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Profile der Region. Ein Blick auf Berlins City West – und einer auf die Landwirtschaft im Brandenburger Landkreis Oder-Spree. Auch in Berlin weiß man um Brandenburgs starke Industrie. Die sei aber vor allem vor den Toren Berlins angesiedelt, argumentiert man.

© dpa

Brandenburg: Stadt, Land, Lust

Ministerpräsident Woidke regt eine Fusion der Standortförderagenturen für Berlin und Brandenburg an. Das Thema hat eine Vorgeschichte. Was soll der neue Vorstoß?

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Potsdam/Berlin - Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ist in den Urlaub entschwunden, an die Ostsee. Kurz vor der Abfahrt hatte er ein vor Jahren in einer Schublade verschwundenes Projekt hervorgeholt: die Fusion der Wirtschaftsförderung von Berlin und Brandenburg, von „Berlin Partner“ und Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB). Das Thema wurde am Montag – auch wegen dessen Vorgeschichte – kontrovers behandelt zwischen Potsdam und Berlin.

„Wir als Brandenburger stehen bereit, dieses Thema neu anzugehen, weil ich wirklich glaube, dass diese Region gemeinsam stark ist, dass die Vorteile, die Berlin hat, und die Vorteile, die Brandenburg hat, zusammen genommen eine der stärksten Regionen in Europa ausmachen“, hatte Woidke dem RBB gesagt. Dies werde auch von der Wirtschaft immer wieder gewünscht.

Zustimmung erntete er speziell bei Institutionen, die beide Bundesländer seit jeher als Einheit denken oder sich der Förderung der Hauptstadtregion besonders verpflichtet fühlen. „Dietmar Woidke hat recht: Berlin und Brandenburg bilden eine gemeinsame Wirtschaftsregion. Die muss auch gemeinsam vermarktet werden“, sagte Alexander Schirp, Geschäftsführer der Vereinigung der Unternehmerverbände in Berlin und Brandenburg (UVB). Für Schirp wäre das auch ein klares Signal dafür, dass beide Länder wieder enger zusammenrücken und intensiver kooperieren. Ein gemeinsamer, einheitlicher Auftritt könne auch zeigen, wie stark sich die Hauptstadtregion entwickelt hat. „Den Vergleich zu anderen Metropolregionen brauchen Berlin und Brandenburg nicht zu scheuen – die Perspektiven sind exzellent“, sagt Schirp.

Zustimmung kam auch vom Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI): „Das Wachstum Berlins macht nicht an der Landesgrenze halt“, argumentierte dessen Präsident Markus Voigt. „Deshalb ist es überfällig, über eine stärkere Zusammenarbeit beider Länder zu sprechen – übrigens nicht nur bei der Wirtschaftspolitik.“ Voigt regte auch eine gemeinsame Wohnungs- und Ansiedlungspolitik am Stadtrand an; die Verzahnung der Hochschulplanung, um die Arbeitsteilung und die Profilbildung der Hochschulen besser aufeinander abzustimmen; dazu gehöre eine gemeinsame Strategie für die Energiewende „und noch einiges mehr“. Er hoffe, eine gemeinsame Wirtschaftsförderung wäre nur „der erste Schritt in Richtung Länderfusion reloaded“.

Woidkes Idee ist nicht neu. Über Jahre war sie eines der Lieblingsprojekte der Wirtschaftspolitiker in beiden Ländern. Die Fusion der Fördergesellschaften sollte ein Bekenntnis für die gemeinsame Wirtschaftsregion sein und zugleich ein starkes Bekenntnis zu einer Länderfusion. Doch der Idee vom einheitlichen Wirtschaftsförderer beiderseits der Landesgrenze wurde 2007 vom damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), kurzerhand beerdigt – nachdem er mehrfach umsonst in Potsdam darum geworben hatte, auch wegen Brandenburgs höherer Förderquoten. Schließlich hatte Wowereit den Brandenburgern Rosinenpickerei vorgeworfen und wollte plötzlich in der Ansiedlungspolitik vermeiden, dass ihm „die Brandenburger da reinfummeln“. Es lag wohl auch daran, dass Brandenburg bei der Länderfusion resolut alle Signale auf Rot gesetzt und sie nicht mal mehr für gewollt erklärt hatte.

Die Berlins Industrie- und Handelskammer (IHK) setzte damals, 2009, einen drauf und forderte: „Keine faulen Kompromisse mit Brandenburg mehr eingehen.“ Und jetzt? Man bewerte den Vorschlag grundsätzlich positiv, sagte IHK-Sprecher Alexander Dennebaum.

Es sei richtig, dass die länderübergreifende Zusammenarbeit intensiviert werden müsse. „Berlin und das Berliner Umland sind heute schon eine fast integrierte Wirtschaftsregion, deshalb wäre auch hier eine gemeinsame Wirtschaftsförderung für den Ballungsraum beziehungsweise die Metropolregion sinnvoll. „Für Berlin und Brandenburg insgesamt muss man aber die unterschiedliche Wirtschaftsstruktur und die damit unterschiedlichen Anforderungen an die Wirtschaftsförderung bedenken“, sagte der Kammer-Sprecher.

