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In Krisenzeiten ist europäische Solidarität wichtiger denn je. Doch wie kann sie gelingen? (Symbolbild)

© Ana Fernandez/SOPA Images via ZUMA Wire/dpa

EU-Wirtschaftshilfe in der Coronakrise: Was die umstrittenen Corona-Bonds für Europa bedeuten

Die EU streitet über Corona-Bonds. Wie funktioniert das Rettungspaket, was sagen Befürworter und Gegner - und welche Alternativen gibt es? Ein Überblick.

Von Johanna Kleibl

Die Telefonkonferenz der Euro-Finanzminister ging am Donnerstag in die zweite Runde, nachdem die erste Sitzung am Mittwochmorgen nach sechzehn Stunden ohne abschließende Einigung beendet worden war. Verhandelt werden soll ein viele Milliarden Euro umfassendes Rettungspaket, das den Euro-Staaten bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise helfen soll. 

Einer der umstrittensten Punkte sind die sogenannten Corona-Bonds, die manchmal auch als Eurobonds oder Rescue Bonds bezeichnet werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum umstrittenen Finanzinstrument der Corona-Bonds und möglichen Alternativen.

 Was sind Corona-Bonds?

Bonds sind Wertpapiere mit einem festen Zinssatz. Die europäischen Staaten könnten zusammen solche Anleihen an den Markt bringen, um sich Geld für die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise zu beschaffen. Die Regierungen würden auf diesem Weg gemeinsam Geld an den Finanzmärkten aufnehmen, sich gemeinsam verschulden und gemeinschaftlich für Zinsen und die Rückzahlung haften.

Was ist der Zweck gemeinsamer Anleihen?

Hoch verschuldete Staaten könnten durch gemeinsame Anleihen mit wirtschaftlich starken Ländern zu erheblich günstigeren Konditionen Geld von Investoren erhalten. Wenn die Wertpapiere als sicherer gelten, müssten die ärmeren und höher verschuldeten Länder für Corona-Bonds nicht so hohe Zinsen bieten, wie sie es derzeit für ihre eigenen nationalen Anleihen tun müssen, weil bei ihnen ein höheres Risiko für Zahlungsausfälle einkalkuliert wird. 

Die Bedingungen der Gemeinschaftsanleihen wären deutlich besser, wenn wirtschaftlich starke Länder wie Deutschland mithaften.

Welche Erfahrung hat die EU mit diesem Ansatz?

Schon in der Euro-Schuldenkrise, die von 2010 an vor allem Griechenland hart traf, wurde die Idee gemeinsamer Staatsanleihen diskutiert, die als „Eurobonds“ bezeichnet wurden. Die Kluft verlief auch damals schon zwischen hoch verschuldeten Ländern wie Griechenland, Italien, Irland, Spanien und Portugal und wirtschaftlich starken Ländern, die fürchteten, über Jahre für Schulden mithaften zu müssen, die sie selbst nicht gemacht hatten. 

Die Eurobonds scheiterten damals am Widerstand Deutschlands, Frankreichs und der nordeuropäischen Länder. Stattdessen wurde der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) geschaffen, der Griechenland die dringend benötigten Kredite gewährte, dies aber an die Bedingung drastischer Sparmaßnahmen koppelte.

Wer ist für, wer ist gegen die Bonds?

Die Linie verläuft zwischen zwei Gruppen, die oft als Süd-Länder und Nord-Länder bezeichnet werden. Die hart von der Corona-Krise betroffenen Länder Italien, Spanien und Frankreich fordern Corona-Bonds, auch Irland, Portugal, Belgien, Luxemburg, Griechenland und Slowenien sind unter den Befürwortern. 

Der französische Finanzminister Bruno Le Maire möchte sein Anliegen allerdings nicht mit dem stark aus der Eurokrise vorbelasteten Begriff der Eurobonds in Verbindung bringen. So brachte er die Idee eines europäischen Solidaritätsfonds in die Debatte ein, der mit gemeinsamen Schulden finanziert wird.

Strikte Gegner der gemeinsamen Anleihen sind Deutschland, Finnland, Österreich und die Niederlande.

Was sagen Befürworter der Corona-Bonds?

