vertrauen im Parlament setzen kann.

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