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Blick in den Plenarsaal

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur/IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Brandenburgs Landtag zum Tag der Befreiung: Wie AfD und BSW den 8. Mai instrumentalisieren

Der Landtag in Potsdam debattierte über den 8. Mai und seine Bedeutung. Doch eine würdige Auseinandersetzung gelang nicht. Das lag an Reden von AfD und BSW.

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Das Land Brandenburg will prüfen, ob der 8. Mai ab dem Jahr 2030 als „Tag der Befreiung“ zu einem gesetzlichen Feiertag werden kann, der im Fünfjahresrhythmus begangen werden soll. Das beschloss der Landtag in Potsdam am Donnerstag mit den Stimmen von SPD und BSW, bei Enthaltung der CDU und gegen die Stimmen der AfD.

In dem Beschluss fordert der Landtag auch, Schülerinnen und Schülern mindestens einmal in der Schulzeit die Möglichkeit zum Besuch einer Gedenkstätte für NS-Opfer zu geben. Die Landesregierung solle sich zudem auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die notwendigen finanziellen Mittel für den Erhalt der Gedenkstätten, ihrer Ausstellungen und der Besucherinfrastruktur zur Verfügung gestellt werden.

Anlass war eine Aktuelle Stunde, in der das Parlament auf Antrag von BSW und SPD über „80 Jahre Befreiung vom Faschismus und Ende des Zweiten Weltkriegs“ debattierte. Doch eine würdige Auseinandersetzung damit gelang dem Landtag nicht. Denn sowohl das BSW als auch die AfD versuchten, den 8. Mai für die jeweils eigene Geschichtsdeutung zu instrumentalisieren.

„In Folge des Vernichtungsfeldzugs Hitler-Deutschlands und seiner Verbündeten wurden weite Teile Europas in Schutt und Asche gelegt“, begann BSW-Fraktionschef Nils-Olaf Lüders. 60 Millionen Menschen kamen damals ums Leben. „Wir verneigen uns vor allen Opfern.“ Für das BSW bleibe es aber „auf immer unvergessen“, dass es die Rote Armee und die polnische Volksarmee gewesen seien, die Brandenburg befreit hätten. „Dafür gebührt all diesen Veteranen ewiger Dank.“

Niels-Olaf Lüders, Parlamentarischer Geschäftsführer der Brandenburger BSW-Fraktion.

© dpa/Soeren Stache

„Zutiefst besorgniserregend“ nannte es der BSW-Politiker, dass „in vielen Teilen Europas, insbesondere in den baltischen Staaten und der Ukraine, Monumente der Roten Armee heruntergerissen und Nazi-Kollaborateure hofiert werden: Beispielhaft sei hier nur die Umbenennung des Moskowski-Prospekts in Kiew zum Stepan-Bandera-Prospekt erwähnt.“

AfD gegen Verwendung des Begriffs „Tag der Befreiung“

Die AfD hingegen wandte sich in einem Antrag gegen die Verwendung des Begriffs „Tag der Befreiung“. „Die deutschen Opfer alliierter Kriegsverbrechen kommen in unserer Erinnerungspolitik bis heute kaum vor“, sagte ihr Redner Dominik Kaufner. Anschließend zählte er auf, wie in Orten der Neumark Frauen von Truppen der anrückenden Roten Armee vergewaltigt worden seien, und nannte die Vertreibung und Zwangsumsiedlung von 15 Millionen Ostdeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg die „größte ethnische Säuberung der Geschichte“.

Doch die Opfer des Holocausts und die Verbrechen des Nationalsozialismus blendeten sämtliche Redner der AfD am Donnerstag vollständig aus. Selbst auf die Frage der SPD-Abgeordneten Elske Hildebrandt, ob er der Aussage zustimme, dass Deutschland und Europa von einem menschenverachtenden System befreit wurde, wich Kaufner aus.

„Die Art und Weise, wie Sie hier Opfer und Tote aufrechnen, ist würdelos und geschmacklos“, sagte Kaufner stattdessen. Nichts rechtfertige Kriegsverbrechen. „Sie bleiben im Jargon der SED – nehmen Sie einfach mal ein paar Stunden politischer Bildung, dann können wir weiterreden.“

Hans-Christoph Berndt (M.), Vorsitzender der Brandenburger AfD-Fraktion, und seine Fraktionsmitglieder applaudieren während der Landtagssitzung nach der Rede des Abgeordneten Kaufner.

