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In Paris, aber aus Kamerun: Kopf einer der Statuen, um die es in der Restitutionsdebatte geht.

© mauritius images

Wissenschaft und Forschung im Jahr 2018: Gentech-Babys und Neandertaler-Picassos

Entdeckungen, Enttäuschungen, Entfernungen. Ein Rückblick mit gemischten Fakten und Gefühlen auf das Wissenschaftsjahr 2018.

Die Weltformel, oder zumindest eine Formel, wie man die Probleme der Welt lösen könnte, ist auch 2018 nicht gefunden worden. Aber es gab Fortschritte – und auch Erkenntnisse, die noch mehr als bisher auf jene Probleme hinweisen und sogar neue aufdeckten. Die beiden wichtigsten Wissenschaftsmagazine veröffentlichen jedes Jahr kurz vor Weihnachten ihre Listen der ihrer Meinung nach bedeutendsten „Durchbrüche“ und wichtigsten Forscher und Forscherinnen. „Nature“ hat es diesmal geschafft, seine Top Ten der Forscherpersönlichkeiten komplett paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen.

Neandertaler und Denisova-Mensch hatten Sex

Eine Deutsche oder ein Deutscher ist nicht dabei, aber zumindest eine Frau, die in Deutschland arbeitet. Die Französin Viviane Slon vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie war maßgeblich an dem Nachweis beteiligt, dass die Urmenschen-Spezies der Neandertaler und Denisovaner sich wiederholt vermischten. Auch mit den Vorfahren des heutigen Menschen taten sie dies und sind entsprechend zumindest in ein paar Genen, die wir heute nach wie vor haben und benutzen, nicht ausgestorben. Es ist ein Befund, der wieder einmal zeigt, dass schon früher nicht alles schön aufgeräumt und abgezäunt und die Menschheitsgeschichte schon immer eine von Migration und Vermischung war.

Jede Zelle für sich genetisch analysieren

Als Durchbruch des Jahres hat das andere Magazin, „Science“, die Methode der Einzelzell-Genanalyse ausgerufen. Mit ihr kann man die Entwicklung von Organismen und Organsystemen genauer als je zuvor beobachten und nachweisen, welche Gene jeweils aktiv sind. Sie ermöglicht es nachzuverfolgen, was aus einer einzelnen ganz bestimmten Zelle, etwa in einem Embryo, aber auch in kranken Geweben wie etwa Tumoren, alles entsteht. Zudem ist es möglich, bei tausenden Zellen gleichzeitig deren Genaktivität zu vergleichen.

All das und auch der Rest dieser Jahres-Hitlisten ist interessant und wichtig. Und natürlich hat diese Zeitung auch in den allermeisten Fällen darüber berichtet. Aber die Redaktion „Wissen und Forschen“ des Tagesspiegels hat eine eigene, andere Top Ten dieses Jahres ausgewählt. Sie bewegt sich teilweise auch jenseits von einzelnen Ergebnissen und echten oder vermeintlichen Durchbrüchen. Unsere „Forschungsthemen 2018“ werden so zu einer gemischten, auch nachdenklich machenden, Bilanz. Klicken Sie sich durch die Liste unten.

UMSTRITTEN: Genchirurgie

UMSTRITTEN: Genchirurgie

Die prägende Wissenschaft dieses Jahrhunderts ist die Biologie – das hat 2018 deutlicher denn je gemacht. Das Jahr begann mit zwei geklonten Affen – und damit dem bislang besten Beweis, dass neben Klonschaf Dolly auch genetisch identische Kopien von Menschen tatsächlich machbar sind. Und es endete mit der Geburt von Zwillingsmädchen, deren Erbgut der Forscher He Jiankui nicht geklont, aber mithilfe der Gen-Schere CRISPR/Cas9 eigenen Angaben zufolge verändert hatte, um sie gegen HIV-Infektionen immun zu machen. Die Debatte um das Für und Wider von Eingriffen in die menschliche Keimbahn hatte He nicht abwarten wollen.