Ende März hatten sich italienische Politiker unterschiedlicher Parteien in einer ganzseitigen Anzeige in der „FAZ“ an die deutsche Öffentlichkeit gewandt und für die gemeinsame Ausgabe von Bonds geworben. Dabei betonten sie, dass es „nicht um die Vergemeinschaftung der öffentlichen Altschulden“ gehe, sondern darum, genügend Mittel für „einen großen europäischen Rettungsplan für Wirtschaft, Gesundheits- und Sozialwesen“ bereitzustellen. Sie erinnerten auch an die große Solidarität, die Deutschland 1953 erfahren habe, als Italien und 20 weitere Länder sich in London darauf einigten, dem tief verschuldeten Deutschland die Hälfte seiner Verbindlichkeiten zu erlassen.

Für Unterstützer der Corona-Bonds in Deutschland ist nicht allein Solidarität das entscheidende Argument, es geht auch um Vorteile für die eigene Wirtschaft. Auf diese Weise argumentiert der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, für die Corona-Bonds. „Die Hälfte unserer Wirtschaftsleistung sind Exporte, über die Hälfte dieser Exporte gehen nach Europa. Und wenn Italien in Schieflage kommt, dann haben auch wir in Deutschland ein riesiges Problem“, sagte Fratzscher im RBB-Inforadio. Firmen gingen pleite, hunderttausende Arbeitsplätze fielen weg. Deshalb gehe es bei den Bonds auch um „kluges Eigeninteresse“.

Genauso sieht es Grünen-Chef Robert Habeck. Im Interview mit der „Welt am Sonntag“ begründete er seine Unterstützung für Bonds mit dem Erhalt der Absatzmärkte für deutsche Waren. „Wir sind ein Exportland. Das können wir nur bleiben, wenn Volkswirtschaften ökonomisch angeschlagener Länder jetzt nicht untergehen.“

Auch der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans machte sich Anfang April noch einmal im Deutschlandfunk für die Corona-Bonds stark. „Wenn die einzelnen Staaten nicht auf die Beine kommen, kommt Europa auch nicht auf die Beine. Es geht also um die Rettung Europas.“ Wegen des großen Widerstands des Koalitionspartners und anderer Länder befürwortete er als schnelle Unterstützung erst einmal andere Maßnahmen, doch will langfristig auch die Option der Bonds nicht aufgeben. Die Bonds umfassten mit bis zu einer Billion Euro ein noch größeres Volumen als die anderen möglichen Instrumente, so Walter-Borjans im Interview.

Bruno Le Maire beim Telefonat mit Olaf Scholz in einer Pause der Konferenz der Euro-Finanzminister am Dienstag.

© Thomas SAMSON/AFP

Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, sieht die Krisen-Gemeinschaftsanleihen durch die außerordentlich ernste Situation legitimiert. „Hier sollte man sich in Berlin nicht sperren, wenn man die Eurozone nicht durch diese Krise in eine existenzielle Gefährdung bringen will“, so Hüther.

Holger Schmieding, Chef-Volkswirt bei der Privatbank Berenberg, sieht Corona-Bonds als geeignetes Mittel, um die Zinsen am Kapitalmarkt für die betroffenen Länder zu drücken. Die Bonds sind aus seiner Sicht effizienter als die milliardenschweren Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB).

Auch der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zeigt sich aufgeschlossen für eine gemeinsame Schuldenaufnahme von EU-Ländern in Krisenfällen. Für eine kurzfristige Antwort auf die Notlage wegen der Viruskrise seien sogenannte Corona-Bonds jedoch nicht geeignet. Es würde „Monate und Monate“ brauchen, um die nötige Finanzarchitektur dafür aufzubauen, sagte der Luxemburger, der von 2014 bis 2019 die EU-Behörde führte, der französischen Tageszeitung „Libération“.

Juncker warnte davor, gemeinsame Anleihen für immer vom europäischen Krisenarsenal auszuschließen: „Die Länder des Südens hätten den Eindruck, dass die sogenannten tugendhaften Länder des Nordens nicht bereit sind, die Last der Krise solidarisch zu tragen.“

Was sagen Kritiker der Corona-Bonds?

Gegner der Corona-Bonds sorgen sich, dass Deutschland für die Schulden anderer Länder mit haftet und aus den Bonds ein Dauerinstrument wird. „Deutschland würde in voller Höhe für den Umfang jeder so begebenen Anleihe anderer Mitgliedstaaten haften, ohne auch nur ein kleines Wörtchen bei der Finanzpolitik des jeweiligen Landes mitreden zu können“, argumentiert der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld. 

