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Über Kreuz. Frankreichs Staatschef Macron (links) und Kanzler Scholz haben beim Verbrenner-Aus und der Kernkraft unterschiedliche Ansichten.

© AFP/John Macdougall

Machtspiele in der EU: Deutschland und Frankreich sind auf riskanten Ego-Trips

Vor dem EU-Gipfel ist von Einigkeit zwischen Berlin und Paris nicht viel zu sehen. Deutschland hält am Verbrennermotor fest, während Frankreich die Atomkraft stärken will.

In der Vergangenheit galten Deutschland und Frankreich als Führungsduo oftmals als Teil der Lösung in der EU. Jetzt – so ist zumindest die Wahrnehmung in Brüssel – sind die beiden Länder eher Teil des Problems.

Denn beide Staaten spielen auf EU-Ebene unterschiedliche Machtspiele: FDP-Chef Christian Lindner testet mit der Rückendeckung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) aus, ob und wie das fast schon beschlossene Verbrenner-Aus ab 2035 aufgeweicht werden kann. Und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron sucht nach Vergünstigungen für die Nuklearindustrie in seinem Land.

An diesem Donnerstag werden Scholz und Macron beim EU-Gipfel erwartet. Vor allem das Verhalten der Bundesregierung im Streit um synthetische Kraftstoffe, die so genannten E-Fuels, ist bei vielen Beteiligten im Brüsseler Betrieb sauer aufgestoßen.

In letzter Minute kippte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) eine EU-Gesetzgebung, wonach ab 2035 in der EU nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden dürfen. Wissing erwartet von der EU-Kommission jetzt zeitnah einen Lösungsvorschlag, der das Betanken von Verbrennern mit E-Fuels auch über 2035 hinaus ermöglicht.

Ein EU-Diplomat vergleicht den Streit um die E-Fuels mit einem Kartenhaus. Dieses Kartenhaus ist die gesamte Gesetzgebung, die der Umwelt dienen soll. Die Intervention der FDP zugunsten der E-Fuels drohe beispielsweise auch die Abgasnorm Euro 7 zu verwässern. „Irgendwann könnte das ganze Kartenhaus zusammenstürzen“, befürchtet der EU-Diplomat.

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Nach seinen Worten habe man in Brüssel inzwischen aber auch erkannt, dass Lindner den FDP-Wählern im Streit um das Verbrenner-Aus ein vorzeigbares Ergebnis präsentieren müsse. Aus diesem Grund tauschen sich auch die Büros von Wissing und des zuständigen EU-Kommissionsvizes Frans Timmermans intensiv über eine mögliche Lösung aus.

Scholz könnte beim EU-Gipfel Unmut entgegenschlagen

Zuletzt ging es um die Frage, wie Pkws nach 2035 ausschließlich mit den synthetischen Kraftstoffen – und nicht mit Benzin oder Diesel – betankt werden könnten. Die Gespräche seien „weit fortgeschritten“, sagte ein Sprecher des Verkehrsministeriums am Mittwoch.

Falls es aber wegen der komplexen Materie zu keiner schnellen Einigung zwischen Brüssel und Berlin kommt, ist es gut möglich, dass Scholz während des Gipfels den Unmut vieler EU-Partner – allen voran Frankreich – über das deutsche Vorgehen zu spüren bekommt. 

Zwar stehen die E-Fuels nicht auf der offiziellen Gipfel-Agenda. Vor dem Gipfel ließ die Pariser Europa-Staatssekretärin Laurence Boone aber durchblicken, dass der Streit um die Verbrenner zum deutsch-französischen Drama der vergangenen Monate gehört.

Wir sollten uns an das halten, was vereinbart wurde.

Laurence Boone, Frankreichs Europa-Staatssekretärin, zum Verbrenner-Aus

Paris hält nichts davon, dass die EU den Verbrennermotoren über 2035 nun möglicherweise doch noch ein Hintertürchen öffnet. Boone forderte, dass der im vergangenen Jahr gefundene Kompromiss zum Ende der Otto- und Dieselmotoren eingehalten werden müsse. Gleichzeitig spielte sie den Ball nach Berlin zurück: Sie habe „keinen Zweifel“, dass die Ampel-Koalition eine Einigung bei dem Thema finden werde.

Tatsächlich ist die Ampel im Streit um die E-Fuels gespalten. Auch wenn Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zuletzt einen Schritt auf die FDP zuging und den Einsatz von E-Fuels nach 2035 unter bestimmten technischen Voraussetzungen nicht ausschließen wollte, so hat die Öko-Partei grundsätzlich wenig Verständnis für den Vorstoß der Liberalen.

Wenn die Pariser Staatssekretärin von der Bundesregierung eine Einhaltung des im vergangenen Jahr gefundenen Klima-Kompromisses fordert, so gerät darüber leicht in Vergessenheit, dass die französische Regierung ihrerseits bei einem anderen Thema eine knallharte Lobby-Politik betreibt: der Förderung der Atomkraft.

Mit dem Strom aus Kraftwerken wie im französischen Cattenom lässt sich auch Wasserstoff erzeugen.
Mit dem Strom aus Kraftwerken wie im französischen Cattenom lässt sich auch Wasserstoff erzeugen.

© dpa/EPA KARABA

Vor dem EU-Gipfel versuchte die Regierung in Paris, in die Abschlusserklärung eine Passage hineinzuverhandeln, der zufolge die Atomkraft als entscheidender Faktor bei der Loslösung der EU von Kohle und Gas gewürdigt wird. Das Vorhaben scheiterte zwar im Vorfeld des Brüsseler Spitzentreffens. Dafür nutzt Paris aber die EU-Gesetzgebung, um bessere Rahmenbedingungen für die heimische Kernkraft herauszuverhandeln.

Konkret geht es dabei einerseits um das so genannte Netto-Null-Industriegesetz, mit dem die EU-Kommission die industriepolitischen Vergünstigungen der USA für grüne Technologien im Rahmen des „Inflation Reduction Act“ kontern will. Zum anderen strebt Paris an, im Zuge der geplanten Richtlinie für erneuerbare Energien bessere Bedingungen für Wasserstoff zu erwirken, der mit Hilfe von Kernkraft erzeugt wird.

Es gibt aber einen Unterschied zum Einsatz des deutschen Verkehrsministers Wissing für Verbrennermotoren: Während Wissing gewissermaßen auf den letzten Metern der EU-Gesetzgebung sein Veto einlegte, befindet sich Paris mit dem Atom-Vorstoß immer noch im üblichen Zeitplan.

Dass Frankreichs Einsatz für die Nuklearindustrie in Brüssel bereits mehrmals ins Leere lief, liegt vor allem am Widerstand der Bundesregierung. So kämpft jeder für sich – Deutschland für den Verbrenner und Frankreich für den Atomstrom.

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