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Wahlkampf im Bundestag: Wer wie punkten konnte – oder eben auch nicht
Ein Dutzend Tage vor der Wahl haben die Konkurrenten sich in der letzten Bundestagsitzung gegenseitig attackiert. Wer hat es wie gut gemacht? Welche Sätze bleiben im Gedächtnis?
Stand:
An Debattenschlachten mit historischer Anmutung hat zuletzt kein Mangel geherrscht – es gab viele Gelegenheiten für Kanzler-Worte auf großer Bühne. Wer die Manuskripte nebeneinanderlegen würde, fände viele Gemeinsamkeiten. Das galt am Dienstag auch für die politische Konkurrenz. Da neue Inhalte Mangelware gewesen sind, rückte die Performance der Kandidaten selbst in den Mittelpunkt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Er bleibt auch beim letzten Parlamentsauftritt in dieser Legislaturperiode bei dem Rhetorik-Rezept, mit dem er schon in den bisherigen Wahlkampf-Wochen das Wahlvolk nicht hat begeistern können. Russlands erbarmungsloser Krieg, Ideen für mehr Wachstum, Recht und Ordnung bei der Migration: Scholz geht die Themen durch, ohne dass es Überraschungen gäbe.
Seinen Herausforderer Friedrich Merz (CDU) greift er scharf an – auch, aber nicht nur wegen der Migrations-Entscheidungen, bei denen Union und AfD gemeinsam abstimmten. Merz habe die ukrainischen Flüchtlinge im TV-Duell am Sonntag zu den irregulären Migranten gezählt, als würden sie „lustig ein- und ausreisen“.
Umgekehrt wirbt Scholz mit Zahlen für sich, die er schon im TV-Duell anführte, die aber immer noch falsch sind. Der Januar-Wert bei Asylgesuchen sei der niedrigste seit 2016, vom Corona-Jahr 2021 abgesehen, behauptet er. Fakt ist, ausweislich der Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge: Auch 2018, 2020 und 2022, jeweils im Monat Januar, waren die Zahlen niedriger als im aktuellen Jahr, außerdem im Januar 2019, wenn man nur die Erstanträge betrachtet.
Und der Kanzler lobt sich selbst: Führungsstärke und Nervenstärke habe er gezeigt, einen klaren Kurs gehalten. Und auch seine „Entschlossenheit“ und „Besonnenheit“ preist er noch einmal an.
Keine zwei Wochen sind es mehr bis zur Wahl, der große Umfragevorsprung der Union ist wie festbetoniert. Aber was bleibt dem Kanzler anderes übrig, als Siegesgewissheit zu demonstrieren.
Ein Satz, der im Gedächtnis bleibt: „Es geht darum, Schwarz-Blau unmöglich zu machen, aus Verantwortung für Deutschland.“
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz
„Was war das denn?“ Seine Verwunderung über Scholz’-Abschlussrede bringt der CDU-Chef gekonnt zum Ausdruck. Dem rhetorisch wenig begnadeten Kanzler attestiert er „25 Minuten abgelesene Empörung über den Oppositionsführer“. Das ist ein wenig „überheblich“, wie SPD-Chef Lars Klingbeil später schimpft. Aber es sitzt, weil Merz den Fokus darauf lenkt, dass dem Noch-Regierungschef wenig Selbstkritisches zur aktuellen Lage eingefallen ist.

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Richtig innovativ gerät aber auch Merz’ Auftritt nicht. Seine Kritik an Arbeit und Auftreten der Ampel ist alles andere als neu – er wiederholt sie in abgewandelter Form. Ein „schieres Desaster“ nennt er die wirtschaftspolitische Bilanz mit gestiegener Arbeitslosenzahl, mehr Insolvenzen und hohem Kapitalabfluss.
Wie schon im TV-Duell am Sonntagabend verpasst der Unionskandidat erneut die Gelegenheit, zumindest einige zentrale Punkte aus seinem Wahlprogramm zu nennen und damit zu sagen, wie es aus seiner Sicht besser werden soll.
Seinen stärksten Moment hat Merz, als er die Passage aus dem Brandenburger Koalitionsvortrag zu Zurückweisungen irregulärer Migranten an der Grenze zitiert. Die von ihm vorgeschlagene Maßnahme, von SPD und Grünen als rechtswidrig kritisiert, sei wohl „verfassungskonform, wenn es aus den eigenen Reihen kommt“.
Ein Satz, der im Gedächtnis bleibt: „Es sind Zeiten ohne Wende geblieben.“
Robert Habeck (Grüne)
Mit Leidenschaft spricht der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck, und er setzt einen ganz anderen Akzent als seine Vorredner Olaf Scholz und Friedrich Merz.
Im Kanzlerduell am Sonntag habe ihm ein Thema gefehlt: die Zukunft. Um nichts weniger als die Zukunft des Planeten geht es ihm, Habeck spricht über Klimaschutz als die „fundamentale Aufgabe dieser politischen Generation“.