Er fürchtet zudem, dass es nicht bei einer Ausnahme in der aktuellen Krise bleiben wird: „Zu meinen, man könne solche Bonds nur vorübergehend einführen, ist blauäugig. Sind sie einmal da, bleiben sie“, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der „Börsen-Zeitung“.

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Auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hält die Ablehnung der Bonds durch einige EU-Staaten für berechtigt. Hinter dem Begriff Corona-Bonds stehe doch eher die größere Frage der Haftung: „Und da sind die Vorbehalte in Deutschland, aber auch in anderen Ländern berechtigt.“

Ein weiteres Argument gegen die Bonds sind der rechtliche und zeitliche Rahmen. Die Eurobonds müssten als neues Instrument erst noch geschaffen werden, wobei andere Instrumente schon zur Verfügung stehen. Kritiker berufen sich etwa auf die sogenannte No-Bailout-Klausel in den europäischen Verträgen, die die Haftung der EU und ihrer Mitgliedsstaaten für die Verbindlichkeiten einzelner Mitgliedsstaaten ausschließt.

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Der Ökonom Daniel Gros, Vorsitzender des Thinktanks CEPS, setzt im Interview mit dem Tagesspiegel an einem ganz anderen Punkt an: der bereits hohen Verschuldung Italiens.

Dem Land sei mit neuen Schulden wenig geholfen, auch wenn die Zinsen vergleichsweise günstig seien, weil darüber hinaus noch die alten Schulden bedient werden müssten. Als Alternative schlägt er vor, Italien temporär von den Beiträgen zum EU-Haushalt zu befreien. Im Laufe der kommenden EU-Finanzperiode könnte man die Beiträge Italiens von anfangs Null auf sukzessiv höhere Beiträge staffeln, so der theoretische Ansatz.

Welche Alternativen sind denkbar?

Bei der Marathon-Sitzung von Dienstag hatten die Euro-Finanzminister bereits über ein Rettungspaket im Umfang von 500 Milliarden Euro beraten, das drei Elemente umfassen soll: einen Garantiefonds der Europäischen Investitionsbank EIB für Unternehmenskredite, das von der EU-Kommission angedachte Kurzarbeiter-Programm namens „Sure“, das in der Krise Jobs sichern soll, sowie vorsorgliche Kreditlinien des Eurorettungsschirms ESM für besonders betroffene Staaten.

Der ESM war 2012 auf dem Höhepunkt der Euroschuldenkrise gegründet worden. Gesichert durch Einlagen der Eurostaaten nimmt er Kredite am Kapitalmarkt auf und reicht sie unter bestimmten Auflagen an Staaten weiter, die selbst am Markt höhere Zinsen zahlen müssten oder keine Kredite mehr bekämen. 

Bisher sind Hilfen des ESM an strenge Kriterien gebunden und werden von den betroffenen Ländern als Stigmatisierung empfunden. So war der ESM auch ein zentraler Streitpunkt bei den bisherigen Verhandlung der Finanzminister.

Hintergründe zum Coronavirus:

Bei der langen Sitzung am Dienstag beharrte der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra, unterstützt von mehreren Kollegen, auf strengen Auflagen für die Kreditnehmer und brachte die Verhandlungen damit zum Stocken.

Bundesfinanzminister Scholz hingegen fordert, dass die Kreditvergabe an Auflagen zur Pandemie geknüpft werde. Es gehe nicht um grundsätzliche wirtschaftliche Auflagen etwa beim Rentensystem oder Arbeitsmarkt, so Scholz nach Abschluss der ersten Verhandlungssitzung am Mittwochmorgen.

Welche Chance haben Corona-Bonds in den weiteren Verhandlungen?

Die Eurogruppe will die zwischenzeitlich unterbrochenen Verhandlungen am Donnerstagabend wieder aufnehmen. Dass sich die Finanzminister dabei auf Corona-Bonds einigen, ist nahezu ausgeschlossen. 

Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die gemeinsame Verschuldung der EU-Mitgliedsstaaten in einer Sondersitzung der Unionsfraktion am Donnerstag erneut klar abgelehnt. Nach Angaben von Teilnehmern der Videokonferenz habe sich Merkel offen für finanzielle Solidarität Deutschlands gezeigt - nicht jedoch in der Form von Bonds.

Dass sich die Finanzminister über das Rettungspaket im Wert von rund 500 Milliarden Euro einigen, gilt als wahrscheinlicher. Dieses könnte relativ zügig umgesetzt werden, noch bevor der Grundsatzstreit um mögliche Corona-Bonds gelöst ist. (mit dpa/Reuters)

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