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Bilanz: Woidkes Regierungsjahr 2015: Nur keine Hektik

Ob Flüchtlinge, Bahnwerk Eberswalde, Braunkohle, Kreisreform - Brandenburgs Ministerpräsident Woidke regiert trotz einiger Probleme mit ruhiger Hand. Und so soll es bleiben. Doch auch 2016 warten einige Herausforderungen.

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Für Brandenburgs Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) kommt es im Moment ziemlich Dicke. Überall brennt und hakt es, ob beim Thema Flüchtlinge und Lausitzer Braunkohle, beim BER oder der Kreisreform. Zum bedrohten Bahnwerk in Eberswalde kam jetzt auch noch das Altanschließer-Urteil aus Karlsruhe. Und zum plötzliche Tod des SPD-Fraktionschefs Klaus Ness vor ein paar Tagen, der allen in den Knochen steckt, der angekündigte Absprung seiner Wissenschaftsministerin Sabine Kunst.

Am Montag stand Woidke im traditionellen Jahresendgespräch der Landespressekonferenz Rede und Antwort, wie er mit all dem umgehen will. Es sei ein schwieriges, aber erfolgreiches Jahr für Brandenburg gewesen, sagte Woidke, der 2016 „mit zielgerichteter Arbeit“ weitermachen will wie bisher. „Ich sehe überhaupt keinen Grund, an irgendeiner Stelle einen Haken zu schlagen“, sagte der Regierungschef. Ein Überblick über Woidkes politische Agenda.

Flüchtlinge

Eigentlich steht Brandenburg – im Gegensatz zum Berliner Chaos – ganz gut da. Zwar sei es Anfang September auch hier „drunter und drüber gegangen“, als die Flüchtlingszahlen unerwartet rasant gestiegen seien, sagte Woidke. Doch vor allem dank des Engagements und der Leistungskraft der Kreise und Kommunen habe man die Unterbringung der 30 000 bis 40 000 Flüchtlinge, die in diesem Jahr nach Brandenburg gekommen sind und noch kommen, schnell in den Griff bekommen. „Das läuft in geordneten Bahnen.“ Im nächsten Jahr erwarte das Land genauso viele Geflüchtete.

Nun müsse die Integration gelingen, sagte Woidke. Und da läuft auch in Brandenburg nicht alles rund, wie ein Brandbrief von über 50 Willkommensinitiativen zeigt. Wichtig seien die Qualifizierung der Flüchtlinge und ihr Zugang zum Arbeitsmarkt, sagte Woidke. In Brandenburg stünden durch den demografischen Wandel mit mehr älteren und weniger jüngeren Menschen immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung. Die Aufnahme Asylsuchender sei deshalb auch etwas, das das Land stärker machen könne.

Es droht aber auch Ärger mit Berlin. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat bereits angekündigt, dass Berlin nach der ILA 2016 die Messehallen in Selchow für die Unterbringung von Berliner Flüchtlingen nutzen zu wollen. Woidke schließt das zwar nicht aus, formulierte jetzt aber erstmals klare Bedingungen. „Wir in Brandenburg haben keinen Bedarf mehr für zusätzliche Erstaufnahmekapazitäten.“ Brandenburg würde mitmachen, aber dann müsse Berlin in Selchow „selbst alles übernehmen, vom Wachschutz, über Polizei, der gesundheitlichen Versorgung“, sagte Woidke. „Es gibt auch einige rechtliche Haken.“

Der Regierungschef verwies auf die angespannte Situation bei der brandenburgischen Polizei, für die Absicherung einer solchen Großunterkunft habe man nicht die Kapazitäten. „Da ist es nicht mit fünf oder zehn Polizisten getan.“ Und ob Berliner Polizei dort eingesetzt werden dürfte, müsse ebenfalls rechtlich geklärt werden.

Bahnwerk Eberswalde

Um das bedrohte Bahnwerk im Nordosten des Landes zu retten, sieht der Ministerpräsident Chancen, „mit der Deutschen Bahn AG einen Kompromiss finden zu können“. Einen Kauf durch das Land für einen symbolischen Euro und einen sofortigen Weiterverkauf an Investoren schloss er aus. Da stehe die Landesverfassung dagegen. Denkbar sei, dass die Wirtschaftsfördergesellschaft der Stadt Eberswalde und des Landkreises das Werk für die „logische Sekunde“ übernehme.

