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In der SPD tut man sich schwer, den Ausgang des Entscheids vorherzusagen. Womöglich entscheidet der Grad der Mobilisierung.

© Michael Kappeler/dpa

Wettbewerb um die SPD-Spitze: Attacken auf das Establishment

Auch ohne die Einmischung von Hans-Georg Maaßen ist der Prozess der SPD-Chef-Wahl schon kompliziert genug. Für Geywitz/Scholz ist das Problem die Mobilisierung.

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Darauf hätte die SPD wohl gern verzichtet. Mit den Worten „Liebe Genossen“ schaltete sich nun auch noch der frühere Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen in die Debatte um die künftige Parteispitze ein. Er empfehle als Vorsitzenden Bundesfinanzminister Olaf Scholz, twitterte das nationalkonservative CDU-Mitglied, das vielen Sozialdemokraten verhasst ist. Scholz habe er im Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestages kennengelernt: „Ein guter Mann für die SPD, wesentlich besser als Walter-Borjans! Olaf Scholz genießt mein Vertrauen!“

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Entsprechend deftig fielen die Reaktionen aus der SPD aus. „Ist das ein Fake?“, fragte die Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe und verbat sich die Einmischung: „KEIN Sozi hat es verdient, von Ihnen empfohlen zu werden!! Da stehen wir drüber.“ Kolbes Abgeordneten-Kollege Timon Gremmels äußerte ebenfalls auf Twitter die Vermutung, Maaßen wisse um seinen Ruf in der SPD und wolle Scholz mit der Empfehlung schaden.

Im zweiten Duell der Kandidatenpaare Klara Geywitz/Olaf Scholz und Saskia Esken/Norbert Walter-Borjans hatte der Finanzminister es am Montagabend als großen Fehler bezeichnet, Maaßen im Sommer 2018 nicht schneller von seinen Aufgaben zu entbinden. Nachdem der damalige Amtschef die Bundesregierung im Streit um den Begriff „Hetzjagden“ öffentlich attackiert hatte, stimmte die damalige SPD-Chefin Andrea Nahles zunächst seiner Beförderung zum Staatssekretär zu und provozierte damit einen Sturm der Entrüstung aus der eigenen Partei.

Schon ohne die Einmischung des notorisch provokanten Nationalkonservativen scheint der Wahlprozess für die neue Parteispitze heikel genug. Seit Dienstag können die SPD-Mitglieder online oder per Brief abstimmen, sogar das Porto übernimmt nun das Willy-Brandt-Haus. Gewissheiten gibt es nicht in dem Verfahren, nur die Vermutung, dass es wohl auf ein knappes Ergebnis hinausläuft, das dann die Gespaltenheit der Partei sichtbar machen und jede neue Führung vor eine schwierige Aufgabe stellen würde.

„Das Establishment schlägt zurück.“

In die öffentliche Auseinandersetzung der SPD um ihre neue Führung ist Bewegung gekommen, seit sich Außenminister Heiko Maas und seine Kabinettskollegin Franziska Giffey für Geywitz und Scholz ausgesprochen haben. Manche Parteilinke wittern hinter der Unterstützung aus dem Kabinett allerdings eine „konzertierte Aktion“. Dass der Außenminister seine Wahlempfehlung nicht als Wortmeldung eines hochrangigen Genossen, sondern als Meinung eines „einfachen Mitglieds“ verstanden wissen wollte, zog im Netz den Spott an. Bei Twitter machte das Hashtag „#einfachesMitglied“ die Runde. Der ehemalige Juso-Vize Filippos Kourtoglou schrieb über Maas‘ Vorstoß: „Das Establishment schlägt zurück.“

Zum Weiterlesen

  • Die Themenseite zur SPD mit gesammelten Beiträgen finden Sie hier.
  • Wie Hans Georg Maaßen mit seiner Empfehlung für Scholz auf Twitter Häme kassierte, lesen Sie hier.

Dass sich Regierungsmitglieder wie Maas oder Giffey für Scholz und Geywitz stark machen, dürfte zwar auch im linken Flügel niemanden überraschen. Unter den Kabinettsmitgliedern herrscht eine gewisse Solidarität – und ein gemeinsames Interesse: Wollen die SPD-Minister ihre Ämter behalten, dann können Scholz und Geywitz als Groko-Verteidiger das am ehesten garantieren. Ein sozialdemokratischer Minister, der sich offen für die Groko-Kritiker Walter-Borjans und Esken ausspricht, wäre andererseits kaum vorstellbar.