© dpa/Soeren Stache

Als Hildebrandt eine ähnliche Frage dem AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt stellte, antwortete dieser: „Ich dachte, wir sind in einem Parlament und nicht vor der Heiligen Inquisition.“ Er sei nicht bereit, diese Fragen zu diskutieren.

Nach einer Kurzintervention des AfD-Abgeordneten Dennis Hohloch fühlte sich selbst Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) herausgefordert, sich zu Wort zu melden. „Der 8. Mai ist ein Tag der Befreiung“, sagte Woidke. „Eine rechtsextremistische Diktatur wurde in Deutschland abgeschüttelt – und es ist wichtig, die richtige Lehre daraus zu ziehen: Nie wieder dürfen in diesem Land Rechtsextremisten Regierungsverantwortung tragen.“

Nie wieder dürfen in diesem Land Rechtsextremisten Regierungsverantwortung tragen.

Dietmar Woidke (SPD), Brandenburgs Ministerpräsident, in der Landtagsdebatte

Deutlich anders gerieten die Reden des SPD-Abgeordneten Ludwig Scheetz und des CDU-Abgeordneten Rainer Genilke. „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung, aber kein Tag der Erlösung“, sagte Scheetz. „Zu tief waren die Wunden, die der Faschismus geschlagen hatte, zu groß war das Leid, das von deutschem Boden ausging.“ Der AfD warf Scheetz einen „Frontalangriff auf die historische Wahrheit“ vor.

„Wer das Leid von Vertriebenen und das Verbrechen von Auschwitz gegeneinander aufrechnet, verachtet beides“, sagte Scheetz. Natürlich habe es deutsche Opfer gegeben. Natürlich habe es auch nach dem Krieg Gewalt gegeben. „Aber: Ohne den verbrecherischen Krieg, den Deutschland begonnen hat, hätte es all dieses Leid nicht gegeben.“

Büttner rettete die Ehre des Landtags

CDU-Landtagsvizepräsident Rainer Genilke erinnerte an die Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Er hatte 1985, zum 40. Jahrestag des Kriegsendes, erklärt: „Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.“ „Wir gedenken beidem: Der Befreiung vom Nationalsozialismus – und des Leids, das viele Deutsche während des Krieges und auch danach noch ertragen mussten“, sagte Genilke. „Diese Ambivalenz darf nicht verschwiegen werden.“

Wer allerdings wie das BSW nur die Rote Armee würdige, blende die Bedeutung von Amerikanern, Briten, Franzosen oder Kanadiern aus. „Wenn die heutige Bedrohung durch Russland hinter dem Schleier einer geforderten Aussöhnung mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion verschwindet, dann wird der Blick in die Geschichte zur rhetorischen Kulisse ohne Konsequenzen für das Heute.“

Andreas Büttner, Beauftragte zur Bekämpfung des Antisemitismus im Land Brandenburg, spricht während der Landtagssitzung.

© dpa/Soeren Stache

Am Ende war es der Antisemitismus-Beauftragte des Landes, der Templiner Andreas Büttner, der die Ehre des Landtags rettete. „Was bedeutet es, dass wir heute ‚80 Jahre befreit‘ sind?“, fragte er in einer Rede. „Sind wir befreit, wenn Synagogen unter Polizeischutz stehen müssen? Sind wir befreit, wenn auf deutschen Straßen wieder skandiert wird: ‚Tod Israel!‘?“

Die Welt habe sich verändert, aber der Antisemitismus habe überlebt. „Er überlebte den Krieg, er überlebte die Prozesse von Nürnberg, er überlebte die Schwüre von ‚Nie wieder!‘. Wahre Befreiung ist nicht der Tag, an dem Auschwitz geöffnet wurde“, sagte Büttner. „Wahre Befreiung ist der Tag, an dem kein Mensch mehr Angst haben muss, weil er Jude ist.“

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