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Günther Krause (CDU) war bis 1993 Bundesverkehrsminister. Aufnahme von 2017.

© Bernd Wüstneck/dpa-Zentralbild/dpa

Strafbefehl gegen Ex-Minister: Günther Krause im Bann der Neutrinos

Der ehemalige DDR-Unterhändler und Bundesverkehrsminister muss 5400 Euro Strafe zahlen. Das größere Problem: Krause hängt schon im nächsten Geschäftsabenteuer.

„Natürlich werde ich den Strafbefehl akzeptieren“, sagt Günther Krause ins Telefon. Und zwar so beiläufig im Ton, als gäbe es auch an diesem Tag Wichtigeres zu bedenken – für ihn, der einst mit Wolfgang Schäuble für die DDR den Einheitsvertrag ausgehandelt hat, für ihn, den einstigen Bundesminister für Verkehr, für Prof. Dr.-Ing. habil. Krause, der im Hauptberuf heute an nicht weniger arbeitet als der Lösung aller Energieprobleme. Vor Gericht ist er gar nicht erst erschienen. Ein altes Herzleiden. „Ich muss aufpassen.“

Die Wirtschaftsstrafkammer des Amtsgerichtes Potsdam erließ am Dienstag also notgedrungen ohne Verhandlung einen Strafbefehl gegen den 64-Jährigen. Krause muss 180 Tagessätze à 30 Euro zahlen, insgesamt 5400 Euro. Es hätte noch teurer werden können: Der Richter unterstellte aber, dass Krause heute von nur rund 1000 Euro im Monat lebt. Ganz so ist es nicht. „Meine Frau ist vermögend“, sagt Krause. Im Vorfeld war spekuliert worden, dass ihm eine Haftstrafe drohe, vielleicht gar Gefängnis. Es geht um Insolvenzverschleppung, Bankrott, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt. Allein Letzteres kann nach dem Strafgesetzbuch mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden. Zudem war Krause bereits im Jahr 2009 wegen ähnlicher Delikte zu 14 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden.

Firma wegen Russland-Sanktionen angeschlagen?

Diesmal hatte er Beiträge für Mitarbeiter seiner Beratungsfirma IBP GmbH (das steht für „Information, Beratung, Projektentwicklung“) mit Sitz in Brandenburg an der Havel nicht „rechtzeitig“ abgeführt, erklärt er. Die Firma, die in guten Zeiten bis zu zehn Leute beschäftigte, war in „schwieriges Fahrwasser“ geraten – wegen der Sanktionen des Westens gegen Russland. Er habe den Verband der russischen Öl- und Gaswirtschaft beim Bau von insgesamt vier Anlagen beraten sollen, in denen man mit dem chemischen Prinzip der Pyrolyse aus Plastikabfällen Öl gewinnen könne. Im industriellen Maßstab gibt es das so noch nicht. Aber es wäre äußerst klimafreundlich. Doch der Westen wollte Russlands Ölsektor treffen, um Wladimir Putin für seine Politik auf der Krim und in der Ukraine zu bestrafen.

Krause und seine Firma – Opfer der Weltpolitik. So ähnlich sieht er das heute, scheint aber nicht zu stark damit zu hadern. Denn längst hat sich der Ingenieur einem noch viel ambitionierteren Projekt gewidmet: der Gewinnung von elektrischer Energie mithilfe winzigster kosmischer Teilchen, der sogenannten Neutrinos. „Ich weiß, dass 95 Prozent der Physiker das für Unfug halten“, gibt Krause am Dienstag zu – und untertreibt damit wohl noch ein wenig.

Hier liegt wohl das eigentliche Problem, die Tragik auch. Ein ehemaliger Minister, dem ein Platz in der den Geschichtsbüchern sicher ist, hat sich wegen dieser kleinsten Teilchen mit einem Geschäftsmann eingelassen, der in Gesprächen zwar sehr viel verspricht, deshalb aber noch kein vielversprechendes Geschäftsmodell hat: Holger Thorsten Schubart, Chef der Neutrino Deutschland GmbH, die eine Postadresse Unter den Linden hat.

