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Unseriöse Haushaltspolitik von der Rente bis zur Verteidigung: (v.l.) Markus Söder, Bärbel Bas, Friedrich Merz, Lars Klingbeil.

© IMAGO/Political-Moments/imago

Von der Rente bis zur Verteidigung: Klingbeils unseriöse Budgetpolitik

Ein Protest der Abgeordneten gegen den Haushalt ist geboten. In der Sicherheitspolitik haben Union und SPD zwar den Ernst der Lage erkannt, wiederholen bei der Finanzierung aber die Sünden der Ampel.

Christoph von Marschall
Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Stand:

Die Regierung Merz/Klingbeil ist in einigen Belangen ein Riesenfortschritt gegenüber der Ampel-Koalition. In anderen macht sie die gleichen Fehler wie ihre Vorgängerin. Das tritt in der Haushaltsdebatte zur Außen- und Verteidigungspolitik besonders deutlich zutage.

Wie kamen die Koalitionäre auf die Grenze von einem Prozent? Das ist ja weniger als der Verteidigungsetat der vergangenen Jahre.

Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion

In beiden Fällen, den Fortschritten wie dem Rückfall in alte Sünden, geht es um ihr Verhältnis zur Wirklichkeit. Teils akzeptiert die Regierung die Realität, nämlich bei der Bedrohung. Teils betreibt sie Realitätsverweigerung, nämlich bei der Finanzierung ihrer Verteidigungs- und Rentenpolitik.

In der Sicherheitspolitik beweisen Union und SPD ein Bewusstsein für die Welt, wie sie ist. Die Regierung Scholz hatte das vermissen lassen. Die Regierung Merz nimmt Wladimir Putins imperialistischen Ehrgeiz ernst.

Die neue Koalition sieht die Gefahr, dass Putin sich nach einem „Deal“, der den Ukrainekrieg beendet, nicht mit diesem Erfolg und den Gebietsgewinnen zufriedengeben wird., sondern selbst vor einem Angriff auf Länder an der Ostflanke der Nato nicht zurückschreckt.

Besonders brenzlig würde es für Deutschland, wenn Putin das Baltikum attackiert. Estland, Lettland und Litauen waren Sowjetrepubliken – und Putin möchte erklärtermaßen den sowjetischen Herrschaftsbereich wiederherstellen. In der Arbeitsteilung der Nato ist Deutschland für den Schutz Litauens zuständig und baut dort gerade eine Litauen-Brigade auf.

Die Bundeswehr-Brigade in Litauen soll Russland von einem Angriff auf den Nato-Partner abschrecken.

© dpa/Kay Nietfeld

Ohne die USA sind Deutschland und die übrigen europäischen Nato-Staaten heute nicht verteidigungsfähig. Der Aufbau einer glaubwürdigen Abschreckung, wie sie im Kalten Krieg normal war und erfolgreich funktionierte, wird Jahre dauern und dreistellige Milliardenbeträge kosten.

Deshalb haben Union und SPD beschlossen, fünf Prozent von der Wirtschaftsleistung (BIP) für Verteidigung auszugeben: 3,5 Prozent für die Bundeswehr plus 1,5 Prozent für militärisch relevante Infrastruktur. Denn zum Beispiel halten viele deutsche Brücken keine Militärtransporte mit schwerem Gerät aus. Die Bürger befürworten den neuen Kurs.

Verdreifachung der Ausgaben für Verteidigung

Fünf Prozent vom BIP, eine Verdreifachung der bisherigen Verteidigungsausgaben: Das war unter der Ampel-Regierung und deren Vorgängern undenkbar. Diese Wende kommt spät – aber hoffentlich nicht zu spät. Putin hat kein Interesse, mit einem Angriff zu warten, bis Deutschland kriegstüchtig ist.

Diese Annäherung an die Wirklichkeit muss freilich finanziert werden. Und da ist dann Schluss mit dem Realitätsbewusstsein von Union und SPD. Im Wesentlichen soll die neue Sicherheit aus Schulden finanziert werden.

Ob ältere, ob jüngere Volksvertreter: Bitte zwingen Sie die Regierung durch ein Nein zu diesem Haushalt zu einer seriösen Finanzpolitik!

Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion.

Merz, Klingbeil und ihre Fraktionen haben vereinbart, dass nur ein Prozent der Verteidigungsausgaben aus dem regulären Etat kommen sollen. Alles darüber hinaus darf aus Krediten bezahlt werden. Bezogen auf das aktuelle BIP von 4,3 Billionen Euro heißt das: Der reguläre Haushalt wird mit 43 Milliarden Euro belastet. Bis zu 172 Milliarden Euro dürfen künftig aus Schulden kommen.

Doch wie kamen die Koalitionäre auf die Grenze von einem Prozent? Das ist ja weniger als der Verteidigungsetat der vergangenen Jahre (1,3 bis 1,5 Prozent vom BIP). Seit Jahren war man sich einig, dass zwei Prozent vom BIP das Minimum für eine seriöse Verteidigungspolitik sind. Neuerdings liegt der europäische Nato-Konsens bei 3,5 Prozent vom BIP.

Trickserei: 43 Milliarden für andere Ausgaben

Mit jedem Prozentpunkt vom BIP, der aus schuldenfinanzierten Sonderhaushalten kommen darf, genehmigen sich Union und SPD 43 Milliarden Euro, die sie für andere Ziele ausgeben können. Sie lindern auf völlig unseriöse Weise den notwendigen Spardruck.

Nur so können sie Ausgabenwünsche, die eigentlich nicht mehr in die Zeit passen, weiterverfolgen: die CSU die Mütterrente, die SPD ihre Renten- und Sozialpolitik und so weiter. Da setzen sie die Realitätsverweigerung der Ampelparteien fort. Die hätten, als Putin im Februar 2022 die Ukraine überfiel, ihren Koalitionsvertrag in den Papierkorb werfen und einen neuen erstellen müssen, der auf der neuen Wirklichkeit basiert.

Damals verweigerten dies SPD, Grüne und FDP, weil ihnen ihre jeweiligen Sonderwünsche wichtiger waren: Energiewende, Kindergrundsicherung, auch damals schon Mütterrente, weitere Sozialausgaben und Steuersenkungen. Heute begehen Merz und Klingbeil die gleichen Sünden.

Schulden müssen früher oder später abgezahlt werden. Die jüngeren Abgeordneten, die gegen die Rentenpolitik protestieren, haben recht und verdienen jede Unterstützung. Das gilt aber ebenso für die falsche Finanzierung der in der Sache richtigen Sicherheitspolitik. Ob ältere, ob jüngere Volksvertreter: Bitte zwingen Sie die Regierung durch ein Nein zu diesem Haushalt zu einer seriösen Finanzpolitik!

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