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In aller Freundschaft . Strittiges deutlich ansprechen - darin haben Angela Merkel und Benjamin Netanjahu Erfahrung.

© Tobias Schwarz/AFP

Naher Osten: Worüber Israel und Deutschland uneins sind

Das deutsch-israelische Verhältnis gilt als gut. Doch das Regierungstreffen in Jerusalem wird nicht konfliktfrei bleiben - das liegt auch am Iran. Eine Analyse.

Es sind schwierige Zeiten für die Kanzlerin. Die große Koalition taumelt von einer Krise in die nächste. Die eigene Fraktion zeigt sich aufmüpfig. Und Europa liegt in Sachen Flüchtlinge über Kreuz. Da kommt eine kleine Flucht aus dem beschwerlichen Alltag in Form einer Kurzreise gerade recht.

Am 3. Oktober fliegt Angela Merkel mit ihrem Kabinett zu knapp zweitägigen Regierungskonsultationen nach Jerusalem. Doch auch wenn die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel gerade auf politischer Ebene als gut und freundschaftlich gelten, dürfte es bei einigen Themen knirschen.

Ohnehin ist das Treffen ein nachgeholtes. Eigentlich sollte es bereits im Mai 2017 stattfinden. Doch die Begegnung fiel aus. Die deutsche Seite begründete dies mit Terminproblemen. Aber einiges sprach dafür, dass Berlin verstimmt war. Merkel – in vielen Fragen eine erklärte Verbündete des jüdischen Staats – soll den massiven Ausbau jüdischer Siedlungen im Westjordanland missbilligt haben.

Der umstrittene Wohnungsbau wird wohl wieder zur Sprache kommen. Ebenso wie die generell schwierige Lage im Nahen Osten. „Auf der Agenda stehen regionale Herausforderungen und Bedrohungen wie Iran und die Situation in Syrien sowie der dringende Bedarf, Terror und Instabilität in der Region zu begegnen“, sagte Israels Botschafter Jeremy Issacharoff am Montag dem Tagesspiegel.

Gemeint ist damit nicht zuletzt die Situation in Gaza. Dort kommt es seit Tagen zu gewaltsamen Protesten. Sieben Palästinenser sind dabei allein am Freitag ums Leben gekommen. Experten warnen schon lange vor der Gefahr eines neuen Krieges.

Die Verhandlungen über eine langfristige Waffenruhe zwischen Israel und der in Gaza herrschenden islamistischen Hamas sind vorerst gescheitert. Außerdem ist die immense Not im Küstenstreifen noch einmal größer geworden, weil die USA ihre Hilfszahlungen eingestellt haben.

IRAN UND DER ATOMDEAL

Wie halten wir es mit dem Mullah-Regime? Bei der Antwort auf diese Frage liegen zwischen Israel und Deutschland Welten. Für Ministerpräsident Benjamin Netanjahu steht fest, dass Teheran der gefährlichste Unruhestifter der Region ist.

Er traut wie US-Präsident Donald Trump den Machthabern der Islamischen Republik nicht über den Weg und hält deren Versprechen für eine Finte, um die wahren Absichten zu kaschieren. In der Tat mischt Teheran in vielen Konflikten mit, hat dem „zionistischen Gebilde“ Israel immer wieder mit Vernichtung gedroht und jahrelang die Welt über sein Nuklearprogramm getäuscht. Nun allerdings bescheinigt die Atomenergiebehörde dem Iran, sich an das 2015 ausgehandelte Abkommen zu halten.

Dennoch hat Washington scharfe Sanktionen verhängt – aus Netanjahus Sicht ein richtiger Schritt, um Teheran unter Druck zu setzen. Die deutsche und europäische Regierungen wollen dagegen am Atomdeal unbedingt festhalten. Dazu gehört, dem Iran wirtschaftlich entgegenzukommen und damit die Folgen der amerikanischen Strafmaßnahmen abzumildern. Netanjahu wirft deshalb Europa eine völlig realitätsferne Form der Beschwichtigungspolitik vor. Merkel wird dies vermutlich nicht so stehen lassen.