Neutrino tat als Sponsor des Bundespresseballs auf

Der charismatische Schubart weckte im November 2014 das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit, als er mit seinem „Projekt Neutrino“ als offizieller Sponsor des Bundespresseballs auftrat. Für die Party gewann er Schauspielerin und Moderatorin Caroline Beil als Begleitung, was zusätzlich für viel Blitzlicht auf dem Teppich sorgte. Später gab es zwar Streit mit dem Veranstalter des Balls wegen der Sponsorenbeiträge. Aber der PR- Coup war geglückt.

Neutrino-Chef Holger Thorsten Schubart im November 2014 beim Bundespresseball im alten Gebäude vom Flughafen Tempelhof in Berlin - hier im Bild mit Petra Engelking.
Neutrino-Chef Holger Thorsten Schubart im November 2014 beim Bundespresseball im alten Gebäude vom Flughafen Tempelhof in Berlin - hier im Bild mit Petra Engelking.

© Kai-Uwe Heinrich

Anderthalb Jahre später, im Frühjahr 2016, besuchte Schubart persönlich die Tagesspiegel-Redaktion für eine Nachhilfestunde in Physik – diesmal in Begleitung von Prof. Dr.-Ing. habil. Günther Krause. Damals wie heute ist Krause Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Neutrino GmbH. Krause berichtete von Elementarteilchen, die beispielsweise in der Sonne entstehen und von denen man bisher annahm, sie besäßen keine Masse. Doch der Irrglaube sei nun durch einen Nobelpreis widerlegt! Ein Quadratzentimeter, also ein Fläche, die so groß ist wie ein Daumennagel, würde jede Sekunde von gut 60 Milliarden Neutrinos erreicht, rechnete Krause vor. Diese Teile könne man mit Folien winzigste Vibrationen erzeugen lassen, die geringe Mengen Energie freisetzen – stark vereinfacht gesagt.

Er präsentierte den Redakteuren sein Smartphone. „Im Herbst werden wir ein Zusatzmodul für Handys haben, das so viel Energie erzeugt, dass man keine Steckdose mehr benötigt“, sagte er und hielt sein Smartphone hoch. Man sei mit Investoren im Ausland im Gespräch, um die Technik im größeren Maßstab voranzutreiben. Das war 2016. „In 15 Jahren werden wir Großkraftwerke haben“, prophezeit Krause. Mehrere Fachleute äußerten sich skeptisch.

Timo Karg vom Forschungszentrum Desy in Zeuthen zum Beispiel betonte, dass die Teilchen extrem selten mit Materie reagieren. Vorausgesetzt, es gelänge wirklich, den Abstand der Kohlenstoffatome um den Faktor 1000 zu verringern, würde die Trefferquote der Neutrinos eine Million Mal größer sein. „Aber auch das ist immer noch weit davon entfernt, was nötig ist, um signifikant Energie zu gewinnen“, sagte der Physiker damals. Er war am Dienstag nicht spontan für eine neue Bewertung zu erreichen.

Neue Idee: Superschnelles Internet

Dafür sagte Schubart dem Tagesspiegel jetzt, er stehe auch nach dem Strafbefehl weiter „uneingeschränkt“ zu Krause. Vor wenigen Tagen schalteten beide Männer in einer großen Tageszeitung eine Todesanzeige für Stephen Hawking. Es sollte wirken, als habe der englische Physik-Popstar eine spezielle Beziehung zu der Neutrino-Firma.

Krause darf wegen des Urteils vorerst nicht als Geschäftsführer einer Firma fungieren, teilte das Gericht mit. Auch davon zeigt sich der Minister a.D. unbeeindruckt. Er hat schon eine neue Idee. Krause bot der Redaktion an, eine revolutionäre und drahtlose Datenübertragungstechnologie vorzuführen. An der habe die Telekom natürlich kein Interesse, „weil die noch lange mit ihrer alten Technik viel Geld verdienen wollen“.

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