Trotzdem wünschen sich mache Linken in der Partei mehr Zurückhaltung von ihren Spitzengenossen. „Sehr fahrlässig“ seien die öffentlichen Aufrufe aus den SPD-Ministerien für Scholz und Geywitz, kritisiert eine Bundestagsabgeordnete. „Das spaltet die Partei, vor allem zwischen oben und unten.“

Erinnerung an das Groko-Votum von 2018

Manche fühlen sich an das Mitgliedervotum zur Groko aus dem Jahr 2018 erinnert. Damals bauten viele aus der Parteispitze eine Drohkulisse auf: Sollte die Basis ihr Ja zu einer Fortsetzung der großen Koalition verweigern, würde das den schnellen Untergang der SPD in Neuwahlen bedeuten, lautete die Argumentation. Groko-Gegner sahen sich damals vom SPD-„Establishment“ ausgebootet, da das Willy-Brandt-Haus mit aller Kraft für die Fortsetzung von Schwarz-Rot trommelte – die Argumente der Gegner-Seite aber nicht über offizielle Parteikanäle verbreitet werden durften.

Schließlich stimmten 66 Prozent für die Groko, viele davon aber mit der Faust in der Tasche, wie es in der SPD heißt. Der Parteifrieden währte entsprechend kurz. Die Diskussion über ein vorzeitiges Ende der Groko dauert bis heute an.

Keine Einigkeit unter den SPD-Regierenden

In der SPD-Linken gibt es eine zusätzliche Sorge: Sollte das Team Walter-Borjans/Esken gewinnen – wie soll dann die Zusammenarbeit mit Scholz/Geywitz-Fans wie Maas, Giffey und Co. aussehen? „Von unseren Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten wünsche ich mir da mehr Verantwortungsbewusstsein“, sagt ein Mitglied der Parlamentarischen Linken. Gemeint ist: Sie sollten ihren Promi-Status nicht für die Beeinflussung der Stichwahl nutzen.

Die beiden SPD-Ministerpräsidentinnen Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) und Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) haben bislang keine Wahlempfehlung abgegeben. Das gleich gilt für die zwei Bürgermeister Michael Müller (Berlin) und Andreas Bovenschulte (Bremen). Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und sein niedersächsischer Amtskollege Stephan Weil sind hingegen klar für Scholz und Geywitz.

„Die einen kann man nicht, die anderen will man nicht wählen.“

Unterstützung von den beiden kommt auch von einer Reihe Ex-Politikern, die einen gemeinsamen Aufruf mit der Überschrift „Strategie, Führung, Mut!“ unterzeichnet haben. Sie wollen Scholz und Geywitz an der Parteispitze sehen, da beide gezeigt hätten, „dass sie regieren wolle und regieren können“. Geywitz verkörpere in dem Team die Erneuerung der Partei. Scholz wiederum stehe für den „Anspruch der SPD auf das Kanzleramt“.

Zu den Unterzeichnern zählen Gernot Erler, früher Staatsminister im Auswärtigen Amt, sowie Ernst-Ulrich von Weizsäcker, ehemaliger Bundestagsabgeordneter und früher Präsident des Club of Rome. Auch der Oberbürgermeister von Mannheim, Peter Kurz, ist dabei, ebenso Edzard Reuter, der Sohn des berühmten früheren Berliner SPD-Oberbürgermeisters Ernst Reuter.

Ihnen steht eine Initiative von 156 SPD-Mitgliedern aus Nordrhein-Westfalen gegenüber, die sich für das Team von Walter-Borjans und Esken ausspricht. „Im Blick dabei haben wir nicht nur die Lage der SPD bundesweit, sondern vor allem auch unsere Kommunalwahlen im nächsten Jahr“, erklären sie die Gründe für ihren Aufruf. Angeführt wird die Gruppe von der linken Bielefelder SPD-Bundestagsabgeordneten Wiebke Esdar, von neun NRW-Landtagsabgeordneten und einer Reihe von Bürgermeistern aus dem Bundesland. „Die SPD leidet unter einem starken Vertrauensverlust“, klagen die Genossen sicher. „Jetzt ein ‚Weiter so!‘ als Botschaft wäre ein fatales Signal. Die SPD muss deutlicher Position beziehen und mehr Mut zeigen.“

Bleiben die Unschlüssigen untätig?

Zwar dürfen Geywitz und Scholz hoffen, dass eine Mehrheit der Mitglieder in der Tradition des Pro-Groko-Beschlusses von 2018 hinter ihnen steht. Ihr Problem aber ist die Mobilisierung dieser stummen Unterstützer. Die Unzufriedenen, die einen Kurswechsel nach links und das Ende der Groko wollen, sind hochmotiviert und werden voraussichtlich lebhaft abstimmen. Die Jusos trommeln für Esken/Nowabo. Wer zufrieden oder unschlüssig ist, bleibt womöglich untätig. Viele in der SPD erwarten eine noch schlechtere Wahlbeteiligung als im ersten Durchgang, als etwas mehr als die Hälfte der Mitglieder abstimmte.

Dazu kommt, dass viele in der Partei Esken/Nowabo zwar den schwierigen Job nicht zutrauen,  gegenüber dem seit Jahrzehnten in der Partei tätigen Scholz aber starke emotionale Vorbehalte haben. Ein Genosse bringt sein Dilemma auf die Formel: „Die einen kann man nicht wählen, die anderen will man nicht wählen.“ Das Ergebnis der Urabstimmung soll am 30. November feststehen.

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