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Urne bei einer Bundestagswahl.

© IMAGO/Eibner-Pressefotox

Mit der Erst- und Zweitstimme taktisch wählen: Wie viel Einfluss hat der Brandenburger Wähler?

Zehn von 299 Wahlkreisen liegen in Brandenburg. Taktisch wählen können Wahlberechtigte auch hier. Wie viele Brandenburger Abgeordnete ziehen in den Bundestag? Und was verändert die Wahlrechtsreform?

Stand:

Die Bundestagswahl 2025 ist anders als die vorherigen Wahlen. Nicht nur, dass die AfD, vor allem in Brandenburg, auf dem Vormarsch ist und neue Parteien wie das Bündnis Sahra Wagenknecht zur Wahl stehen. Veränderung bringt insbesondere die Wahlrechtsreform, die den Bundestag auf 630 Sitze deckelt. Das hat auch Einfluss auf die Brandenburger Wahl. Ein Überblick über das Brandenburger Stimmgewicht, Erst- und Zweistimme sowie taktisches Wählen.

Wie viel zählt die Brandenburger Stimme?

„Das Stimmgewicht ist überall gleich“, sagt Thomas Nobbe, Stellvertreter des Landeswahlleiters. Aus der Bevölkerungszahl ergibt sich die Anzahl der Wahlkreise und Mandate pro Bundesland. „Der Bevölkerungsanteil von Brandenburg ist ein Dreißigstel der Bundesbevölkerung“, sagt er.

10
von 299 Wahlkreisen liegen in Brandenburg

Von den 299 Wahlkreisen liegen zehn in Brandenburg. „Brandenburg ist kein riesengroßes Land und hat daher keinen riesigen Einfluss“, sagt Jan Philipp Thomeczek, Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam.

Im Bundeslandvergleich liegt Brandenburg auf Platz 10 von 16. Bremen, das Saarland, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben noch weniger Wahlkreise.

Jan Philipp Thomeczek, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft der Universität Potsdam.

© dpa/Soeren Stache

Das Brandenburger Wahlergebnis entscheidet über voraussichtlich 21 Brandenburgerinnen und Brandenburger, die dem neuen, maximal 630 Sitze großen Bundestag angehören.

Wegen der Grundmandatsklausel haben manche Wahlkreise mehr Einfluss. Gewinnt eine Partei drei Direktmandate, zieht sie demnach sicher in den Bundestag ein, ungeachtet der Fünf-Prozent-Hürde. So gelang den Linken 2021 der Wiedereinzug, gleiches ist die Strategie 2025. „Gerade die Linken-Wähler haben in diesen Wahlkreisen mehr Einfluss, ob die Linke in den Bundestag kommt“, sagt Thomeczek. Die drei entscheidenden Wahlkreise liegen nicht in Brandenburg.

Wie viele Brandenburger Abgeordnete ziehen in den Bundestag ein?

In Brandenburg werden aufgrund der Wahlrechtsreform voraussichtlich 21 Mandate vergeben. Diese Zahl entspricht den drei Prozent von 630 Sitzen, die Brandenburg aufgrund seiner Bevölkerungszahl rechnerisch besetzt. Selbige Zahl hatte die Bundeswahlleitung nach dem Ergebnis der Bundestagswahl 2021 berechnet.

Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass wir im Ergebnis 21 Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg haben.

Thomas Nobbe, Stellvertreter des Landeswahlleiters Brandenburg

Ob es tatsächlich 21 werden, hängt auch davon ab, ob Brandenburgs Wahlbeteiligung stark von der bundesweiten abweicht oder vom Landesergebnis einer Partei, die bundesweit an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Thomas Nobbe, Stellvertreter des Landeswahlleiters, prognostiziert keine „so krassen Unterschiede“.

2021 lag die Landes-Wahlbeteiligung bei 75,6 Prozent, bundesweit bei 76,4 Prozent. „Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass wir im Ergebnis 21 Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg haben“, so Nobbe.

Ob alle zehn Direktgewählten in den Bundestag einziehen, ist mit der Wahlrechtsreform unsicher – dazu weiter unten mehr. Sollten weniger als zehn Abgeordnete mit Direktmandat einziehen, werden die frei gewordenen Plätze entsprechend dem Landesergebnis über die Landeslisten der übrigen Parteien verteilt.