Vor allem aber setzt Woidke darauf, dass die Bahn sich doch bereit erklärt, das Werk direkt an Private zu verkaufen. „Beide Investoren können es. Beide haben von der Deutschen Bahn schon Werke übernommen“, sagte Woidke. „Es ist doch nicht nachvollziehbar, dass die Bahn dem Land Konditionen anbietet, die sie Investoren nicht einräumen will.“ Das Ein-Euro-Angebot erklärt Woidke mit dem konzertierten Widerstand aus Brandenburg, den Interventionen bei Kanzlerin Angela Merkel und anderen Mitgliedern der Bundesregierung. Er habe mit Merkel wegen des Bahnwerkes telefoniert, sagte Woidke, der eine Wirkung registriert. „Ich habe gemerkt, dass bei den Gesprächen mit der Deutschen Bahn das Kanzleramt mit am Tisch saß.“ Bahnvorstand ist Ronald Pofalla, Merkels früherer Kanzleramtschef.

DDR-Altanschließer

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist noch frisch, der Wortlaut eindeutig: Besitzer von Grundstücken, die bereits zu DDR-Zeiten an die Kanalisation angeschlossen waren, dürfen nicht eineinhalb Jahrzehnte verspätet „rückwirkend“ für neue Klärwerke und Überlandleitungen aus den 1990er-Jahren zur Kasse gebeten werden. Obwohl Landesregierung und Landtag diese Praxis selbst mitgetragen und über ein Landesgesetz ermöglicht hatten, sieht Woidke das Land nicht in der Pflicht. „Es geht nicht um ein Handeln des Landes“, sagte Woidke und versuchte, den Ball vom Land wegzuspielen, zur Justiz. Karlsruhe habe ja ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes aufgehoben – und zu den Kommunen. „Abwasser ist eine kommunale Pflichtaufgabe“, sagte er. „Es sind zunächst einmal die Kommunen gefordert, mit dem Urteil umzugehen. Es ist eine kommunale Entscheidung.“ Zudem habe nur jeder dritte Zweckverband bei den Altanschließern kassiert. Der Linke-Koalitionspartner sieht das alles anders. Der Umgang mit dem Karlsruhe-Urteil hat das Zeug zu einem richtigen rot-roten Koalitionskrach.

Kreisgebietsreform

Die geplante Kreis- und Verwaltungsreform will Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) trotz wachsender Kritik durchziehen – und zwar auch mit der Einkreisung der Städte Brandenburg an der Havel, Cottbus und Frankfurt an der Oder. Am Montag brachte Woidke eine neue Argumentation ein: Da jeder dritte Verwaltungsbedienstete Brandenburgs auf allen Ebenen in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehe, drohe ein Fachkräftemangel.

Bei der Reform gehe es darum, die Qualität schneller und rechtssicherer Verwaltungsentscheidungen zu halten. „Das ist keine Selbstverständlichkeit.“ Er versicherte, dass Frankfurt, Cottbus und Brandenburg als „Oberzentren“ gestärkt werden sollen. „Aber braucht Frankfurt eine eigene Wasserbehörde? Braucht Brandenburg eine eigene untere Naturschutzbehörde? Braucht Cottbus ein eigenes öffentliches Nahverkehrsunternehmen?“

Hauptstadtflughafen BER

Er ist einer der größten Optimisten, was den unvollendeten neuen Flughafen in Schönefeld betrifft. Auch jetzt erwartet der Regierungschef keine erneute Verschiebung der BER-Eröffnung. „Eine Eröffnung im Jahr 2017 ist realistisch, und davon gehen wir auch aus“, sagte Woidke. Er betonte zugleich, dass die Bauarbeiten am BER bis Mitte 2016 abgeschlossen werden müssen, damit sich Abnahmen, Tests und Erprobungen anschließen können. „Es sind dann noch eineinhalb Jahre Zeit. Ich denke, dass die Zeit ausreicht“, sagte der Regierungschef. Zwar müsse man beim Flughafenprojekt damit rechnen, dass neue Probleme auftauchen. „Aber auch dieses Risiko sinkt Tag für Tag.“ Woidke attestierte Flughafenchef Karsten Mühlenfeld, den von ihm durchgesetzten Nachfolger Hartmut Mehdorns, den BER auf einen soliden Weg gebracht zu haben. „Er ist ein guter Geschäftsführer.“