Bei den Fördergesellschaften betonte man vor allem, wie gut die Zusammenarbeit bereits sei: ZAB-Sprecher Alexander Gallrein verwies auf die gemeinsame Innovationsstrategie, mit der die Hauptstadtregion bereits seit 2011 als Standort gemeinsam vermarktet werde – konkret in den Clustern Energietechnik, Gesundheitswirtschaft, IT, Medien und Kreativwirtschaft, Optik, Verkehr, Mobilität und Logistik. Hinzu kommt das gemeinsame Ansiedlungsbüro in Schönefeld, um Unternehmen in das Umfeld des Hauptstadtflughafens BER zu locken. Dort bauten beide Länder zudem mit dem „Expo Center“ ein Messezentrum auf. Auch auf internationalen Messen treten Berlin Partner und ZAB gemeinsam auf mit einem Stand für die eine Hauptstadtregion. „Wenn wir ins Ausland fahren, nehmen wir Berlin mit und umgekehrt auch“, sagte Gallrein. „Wir verstehen uns als gemeinsame Wirtschaftsregion und vermarkten uns gemeinsam.“

Und Stefan Franzke, Sprecher der Geschäftsführung von Berlin Partner, ließ ausrichten: „Wir arbeiten mit der Zukunftsagentur Brandenburg sehr eng und partnerschaftlich zusammen. In fünf Clustern treiben wir länderübergreifend Innovationsprojekte erfolgreich voran und treten national und international als Hauptstadtregion auf.“

Wozu also Woidkes Vorstoß? Aktiv und akut diskutiert wurde es bisher jedenfalls nicht, hieß es aus dem Wirtschaftsministerium in Potsdam. Und auch bei den Kammern in Brandenburg hat sich die Stimmung gedreht. In den wiederkehrenden Umfragen der Industrie- und Handelskammern in Berlin und Brandenburg war die Fusion lange Jahre eine zentrale Forderung aus der Wirtschaft.

Oder wie es Mario Tobias, Hauptgeschäftsführer der IHK Potsdam, zum jüngste Konjunkturreport der Kammer Berlin, Potsdam, Cottbus und Ostbrandenburg sagte: Brandenburg und Berlin würde zwar „behutsam enger“ zusammenrücken. Immerhin 44 Prozent der befragten Unternehmen waren wirtschaftlichen Beziehungen zum Nachbarn wichtig, zwei Prozentpunkte mehr als 2015. „Trotzdem steigt die Zustimmung für eine Länderehe nicht analog“, sagte Tobias. „Die Brandenburger fürchten um ihre Identität, scheinen sich scheibchenweise von der Länderfusion zu verabschieden.“ Tatsächlich sank in Brandenburg der Anteil der Fusionsbefürworter auf einen Tiefstand von 40 Prozent. In Berlin fordern dagegen drei Fünftel der Unternehmen eine Länderfusion.

In der Berliner Landespolitik trifft Woidke überwiegend auf Skepsis. Wirtschafts-Staatssekretär Henner Bunde (CDU) sagte, er halte die Zusammenarbeit der beiden Länder und der Berlin Partner und ZAB bereits für so gut, dass es keiner gemeinsamen Gesellschaft bedarf. Beide Länder würden als gemeinsamer Wirtschaftsraum wahrgenommen werden. Aber: „Berlin hat nun einmal die größere Anziehungskraft. Deshalb ist es auch weiterhin sinnvoll, getrennt um Investoren und Bestandsunternehmen zu werben, denn Wettbewerb ist auch hier gut fürs Geschäft“, sagte Bunde. Ähnlich sieht man das in Berlin Senatskanzlei.

Und der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Frank Jahnke, sagte: Man könne Woidkes Angebot als „gutes Signal“ betrachten. Er sei jedoch argwöhnisch, dass sich Brandenburg „die Rosinen herauspicken will“. Bei den Grünen hieß es, ohne Länderfusion mache eine gemeinsame Wirtschaftsfördergesellschaft wenig Sinn. Und die sei eben nicht in Sicht.

Möglicherweise, so wird in Potsdam spekuliert, wollte Woidke mit seinem Vorstoß zu den Wirtschaftsförderer auch einfach nur Wahlkampfhilfe für den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) leisten. Dass sich aber tatsächlich etwas bewegt, zwei Monate vor der Abgeordnetenhauswahl, glaubt in Brandenburg niemand.

Im Koalitionsvertrag von Woidkes rot-rotem Regierungsbündnis steht übrigens dazu: „Wir wollen die Zusammenarbeit der Wirtschaftsförderung von Berlin und Brandenburg weiter verbessern, um die gemeinsame Hauptstadtregion zu einer europäischen Innovationsregion zu entwickeln. Dazu streben wir eine Kooperationsvereinbarung der beiden Wirtschaftsfördergesellschaften an.“

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