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Baukräne ragen in Berlin in den Himmel.

© Foto: Paul Zinken/Picture Alliance/dpa

Wohnungsbaupläne der Bundesregierung: Luftschlösser aus vier Wänden

In Deutschland fehlen viele kostengünstige Wohnungen. Die Bundesregierung hat sich auf diesem Feld eine Menge vorgenommen – die Realität in Stadt und Land ist aber ernüchternd.

Es war von vornherein ein ambitioniertes Ziel: Den Bau von 400.000 Wohnungen pro Jahr hatte die Ampel-Koalition nach Übernahme der Regierungsgeschäfte angekündigt, um den dringendsten Bedarf der Bevölkerung vor allem an bezahlbarem Wohnraum zu befriedigen.

Nun, ein knappes Jahr und etliche Krisen sowie finanzielle Herausforderungen später, glaubt kaum einer noch an die Realisierung dieses anspruchsvollen Vorhabens. Doch die Regierung zeigt sich optimistisch.

Was genau haben SPD, Grüne und FDP in Sachen Wohnungsbau den Wählern versprochen?

400.000 neue Wohnungen jedes Jahr sowie mehr Sozialwohnungen, die zu subventionierten, günstigen Mieten vorbehalten sind für Haushalte mit geringen Einkünften. Jede vierte neue Wohnung sollte eine solchermaßen geförderte Immobilie sein.

Versprochen hatten die Partner in der Ampel außerdem, durch die „Entbürokratisierung und Standardisierung“ die Kosten für den Wohnungsbau zu senken. Wichtiger Komplex ist außerdem: den CO2-Eintrag durch den Bau neuer Wohnungen zu senken. Die Bau- und Gebäudewirtschaft machen einem UN-Bericht zufolge mehr als ein Drittel der globalen CO2-Emissionen aus.

Was ist davon erreicht worden?

Bisher nichts. Die Neubauziele hat der Bund gerissen: Nicht mal 300.000 neue Wohnungen entstanden im vergangenen Jahr, 4,2 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Von den 100.000 besonders dringend benötigten günstigen, sozial geförderten Mietwohnungen entstanden im vergangenen Jahr gerade mal ein Fünftel (21.468). Und die Aussichten sind düster. Das zeigt der Blick auf die neu genehmigten Wohnungen.

Baumaßnahme in Sachsen: Eine neue Wohnanlage in Leipzig besteht aus 18 Häusern mit 300 Wohnungen.
Baumaßnahme in Sachsen: Eine neue Wohnanlage in Leipzig besteht aus 18 Häusern mit 300 Wohnungen.

© Foto: Picture Alliance/dpa

Da nach der Genehmigung die Bauzeit etwa eineinhalb Jahren dauert, gelten die Genehmigungszahlen als ein „Frühindikator“. Und auch hier liegt die Branche unter dem Soll mit rund 380.000 genehmigten Wohnungen im vergangenen Jahr. Noch schlechter startete der Wohnungsbau in dieses Jahr: Die Zahl der genehmigten Objekte sank um 3,6 Prozent – statt zu steigen.

Was ist das von der Regierung initiierte „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“?

Fünf Themenfelder, 36 Bündnispartner, 187 einzelne Maßnahmen, von denen manche nun beschlossen sind, andere weiter diskutiert werden sollen: An fehlenden Ideen, was gegen die Wohnungsnot getan werden könnte, wird es wohl weniger scheitern als an der Umsetzung der Ideen in die Praxis.

Zum „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ gehören Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände, außerdem wichtige Verbände der Wohnungs- und Bauwirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen und zivilgesellschaftliche Organisationen. Solche Bündnisse sind keine Neuerfindung der Scholz-Regierung, sondern seit Langem Tradition. Für die aktuelle Legislaturperiode liegt nun erstmals ein umfangreiches Maßnahmenpaket vor, das zeigt, wie die Regierung mit ihren Partnern die Probleme angehen will.

Was ist auf den fünf Themenfeldern des Bündnisses geplant?

Themenfeld eins ist der klimagerechte und ressourcenschonende Wohnungsbau. Die baurechtlichen Standards sollen Schritt für Schritt den Energieverbrauch im Neubau senken, die Neubauförderung soll sich stärker als bisher an Treibhausgas-Emissionen und Energie- und Ressourceneffizienz orientieren. Es sollen mehr Bauprodukte recycelt und mehr Recyclingbaustoffe eingesetzt werden. Für den Neubau soll weniger Fläche als bisher verbraucht werden, etwa durch Nachverdichtung und Aufstockung.