Mühlenfeld sowie der Vize-Aufsichtsratschef und brandenburgische Flughafenkoordinator Rainer Bretschneider bekräftigten am Tag der Pressekonferenz das Ziel, den Airport 2017 ans Netz zu bringen. Allerdings wird die Zeit dafür knapper, da der Bau dem Zeitplan drei bis vier Monate hinterherhinkt. Man habe daher sehr auf Beschleunigungsmaßnahmen gedrungen, sagte Bretschneider im BER-Sonderausschuss des Landtages. Der Aufsichtsrat hatte vergangenen Freitag ein Konzept von Flughafenchef Karsten Mühlenfeld abgesegnet, um das Tempo auf der Baustelle in Schönefeld zu erhöhen, durch Einführung eines Zwei-Schicht-Betriebs und einer Sechs-Tage-Woche für einige Bereiche. Allerdings gibt es objektive Grenzen. „Je mehr Planungen fertig werden, je mehr Genehmigungen da sind, umso mehr kann man den Bau beschleunigen“, sagte Bretschneider.

Er gehe davon aus, dass das Bauordnungsamt des Landkreises Dahme-Spreewald bis Ende April die Baugenehmigungen für die noch nötigen Arbeiten erteilen könne. Unterdessen meldete die Flughafengesellschaft einen Teilerfolg: Die Steuerung für den zweiten von sechs Teilen der Entrauchungsanlage sei fertiggestellt.

Energiepolitik

Die Zeiten für die Brandenburger Braunkohleindustrie werden immer schwerer – erst recht seit dem Pariser Klimavertrag, mit dem angekündigten Verkauf durch den Vattenfall-Konzern. Dietmar Woidke bekräftigte seine Linie, dass man erst dann aus der Braunkohle aussteigen könne, wenn Energie aus Erneuerbaren rund um die Uhr zur Verfügung stehe. Sonst werde Kohle- oder Atomstrom aus Nachbarländern importiert, warnte er. „Wir sollten die Debatte ehrlich führen.“

Braunkohle sei noch 20 bis 25 Jahre unverzichtbar. „Es kann gelingen, dass wir es dann schaffen, die Grundversorgung über Erneuerbare Energien zu sichern.“ Scharfe Kritik übte Brandenburgs Regierungschef daran, dass über das Erneuerbare-Energien-Gesetz zwar in den nächsten Jahren und Jahrzehnten 400 Milliarden Euro für Strom aus Wind- und Solaranlagen fließe, „es aber keinerlei Förderung für Projekte zur Energiespeicherung gibt“. So gebe es in der Uckermark zwar als Testanlage ein Hybridkraftwerk. Industriell werde es erstmals in China gebaut, weil jeder, der das in Deutschland machen würde, „sofort pleite wäre.“ Das sei auch eine Kritik, die sich an Bundeswirtschaftsminister Siegmar Gabriel (SPD) richte.

Kabinett, Personal und Koalition

Nein, eine umfassende Kabinettsreform bereitet der Regierungschef offensichtlich nicht vor. Obwohl es Schlüsselposten in Kabinett und der rot-roten Koalition sind, die neu besetzt werden müssen: Der SPD-Fraktionsvorsitz, die Nachfolge des verstorbenen Klaus Ness, solle im Januar geregelt werden, sagte Woidke. Am Montag fiel die Vorentscheidung, dass der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Mike Bischof, neuer Fraktionschef werden soll.

Für die Nachfolge von Wissenschaftsministerin Sabine Kunst will Woidke erst einmal abwarten, ob sie tatsächlich am 19. Januar Präsidentin der Humboldt-Universität wird. „Ich kann verstehen, dass sie nach fünf Jahren Landespolitik eine neue Herausforderung sucht.“

Und auch auf Agrar- und Umweltminister Jörg Vogelsänger, der wegen der rechtswidrigen Förderung des Vereins Pro Agro und dem verpatzten Krisenmanagement in der Kritik steht, lässt Woidke nichts kommen. Da seien ein paar widersprüchliche Aussagen gewesen, die nicht hätten sein müssen, sagte Woidke. Aber Vogelsänger sei im Lande angesehen, mache einen guten Job. Er plane, sagte der Regierungschef „keine großen Umstellungen“. Typisch für Brandenburg, typisch für Woidke.

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