ZWEISTAATENLÖSUNG UND SIEDLUNGEN

„Wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig sind.“ Das hat Merkel vor sechs Jahren nach einem Treffen mit Netanjahu gesagt. Der Satz gilt bis heute. Gemeint ist der Bau jüdischer Siedlungen im Speziellen und der Umgang mit dem Nahostkonflikt im Allgemeinen.

Nur: Auf deutscher Seite kommt der Unmut mittlerweile stärker zum Ausdruck. „Die Frustration aufseiten der EU und Deutschlands wächst, denn nichts tut sich auf diesem Gebiet. Es geht eher rück- als vorwärts“, analysiert Adi Kantor, Expertin für europäisch-israelische Beziehungen am Institut für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv.

Konfrontativ. Vor zwei Wochen gab es bereits heftige Proteste gegen den Abriss des Beduinendorfs Khan al Ahmar.
Konfrontativ. Vor zwei Wochen gab es bereits heftige Proteste gegen den Abriss des Beduinendorfs Khan al Ahmar.

© Mussa Qawasma/Reuters

Die Bundesregierung betont, nach wie vor an der Zweistaatenlösung festzuhalten. In Israel hingegen werden mit dem Bau von Siedlungen Tatsachen geschaffen, die eine solche Übereinkunft erschweren. Netanjahu betont, seine Regierung werde die Souveränität über die Sicherheit zwischen Jordan und Mittelmeer nicht aus der Hand geben. Ob man dann noch von einem Palästinenserstaat sprechen könne? Netanjahu antwortet auf diese Frage zumeist ausweichend.

Aktuell wird über das Beduinendorf Khan al Ahmar gestritten. Bis zum 1. Oktober hatten die Behörden den Bewohnern Zeit gegeben, ihre Hütten zu verlassen. Sollte es so weit kommen, dass das Dorf geräumt wird und dort Wohnungen für jüdische Israelis entstehen, würde ein kompletter Siedlungsblock das Westjordanland durchtrennen – ein zusammenhängender palästinensischer Staat wäre so kaum zu realisieren. Deutschland und andere EU-Staaten warnen, der Abriss des Dorfes könnte ernsthafte Folgen haben.

ANTISEMITISMUS IN DEUTSCHLAND

Die Bundesregierung will in Zeiten vermehrter Angriffe auf Juden in Deutschland ein klares Zeichen setzen. Deshalb reist der neue Antisemitismus-Beauftragte Felix Klein mit nach Israel. In ihrem jüngstem Videopodcast nennt Merkel die Berufung Kleins „ein wichtiges Zeichen, sowohl zur Stärkung des jüdischen Lebens in Deutschland als auch der klaren Haltung gegen Antisemitismus“. Und sie bedauert: „Keine einzige jüdische Einrichtung kann unbewacht überhaupt bestehen.“

Am Abend des 27. August wurde das jüdische Restaurant Schalom in Chemnitz von Rechten angegriffen.
Am Abend des 27. August wurde das jüdische Restaurant Schalom in Chemnitz von Rechten angegriffen.

© Hendrik Schmidt/ZB/dpa

In Israel wird die Judenfeindlichkeit in Deutschland durchaus wahrgenommen. Adi Kantor spricht von einer wachsenden Frustration darüber, dass Juden auch 73 Jahre nach dem Holocaust noch bedroht werden. Netanjahu hatte sich bereits nach der Bundestagswahl vor einem Jahr besorgt über den wachsenden Antisemitismus in Deutschland gezeigt.

Die AfD nannte Israels konservativer Premier zwar nicht beim Namen, dafür wies er jedoch auf den Einfluss „islamistischer Elemente“ hin. Es liegt an Kanzlerin Merkel, bei den Konsultationen in Jerusalem deutlich zu machen: Die Bundesregierung nimmt den Kampf gegen Antisemitismus sehr ernst.

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