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Der Grüne redet sich in Rage, legt viel Emotion in seine Rede. Es gehe bei der Wahl um eine Richtungsentscheidung, darum, ob Deutschland der historischen Aufgabe standhalte.
Er macht der Union, die sich gegen ein Verbrenner-Verbot stellt, Vorwürfe: „Wie wenig trauen Sie eigentlich der deutschen Automobil-Industrie zu?“ Bummeligkeit und Dösigkeit sieht Habeck am Werk, und er fordert einen grundlegenden Wandel auch für eine bessere Bildung und mehr soziale Gerechtigkeit.
Zum Thema Migration sagt Habeck, es müsse viel mehr für die Integration derjenigen getan werden, die schon hier seien. Das sei eine „große Lücke“ in der Diskussion der vergangenen 14 Tage gewesen. Der rechte Populismus sei nicht mit den Mitteln des rechten Populismus zu besiegen.
Ein Satz, der im Gedächtnis bleibt: „Wir brauchen mehr Geschwindigkeit, mehr Entschiedenheit, mehr Zukunft.“
Christian Lindner (FDP)
Recht überwunden hat Christian Lindner das Ampel-Aus noch nicht. So arbeitet sich der FDP-Chef lange an den Ex-Koalitionspartnern ab. Olaf Scholz schlägt er sarkastisch für den Physik-Nobelpreis vor: „Er hat den endgültigen Beweis erbracht, dass es Paralleluniversen gibt.“ In Bezug auf den grünen Wirtschaftsminister fragt er: „Was macht Robert Habeck eigentlich beruflich?“

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Lindner spricht über das Heizungsgesetz, die Rezession, die Migrationszahlen – und schiebt den ehemaligen Verbündeten in der Regierung die Schuld am weiteren Aufstieg der AfD zu: „Alles, was die groß macht, kommt von ihnen.“ Von eigener Mitverantwortung ist nicht die Rede – von wegen Paralleluniversum und so.
Jenseits der Schlagworte Bürokratieabbau und Steuerentlastung ist an eigenen Ideen für eine bessere Zukunft nicht so viel hören. Dabei kämpfen die Liberalen erneut um die parlamentarische Existenz. Umfragen sehen sie aktuell noch unter der Fünf-Prozent-Hürde. Es könnte Lindners letzte Bundestagsrede sein.
Die FDP setzt offenbar vor allem auf taktische Wähler, die Schwarz-Grün oder eine erneute „Groko“ von Union und SPD verhindern wollen. In Richtung Merz und Scholz sagt Lindner, es sei „eine erschreckende Aussicht“, die beiden könnten das Land alleine regieren. Will heißen: Wieder soll es die FDP als Korrektiv brauchen.
Ein Satz, der im Gedächtnis bleibt: „Friedrich Merz war wenigstens ehrlich und sagte, dass er die Kettensäge nicht in die Hand nehmen wird. Mit der Nagelfeile werden wir die Probleme aber nicht lösen.“
Alice Weidel (AfD)
In ihrer Rede skizziert die Kanzlerkandidatin der AfD ihre Vision Deutschlands. Alice Weidel erzählt betont ruhig, aber auch seltsam unterkühlt von einer Bundesrepublik mit eigener Währung, niedrigen Steuern für die „wenigen Kernaufgaben“ des Staates und einem „von Grund auf reformierten Aufenthalts- und Einbürgerungsrecht“. In diesem Land gäbe auch keine Rundfunkbeiträge mehr.

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Die Grünen-Fraktion lässt sich von diesem Zukunftsszenario aus der Fassung bringen, was Weidel wiederum für heftige Angriffe zu nutzen weiß. Plötzlich sehr aggressiv schimpft sie in Richtung der Umweltpartei: „Diese Leute haben nichts im Bundestag verloren, die haben alle noch nie im Leben gearbeitet.“
Ihre Empörung über unflätige Zwischenrufe kontert Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD): „Das können Sie Ihrer eigenen Fraktion ja auch mal sagen.“ Das veranlasst Alice Weidel, die Neutralität der Sitzungsleitung infrage zu stellen. Das mag der eigenen Klientel gefallen. Wer aber weiß, wie die AfD-Fraktion auf Rednerinnen und Redner anderer Parteien reagiert, muss es unsouverän finden.
Einen Punkt macht sie hingegen mit einem Angriff auf Merz, der nicht mit der AfD zusammenarbeiten wolle, aber mit SPD oder Grünen keinen Kurswechsel in der Migrationspolitik erreichen könne – dies sei „Wählertäuschung“.
Ein Satz, der im Gedächtnis bleibt: „Unser geliebtes Deutschland hätte es längst verdient“ – damit warb sie für eine Regierungsbeteiligung der AfD.
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