Themenfeld zwei ist die Begrenzung der Baukosten. Rechtliche Regeln wie Bauordnungen sollen stärker vereinheitlich werden, der Bund will deutlich stärker als bisher serielles und modulares Bauen fördern, bei dem nicht jedes einzelne Gebäude von Grund auf neu genehmigt werden muss.

Es muss dringend neuer Wohnraum außerhalb der Ballungsgebiete entstehen.

Stefan Rettich, Professor für Städtebau

Themenfeld drei ist die nachhaltige Bodenpolitik und Baulandmobilisierung. Kommunen sollen Verkauf und Bereitstellung von Grundstücken stärker als bisher darauf ausrichten, dass Wohnraum entsteht. Auch sollen Wohnen und Arbeiten baulich stärker gemischt werden.

Themenfeld vier ist die Beschleunigung von Planung, Genehmigung und Realisierung. Digitalisierung und Entbürokratisierung, wer wollte da widersprechen? Der Bund hat sich eine Reform des Baugesetzbuches vorgenommen, bis 2023 soll sie umgesetzt sein. Länder und Kommunen haben eine „Stellenoffensive“ im öffentlichen Dienst auf dem Aufgabenzettel stehen. Überall in Deutschland soll es möglich werden, vor Ort einen digitalen Bauantrag zu stellen.

Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, sieht Handlungsbedarf bei bezahlbarem Wohnraum für Studierende.
Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, sieht Handlungsbedarf bei bezahlbarem Wohnraum für Studierende.

© Foto: www.kayherschelmann.de

Themenfeld fünf ist die öffentliche Förderung. Der Bund stockt die Mittel für die Soziale Wohnraumförderung auf und stellt von 2022 bis 2026 14,5 Milliarden Euro bereit. Bund und Länder haben ein gemeinsames Programm für studentisches Wohnen, junges Wohnen und Wohnen für Auszubildende vereinbart, auch barrierefreies Wohnen soll gefördert werden.

Neue steuerliche Anreize sollen das Bauen fördern, so soll der lineare Abschreibungssatz für neue Wohngebäude von zwei auf drei Prozent angehoben werden. Schließlich soll es neue geförderte Kredite für Menschen mit mittlerem Einkommen geben.

Wie soll der Anspruch „bezahlbaren“ Wohnens eingelöst werden?

Durch mehrere Maßnahmen: durch Förderung und Bau von neuen Sozialwohnungen sowie durch die Bereitstellung von Bauflächen in größerem Maße durch Länder und Gemeinden. Außerdem ist eine Reform des Baugesetzbuches vorgesehen.

Damit sollen die 3700 Normen und Vorschriften, die Bauen kompliziert, teuer und langwierig machen, auf die wesentlichen zusammengestrichen werden. Schließlich sollen standardisierte Häuser aus vorgefertigten Modulen einfacher genehmigungsfähig werden. Wohnungen vom Fließband könnten bei großen Stückzahlen günstiger geliefert und schneller aufgebaut werden, was Kosten spart.

Ist das alles neu – und wird das ausreichen, um schnell mehr Wohnraum zu schaffen?

Nein, diese Forderungen erheben Bau- und Wohnungswirtschaft bereits seit Jahren. Und fast ebenso oft und lang haben Arbeitskreise mit Experten Vorschläge zur Entschlackung des überregulierten Bauens, für modulare Bauten und für eine Vereinheitlichung der Bauordnungen der Länder gemacht. Einheitliche Normen bundesweit wenigstens für Modularbauten aus der Fabrik wären notwendig, um wirklich schnell viele Wohnungen vom Band herstellen zu können.

Außerdem gibt es einen schwer lösbaren Zielkonflikt: Die Neubauförderung soll auf Energie- und Ressourceneffizienz der Häuser ausgerichtet werden, Baustoffrecycling inklusive. Das ist dringend erforderlich, damit Deutschland seine CO2-Ziele erreicht. Nur: Viele dieser Maßnahmen im Umweltschutz kosten Geld und machen das Bauen teurer.

Eines der Grundprobleme in Deutschland sieht Stefan Rettich, Architekt und Professor für Städtebau an der Universität Kassel, in den extrem hohen Bodenpreisen. „Wir befinden uns in einem Allzeithoch“, sagte er dem Tagesspiegel. Bei einem Bauprojekt in guter Lage mache der reine Grundstückspreis bis zu 80 Prozent der gesamten Kosten aus. Hinzu kommen die gestiegenen Bau- und Energiepreise.

