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Die Gesamtschule in Teltow wurde 2023 eröffnet, Demokratiebildung gehört hier zum Konzept.

© Konstanze Kobel-Höller

„Der Schulleiter gehört ausgelöscht“ : Morddrohungen gegen Teltower Pädagoge, der AfD-Praktikum untersagte

Ein Schulleiter aus Teltow verhindert das Praktikum eines Zehntklässlers bei der AfD-Fraktion. Die skandalisiert den Vorgang. Jetzt wird der Mann zum Ziel von massiven Anfeindungen.

Stand:

Ausgelöscht gehöre er, abgeschoben und aufgehängt. Weil er einem Zehntklässler ein Praktikum bei der AfD verweigert hat, erhält der Schulleiter einer Teltower Gesamtschule Drohungen, die bis zu Mordfantasien reichen.

Bereits in der neunten Klasse hatte der Schüler, ein fanatischer AfD-Verehrer, sein Praktikum bei der Landtagsabgeordneten Lena Kotré absolviert. Als er nun dieses Jahr erneut sein Schülerpraktikum dort abhalten wollte, wurde das abgelehnt. „Erst mal unter dem Vorwand, weil er schon mal ein Praktikum bei mir abgelegt hatte“, erklärte die AfD-Abgeordnete in einer Pressekonferenz im Landtag vergangene Woche.

Lena Kotré, Vize-Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion, hat die Entscheidung des Schulleiters öffentlich gemacht.

© picture alliance/dpa/Michael Bahlo

Es folgte der Vorschlag, er könne seine Zeit stattdessen in der Fraktion verbringen, diese sei ein Ausbildungsbetrieb. Daraufhin sei ihm vom Schulleiter persönlich mitgeteilt worden, „dass es nicht ginge, weil wir es hier ganz offensichtlich mit Rechtsextremen zu tun hätten“, sagte Kotré, die vom Landesverfassungsschutz mittlerweile als Rechtsextremistin eingestuft wird.

Tatsächlich steht in dem an die Eltern ergangenen Bescheid, dass Schülerinnen und Schüler „in Anerkennung der Demokratie und Abwehr jeglicher Form des Extremismus zu erziehen“ seien. Das sei eine Indoktrination von Schülern, die dürfe so nicht stattfinden, so die Politikerin weiter. Sie benannte auch die Schule und behauptet, die AfD sei die einzige, die für das Wohl der deutschen Schüler eintreten würden. Die MAZ berichtete zuerst über die Ereignisse.

Der minderjährige Schüler wäre ohne pädagogische Begleitung und vergleichende Einordnung unmittelbar der erwiesen demokratiefeindlichen Ideologie der Partei ausgesetzt gewesen.

Alexanders Engels, Sprecher des Bildungsministeriums

Tatsächlich ist nicht gewünscht, dass beide Schülerpraktika an der gleichen Stelle durchgeführt werden. Die Ablehnung des zweiten Platzes wurde jedoch, so das Bildungsministerium, mit der Einstufung der AfD Brandenburg durch den Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch begründet. Dies wurde Anfang Mai bekannt. Der minderjährige Schüler wäre „ohne pädagogische Begleitung und vergleichende Einordnung unmittelbar der erwiesen demokratiefeindlichen Ideologie der Partei ausgesetzt gewesen“, so Alexander Engels, Sprecher des Ministeriums.

Die Entscheidung der Schulleitung, die dem Schüler und seiner Familie erläutert wurde, sei somit pädagogisch begründet. Das Ministerium unter der Leitung von Steffen Freiberg (SPD) teile die Einschätzung und sieht in den Aussagen von Kotré die Bestätigung, dass die Entscheidung richtig war. Kotré „belegte damit die ausgrenzende und demokratiefeindliche Position von Partei und Fraktion“.

Schulleitung kann über Praktikumsplatz entscheiden

Rechtlich betrachtet gebe es keinen Anspruch auf einen bestimmten Praktikumsplatz und es liege zudem im Ermessen einer Schulleitung, „die gewünschte Teilnahme im Schülerbetriebspraktikum in einem bestimmten Ausbildungsbetrieb zu untersagen“. Die Inhalte und Aufgaben des Praktikums dürfen weder den schulischen Zielen noch den Grundlagen des Schulgesetzes widersprechen.

Der Schulleiter gehört ausgelöscht samt seiner Familie und Handlangern.

Social-Media-Kommentar zum Video über die Pressekonferenz von Lena Kotré zum „Praktikumsverbot“

Dabei hebt das Ministerium vor allem den Paragrafen vier hervor, wonach die Schule „die Freiheit des Gewissens sowie Offenheit und Toleranz gegenüber unterschiedlichen kulturellen, religiösen, weltanschaulichen und politischen Wertvorstellungen, Empfindungen und Überzeugungen“ wahrt und keine Schülerin und kein Schüler einseitig beeinflusst werden dürfe.

