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Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Rede an die Nation zur Coronakrise.

© Uta Tochtermann / AFP

Die Kanzlerin zum Kampf gegen das Virus: „Wir werden auf die Probe gestellt wie nie zuvor“

Erstmals wendet sich Angela Merkel in einer außerordentlichen TV-Ansprache an die Bevölkerung. Im Video: Der dringliche Appell der Kanzlerin.

Hinter Angela Merkel liegt der für den Publikumsverkehr geschlossene Reichstag; eine Deutschland- und eine Europafahne zu ihrer Linken versucht die Kanzlerin die auch für sie kaum fassbaren Dinge zu ordnen .

Sie tut etwas, was sie noch nie getan hat. Sie redet jenseits der Neujahrsansprache zum Volk, in einer TV-Ansprache.

Als die ARD die Ankündigung über den für die Kanzlerin ungewöhnlichen Schritt verschickt hatte, schossen sofort Spekulationen ins Kraut.

Will Merkel jetzt auch noch eine Ausgangssperre verkünden, so wie sie schon in Italien, Belgien, Spanien und Frankreich gilt? Vom Kanzleramt wird schnell beschwichtigt: Nein, es ist ein Appell geplant, warum der Stillstand unverzichtbar ist, um Leben zu retten. Und dass es keine Aufgabe der Politik allein ist, sondern dass 83 Millionen gefragt sind.

Für 16.30 Uhr sind ARD- und ZDF-Teams in das Kanzleramt eingeladen, am Abend wird die Ansprache nach den Hauptnachrichtensendungen ausgestrahlt. „Ich glaube fest daran, dass wir diese Aufgabe bestehen, wenn wirklich alle Bürgerinnen und Bürger sie als Ihre Aufgabe begreifen“, mahnt sie. In der Abschrift ist das Wort „Ihre“ so geschrieben: „IHRE“.

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„Ich glaube fest daran, dass wir diese Aufgabe bestehen“

Merkels klare Botschaft lautet: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“

Jeden Tag bekommt sie die neuen Zahlen - und die Sorge ist vor allem die, dass sich zu wenige Bürger an das Abstandhalten und Zuhausbleiben halten, so dass die Ausbreitung nicht rasch genug verlangsamt werden kann und dann auch die Todeszahlen stark steigen könnten. „Es geht darum, das Virus auf seinem Weg durch Deutschland zu verlangsamen“.

Sie sieht diese Krise als größte Herausforderung „seit dem Zweiten Weltkrieg“. Es komme auf „unser gemeinsames solidarisches Handeln an“. Es gehe nicht um abstrakte Statistiken: „Wir sind eine Gemeinschaft, in der jedes Leben und jeder Mensch zählt.“ Es ist eine menschliche Merkel, die da spricht, ruhig, besonnen.

„Es gibt wunderbare Beispiel von Nachbarschaftshilfe“

Und die das Positive herausstreicht, um die Unvernünftigen zur Vernunft zu bringen. „Schon jetzt gibt es Enkel, die ihren Großeltern einen Podcast aufnehmen, damit sie nicht einsam sind“, erzählt die Kanzlerin. „Wir allen müssen Wege finden, um Zuneigung und Freundschaft zu zeigen: Skypen, Telefonate, Mails und vielleicht mal wieder Briefe schreiben.“

Die Post werde ja ausgeliefert. „Man hört jetzt von wunderbaren Beispielen von Nachbarschaftshilfe für die Älteren, die nicht selbst zum Einkaufen gehen können. Es gehe darum, als Gemeinschaft zu zeigen, „dass wir einander nicht allein lassen.“

Und sie mahnt: „Glauben Sie nicht den Gerüchten, sondern nur den offiziellen Mitteilungen, die wir immer auch in viele Sprachen übersetzen lassen“. Merkel hat stets vermieden, durch zu viele Auftritte Panik zu schüren - jetzt gibt es sie fast täglich, sie will maximale Transparenz, was man da tut. Wie in der Finanzkrise gibt es kein Drehbuch. Das Virus rückt auch der Regierung näher.

Viele Instrumente hat die Regierung nicht mehr

Am Mittwoch meldete Finanzminister Olaf Scholz, dass er schwer erkältet ist, sich hat auf Corona testen lassen und erstmal aus dem Homeoffice in Potsdam arbeitet. Merkels Ansprache ist der Versuch, das Schlimmste noch zu verhindern: Eine Ausgangssperre. Viele Instrumente hat die Regierung nicht mehr.

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Auch der französische Präsident Emmanuel Macron versuchte es erst mit schrittweisen Verschärfungen, bevor er sich am Montag an das Volk wandte. Gleich sechs Mal sagte er: „Wir sind im Krieg“ - und verhängte eine zunächst 15-tägige Ausgangssperre.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wähnt das Land in einem "Krieg" gegen das Virus.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wähnt das Land in einem "Krieg" gegen das Virus.

© Ludovic Marin / AFP

Merkel formuliert es in ihrer norddeutschen Art dezenter; an vorderster Front in dieser Krise mit einmaligen Einschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik sieht sie Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger. „Sie stehen für uns in diesem Kampf in der vordersten Linie.“ Sogar Beerdigungen und Hochzeiten müssen ohne Gäste stattfinden, Ostergottesdienste und Urlaube werden ausfallen.

Der Pariser Platz ist leer

Wie surreal die Lage ist, zeigt sich Mittwochmittag 13 Uhr. Niemand ist auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor, wo sonst hunderte Touristen vor Berlins Wahrzeichen posieren. Jemand, der plötzlich viel Zeit hat, schlendert einsam telefonierend am Tor entlang: SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Kurz zuvor hat der Merkel beratende Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler verkündet, dass die Zahl der Infizierten in Deutschland auf bis zu zehn Millionen bis Juni steigen könnte, falls die Maßnahmen zur Eindämmung nicht eingehalten werden.

Der Coronavirus sorgt für einen fast menschenleeren Pariser Platz am Brandenburger Tor.
Der Coronavirus sorgt für einen fast menschenleeren Pariser Platz am Brandenburger Tor.

© Paul Zinken/dpa

Mehrere Krisen überlappen sich durch den Stillstand. Ein Risiko ist, dass das Bankensystem in Schieflage kommt undBürger Angst bekommen, dass ihre Spareinlagen nicht mehr sicher sind. An den Börsen verpufften Eingriffe der Notenbanken und Ankündigungen wie der Bundesregierung, Milliarden-Schirme für die Wirtschaft zu spannen.

„Passen Sie gut auf sich auf“

In den ersten Tagen der Coronakrise war Merkel öffentlich kaum präsent. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereitete die Bürger auf drastische Maßnahmen vor, angefangen von der Empfehlung am 8. März, Großveranstaltungen ab 1000 Personen abzusagen.

Es folgten zehn Tage, die die Welt epochal verändern könnten.

Selbst Merkel kann nur sagen, sie hoffe, dass man danach wieder zum grenzenlosen Reisen im Schengen-Raum zurückkehren werde.

Die europäische Einigkeit zerfällt. Sie mahnt Disziplin an, damit man schneller durch das Unfassbare hindurchkommt. Ihre letzten Worte an das Volk: „Passen Sie gut auf sich und auf Ihre Liebsten auf. Ich danke Ihnen.“

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