Kinos, Messe- und Büroflächen, da gibt es viel Leerstand. Das muss alles mitgedacht werden.

Stefan Rettich, Professor für Städtebau

„Alle Investoren, die ich kenne, sagen, wir entwickeln nur noch das, was wir in der Pipeline haben, weil ein Abbruch einfach zu teuer wäre. Bei allem anderen wird abgewartet.“ Rettich ist der Ansicht, dass Bund und Länder ihre Grundstücke den Kommunen kostenfrei zur Entwicklung zur Verfügung stellen sollten. „Eine andere Möglichkeit wird es kaum geben.“ Darüber hinaus müsse viel mehr als in der Vergangenheit dezentral gedacht werden.

„Es muss dringend neuer Wohnraum außerhalb der Ballungsgebiete entstehen und dort leer stehender Wohnraum genutzt werden.“ Die Mittelschicht sei ohnehin auf dem Weg nach draußen. Auch Umwidmungen seien möglich: „Kinos, Messe- und Büroflächen, da gibt es viel Leerstand. Das muss alles mitgedacht werden.“

Welche Rolle spielt für die Wohnungspolitik das Verhältnis Stadt/Land?

In den ländlichen Regionen ist die Perspektive auf das Thema Wohnraummangel eine andere als in den Städten: Dort gibt es teilweise viel Leerstand, und es geht viel stärker als in den Ballungsgebieten um die Frage, wie dafür gesorgt werden kann, dass ganze Gebiete attraktiv bleiben oder es wieder werden kann.

„Neben dem Neubau sind die Bestandsertüchtigung und die Aktivierung von Leerständen wichtige Hebel zur Schaffung von Wohnraum“, sagte am Mittwoch Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags. Die Attraktivität strukturschwacher Gebiete müsse gesteigert werden, zum Beispiel durch bessere Verkehrsanbindung, eine ausreichende Breitbandversorgung sowie Kinderbetreuung. „Auch die Erarbeitung eines Konzepts für den verstärkten Eigentumserwerb im Bestand ist ein richtiger Schritt.“

Auch Studenten beklagen horrend hohe Mieten. Was würde ihnen helfen?

Die Lage in den Hochschulstädten sei sehr angespannt, sagte Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, dem Tagesspiegel. „Auch der freie Markt verengt sich zunehmend. Die Warmmiete für ein WG-Zimmer in München liegt inzwischen bei 700 Euro. Wir sehen da einen erheblichen Handlungsbedarf.“

Die Bafög-Wohnkostenpauschale muss erhöht werden.

Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks

Sein drängender Appell: „Die Bafög-Wohnkostenpauschale muss erhöht werden. 360 Euro spiegeln nicht mehr die Realität wider, in 59 Hochschulstädten liegt die Durchschnittsmiete für ein WG-Zimmer darüber.“ Darüber hinaus müsse dringend gebaut werden – auch über das Studentenwerk. „Wir hoffen, dass es dafür jetzt endlich den Startschuss gibt.“ Allein bei elf der insgesamt 57 Studenten- und Studierendenwerke warten seit Mitte September 2022 mehr als 35.000 Studierende auf einen Wohnheimplatz.

Wo steht Berlin beim Bau von neuen Wohnungen?

Die Hauptstadt verfehlt ihre Bauziele ebenso wie der Bund. Statt der angstrebten 20.000 neu gebauten Wohnungen im Jahr entstanden in den vergangenen zwei Jahren jeweils nur gut 16.000. Und die Aussichten sind nicht gut, wie der Blick auf den Frühindikator, auf die Baugenehmigungen, zeigt: Im vergangenen Jahr waren 18.716 Wohnungen neu genehmigt worden, 8,5 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Im fünften Jahr in Folge sank diese Zahl nunmehr.

Woran hakt es in der Hauptstadt?

Im Kern an denselben Problemen wie beim Bund. Hinzu kommen die Kompetenzprobleme in der Verwaltung zwischen Senat und Bezirken sowie der Personalnotstand bei den Genehmigungsbehörden. Die Branche berichtet, dass eine Genehmigung zur Nutzung von Straßen und Gehwegen für eine Baustelle mehr als ein Jahr auf sich warten lässt. Teuer macht in Berlin das Bauen außerdem die Spekulation mit Grundstücken. Das hat die Preise kräftig erhöht.

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