Schule gewann Wettbewerb für politische Bildung

Gerade diese Offenheit und Toleranz sind in der Teltower Schule ein wichtiger Bestandteil des Konzepts. Erst im Frühjahr hat eine der neunten Klassen mit dem Podcast „Rechtsextreme Inhalte im Netz: Wer macht was? Und reicht das?“ den Bundeswettbewerb für politische Bildung gewonnen.

Im Herbst gab es die Auszeichnung als Schule:Global für das langfristige Engagement für interkulturelle Bildung und internationale Zusammenarbeit und derzeit läuft hier die Ausstellung „Grundbegriffe der Demokratie“ der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung. Auch an den Juniorwahlen nimmt die Schule teil. So entschieden sich bei der fiktiven Landtagswahl vor einem Jahr immerhin 14,55 Prozent für die AfD, die den dritten Platz erreichte.

14,55
Prozent der Jugendlichen der Gesamtschule in Teltow wählen bei der Junior-Landtagswahl 2024 die AfD.

Unter ihren Wählern vermutlich auch der betreffende Zehntklässler. Auf seinen öffentlichen Social-Media-Accounts bezeichnet er sich selbst als nationalkonservativ und patriotisch, zeigt sich auf AfD-Demos und veröffentlichtet ein selbst produziertes Video einer offiziellen Gedenkveranstaltung der Partei in Potsdam. Auf Selfies sieht man ihn mit Dennis Hohloch, Hans-Christoph Berndt und anderen als rechtsextrem eingestuften AfD-Politikern.

Todesdrohungen gegen den Schulleiter

Zudem teilte der Zehntklässler Kotrés Pressekonferenz über das „Praktikumsverbot“ auf seinen Social-Media-Kanälen und machte gleichzeitig deutlich, dass es sich um seinen Fall handelt. Dieses Video, das unter anderem von dem rechtsextremen Politik-Magazin Compact auf Youtube geteilt wurde, führte zu heftigen Reaktionen. Der Schulleiter wurde in den Kommentaren und per E-Mail beleidigt und sogar mit dem Tod bedroht.

„Der Schulleiter gehört ausgelöscht samt seiner Familie und Handlangern“, hieß es da etwa, oder „Namen und Adressen der Entscheider, dessen Ehepartner und Angehörige bekanntmachen! Der Rest erledigt sich von selbst“, begleitet von Lach- und Jubel-Emojis. „Der [sic] Schulleiter abschieben zum aufhängen [sic]“ ist ein anderes Beispiel.

Die AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag.

© Andreas Klaer PNN/Andreas Klaer

„(...) Die Eltern sollten sich den Typen mal vornehmen“, bekam mehr als hundert Likes, darunter der Kommentar „Yes. HAUSBESUCH. Peng Zack Bumm ! Auuaa auuaa…“ Vereinzelt wird auch der Name des Schuldirektors genannt. Doch auch Unterstützung gibt es. Stimmen, die schreiben, es müsse mehr engagierte Personen wie den Schulleiter geben.

Neutralitätspflicht für Lehrer?

In vielen Fällen wird in den Kommentaren angeprangert, die „Neutralitätspflicht“ der Schule sei missachtet worden. Tatsächlich müssen sich Pädagogen zwar an das Grundrecht halten und damit die Meinungsfreiheit ermöglichen, gleichzeitig sind sie aber dazu verpflichtet, ihre Aufgaben nicht nur unparteiisch, also neutral, zu erfüllen, sondern sich auch zur „freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten“, erklärt die Bundeszentrale für politische Bildung.

Keine vergleichbaren Fälle in anderen Bundesländern

Der Tagesspiegel hat auch die Bildungsministerien der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen angefragt, in denen die AfD ebenfalls als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wird. In Sachsen liegen dem Ministerium keine statistischen Daten zu Praktika von Schülern bei der AfD-Fraktion vor. Bisher habe sich das sächsische Kultusministerium auch nicht mit der Genehmigung oder Verhinderung einzelner Praktika befasst, heißt es aus Dresden.

Auch in Sachsen-Anhalt liegen dem Ministerium keine Daten vor. Die dortige Landtagsfraktion der AfD schreibt auf Tagesspiegel-Anfrage allerdings, grundsätzlich keine Schülerpraktikanten zu beschäftigen. Ob das überhaupt rechtens wäre, vermag das sachsen-anhaltische Bildungsministerium in der Kürze der gesetzten Beantwortungsfrist nicht zu sagen. „Schulen seien auch immer ein Spiegelbild der Gesellschaft“, teilt das Ministerium in Magdeburg lediglich mit. Das Bildungsministerium in Thüringen äußerste sich bisher nicht auf Anfrage.

Der Schulleiter wollte sich auf eine Tagesspiegel-Anfrage hin nicht öffentlich äußern. Die Schulaufsicht hat den Vorgang geprüft und weist den Vorwurf eines Fehlverhaltens zurück. Wegen der Hass-Kommentare wurde auch die Polizei eingeschaltet.

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