Wie viele Mandate eine Partei erhält und ob sie es über die Fünf-Prozent-Hürde schafft, errechnet sich nach dem bundesweiten Zweitstimmenergebnis. Die errechnete Anzahl an Mandaten werden über die Landeslisten entsprechend der Landesergebnisse verteilt. Thomas Nobbe sagt: „Wenn die CDU in Brandenburg unterdurchschnittlich abschneidet, ist sie im Bundestag unterdurchschnittlich durch Brandenburger CDU-Abgeordnete vertreten.“ Laut der jüngsten Prognosen könnten überproportional viele Brandenburger AfD- und SPD-Abgeordnete einziehen.

21
Mandate werden voraussichtlich aus Brandenburg besetzt

In der aktuellen Legislaturperiode saßen aufgrund von drei Überhang- und zwei Ausgleichsmandaten 25 Abgeordnete aus Brandenburg im Bundestag: zehn von der SPD, fünf von der AfD, vier von der CDU und jeweils zwei von FDP, Grünen und Linke. Auch 2017 wurden 25 Brandenburger Abgeordnete in den Bundestag gewählt. 2013 zogen 20 Abgeordnete ein, 2009 waren es 19.

Mit der Wahlrechtsreform gibt es keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr. Der Bundestag wird nun auf maximal 630 Sitze begrenzt. Davon werden bis zu 299 Direktmandate und die restlichen Mandate, also mindestens 321, über die Landeslisten der Parteien vergeben.

Was bedeutet die Wahlrechtsreform für die Erststimme?

Mit der Erststimme wählt man den Direktkandidaten oder -kandidatin im Wahlkreis. Bisher waren die zehn Brandenburger Direktgewählten sicher im Bundestag. Mit der Wahlrechtsreform gibt es diese Garantie nicht mehr. Es gilt die Zweitstimmendeckung. Das heißt: Gewinnt eine Partei über die Erststimmen mehr Wahlkreise als ihr gemessen am Zweitstimmenergebnis an Sitzen zustehen, gehen die Wahlkreissieger mit den schlechtesten Wahlergebnissen leer aus.

Betreffen könnte das in Brandenburg die AfD. Laut aktueller Wahlkreisprognose und election.de könnte die AfD neun der zehn Wahlkreise gewinnen. Laut Sonntagsfrage von Ende Januar kommt sie aber nur auf 28 Prozent der Zweitstimmen. Wie viele AfD-Direktgewählte aus Brandenburg einziehen, hängt auch vom Bundes- und den übrigen Landesergebnissen der AfD ab.

Wäre die Wahlrechtsreform bereits 2021 in Kraft gewesen, als die SPD alle zehn Wahlkreise gewann, hätten drei Direktgewählte der SPD auf ihr Mandat verzichten müssen.

Welche Rolle spielt taktisches Wählen in Brandenburg?

Beim taktischen Wählen gehe es darum, „dass ich ein bestimmtes Wahlergebnis erreichen will und dadurch von meiner eigentlichen Parteipräferenz abweiche“, erklärt Jan Philipp Thomeczek. Zum Beispiel eine bestimmte Koalition, möglichst viele Parteien im Bundestag oder weniger Sitze für eine Partei, die man ablehnt.

Taktisches Wählen hat bei der Zweistimme eine Bedeutung.

Jan Philipp Thomeczek, Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam

Aufgrund der Zweitstimmendeckung hat die Erststimme eine geringere Bedeutung: Voraussichtlich werden nicht alle der potenziell neun Wahlkreisgewinner der AfD einziehen. Wer dennoch einen AfD-Sieg im Wahlkreis verhindern möchte, kann seine Erststimme dem aussichtsreichsten Gegenkandidaten um das Direktmandat geben.

Laut wahlkreisprognose.de ist die CDU im Wahlkreis 58, 59 und 60 am zweitstärksten, wenn auch immer um die 20 Prozent. In den übrigen sechs Wahlkreisen liegt die AfD deutlicher vorn, gefolgt von der SPD. Der Potsdamer Wahlkreis 61 ist Olaf Scholz (SPD) relativ sicher.

Ein zweites Angebot ist die Website zweitstimme.org/erststimme, entwickelt von Wahlforscherinnen und -forschern.

Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek begrenzt die Aussagekraft dieser Prognosen, da es keine Befragungen auf Wahlkreisebene gebe. Die Berechnungen basieren auf den Bundesumfragen, bei Wahlkreisprognose auch auf Milieubindung und Kandidateneffekte. Thomeczek verweist als Orientierung auf die regionalen Ergebnisse aus der vorherigen Landtags-, Europa- und Bundestagswahl. 2021 gewann die SPD alle Direktmandate.

„Taktisches Wählen hat bei der Zweistimme eine Bedeutung“, sagt Thomeczek. Dabei gibt es zwei Strategien: Erstens: keine Partei wählen, die an der Fünf-Prozent-Hürde „kratzt“. Das betrifft laut aktueller Umfragen FDP und BSW. Schafft es die Partei nicht in den Bundestag, wäre die eigene Stimme verloren und die Parteien, die im Bundestag sitzen, gestärkt, so Thomeczek. Gleiches gilt für noch kleinere Parteien wie Volt oder die Freien Wähler, die als „Sonstige“ in Umfragen ausgewiesen werden.

Daten: wahlrecht.de, Stand 17.09.2025

Die umgekehrte Logik wäre zweitens: Man versucht einer Partei, die knapp an der Fünf-Prozent-Hürde steht, herüber zu helfen, sodass die Sitze unter mehr Parteien aufgeteilt werden. Je nach Umfrage schwankt die Linke zwischen fünf und sieben Prozent. Die Linke versucht zugleich über drei Direktmandate einzuziehen, diese liegen nicht in Brandenburg.

Man könnte sich vorstellen, dass sie die AfD wählen, oder dass AfD-Wähler BSW über die Fünf-Prozent-Hürde bugsieren

Jan Philipp Thomeczek, Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam

Politikwissenschaftler Thomeczek hat aus 10.000 bundesweiten Daten der Wahlhilfe „Party-Check“ überlappende Potenziale für sogenannte „Leihstimmen“ herausgestellt: BSW- und Freie-Wähler-Sympathisanten überschneiden sich demnach insbesondere mit AfD-Themen. „Man könnte sich vorstellen, dass sie die AfD wählen – oder dass AfD-Wähler BSW über die Fünf-Prozent-Hürde bugsieren“, sagt er. Ausgeprägte Überlappungen gebe es zudem zwischen CDU und FDP. Die Linken könnten von SPD- oder Grüne-Wählerschaft profitieren.

Wegen der Zweistimmendeckung ist ein Stimmensplitting nun unattraktiver. Wer seine Erststimme stärken will, gibt derselben Partei die Zweitstimme. In Brandenburg hat dies voraussichtlich nur einen Effekt für AfD und in Potsdam für SPD.

Wie hat Brandenburg bisher gewählt?

In Brandenburg gewann die SPD am häufigsten bei den Bundestagswahl von 1990 bis 2021. Nach der Wiedervereinigung lag 1990 noch knapp die CDU vorn, danach folgten vier Bundestagswahlen mit SPD-Gewinner in Brandenburg. Bis zu 46 Prozent erreichte die SPD. Zur Bundestagswahl 2009 dann der Absturz: Die Linke holte 28,5 Prozent der Zweitstimmen, dicht gefolgt von SPD und CDU. 2013 und 2017 sicherte sich die CDU den Sieg.

Während die Volksparteien an Zustimmung verlieren, steigt die für die AfD seit ihrer ersten Bundestagswahl 2013 in Brandenburg. 2021 war nochmal die Wahl der SPD: Sie gewann alle Brandenburger Direktmandate und 29,5 Prozent der Zweitstimmen. Die AfD wurde mit 18,1 Prozent zweitstärkste Kraft, die CDU erreichte 15,3 Prozent.

Laut der Sonntagsfrage von Ende Januar wird die AfD die Brandenburger Gewinnerin der Bundestagswahl 2025. Laut einer INSA-Umfrage im Auftrag der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ), der Märkischen Oderzeitung (MOZ) und der Lausitzer Rundschau (LR) würden 28 Prozent die AfD wählen.

Die SPD erreichte bei der Sonntagsfrage 20 Prozent, die CDU 19 Prozent. BSW käme auf elf Prozent, die Grünen auf sieben Prozent und die Linke bei sechs Prozent. Die FDP hatte eine Zustimmung von drei Prozent.

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