Wie schwer sich die Gesellschaft damit tut, mit dem Fortschritt in der Biologie Schritt zu halten, zeigt auch die Situation in Europa: Dort wagt es der Gesetzgeber nicht, den Einsatz von Crispr etwa in der Pflanzenzucht neu zu regulieren. Laut Beschluss des Europäischen Gerichtshofs im Juli gelten weiterhin 30 Jahre alte Richtlinien. Dabei stellt die Biotechnik längst die nächsten Fragen: Wie soll mit Mini-Gehirnen (Organoiden) umgegangen werden, die 2018 aus menschlichen Stammzellen herangezüchtet wurden, wie mit kompletten Embryonen, die Forscher nach eigener Aussage alsbald im Labor schaffen können? Und dürfen wir Patienten mit schweren Herzleiden mit genveränderten Schweineherzen retten, nachdem sie jetzt bis zu 192 Tage in Testaffen schlugen? Es werden nicht die letzten Fragen sein. Dabei ist noch kein Fünftel des Jahrhunderts der Biologie vergangen. (skb)

SKANDALÖS: Keine Hilfe für Baby-Herzen

SKANDALÖS: Keine Hilfe für Baby-Herzen

Bei manchen angeborenen Herzfehlern ist ein Schrittmacher unbedingt nötig. Doch Rechtsunsicherheit und fehlende kommerzielle Anreize führen dazu, dass die Geräte nicht mehr hergestellt werden.
Bei manchen angeborenen Herzfehlern ist ein Schrittmacher unbedingt nötig. Doch Rechtsunsicherheit und fehlende kommerzielle Anreize führen dazu, dass die Geräte nicht mehr hergestellt werden.

© pa/obs/Nationales Register für angeb. Herzfehler

Es sind kleine Patienten, aber ein riesiges Problem. Jedes Jahr brauchen in Deutschland etwa 100 Kinder mit einem angeborenen Herzfehler einen Schrittmacher. Es sind kleine Patienten, aber ein riesiges Problem. Der Tagesspiegel berichtete über die wenige Tage alte Nelly, die im Uniklinikum des Saarlandes den letzten kleinen Herzschrittmacher bekam. Die US-Firma Abbott hatte die Produktion einfach eingestellt. Aber nicht nur dem Saarland gingen die Schrittmacher aus – Herzzentren in ganz Deutschland klagten über das gleiche Problem.

Da nur wenige Kinder so früh einen Herzschrittmacher brauchen, lohnt sich die Entwicklung für die Hersteller finanziell nicht. Selbst das Gerät, das jetzt in Nellys Brust den Rhythmus vorgibt, war nicht speziell für Kinder entwickelt worden, es stellte sich nur als halbwegs geeignet für die kleinen Patienten heraus. Obwohl Ärzte, Forscher und Patientenverbände einen Brandbrief an Gesundheitsminister Spahn und den Bundesverband Medizintechnologie schickten, passierte bis jetzt: nichts. Zwar hatte Abbott aufgrund des medialen Drucks zwischendurch angekündigt, die Produktion des Schrittmachers fortzuführen und zudem ein Gerät speziell für Babys zu entwickeln. Das ist aber bis jetzt nicht geschehen. Und es sind nicht nur die Schrittmacher: Auch bei Kathetern oder Gefäß-Stents für Kinder müssen Ärzte regelmäßig improvisieren. Aussicht auf Besserung besteht wenig.

Erste diese Woche war Nelly wieder zur Kontrolle bei ihrem Kinderkardiologen. Es geht ihr gut, aber nächstes Jahr muss der Herzschrittmacher gewechselt werden. Wie es aussieht, werden die Ärzte ihr dann wieder ein Gerät für Erwachsene einbauen müssen. (fsch)

ERSCHRECKEND: Rückstand im Rennen gegen resistente Keime

ERSCHRECKEND: Rückstand im Rennen gegen resistente Keime

Das „evolutionäre Rennen“ ist eine beliebte Floskel. Schön, wenn es dabei – wie bei einer Meldung im November – um den Wettlauf zwischen Motten und Fledermäusen geht. Dabei verbessern die einen ihr Sonar-Ortungssystem, die anderen ihre Tarnkappentechnologie. Nicht so schön ist es, wenn krankheitserregende Bakterien die Herausforderung annehmen und sich zur Wehr setzen gegen die wenigen Mittel, die gegen sie zur Verfügung stehen. 2018 häuften sich die Warnungen bezüglich Resistenzen gegen Antibiotika – und auch die Kritik am deutschen Gesundheitssystem im Umgang mit ihnen. Ein in den Niederlanden arbeitender Infektionsmediziner etwa sprach gegenüber dem Tagesspiegel von systembedingten und im Vergleich zu anderen Ländern eklatanten Mängeln. Die kosten Leben. Laut Robert-Koch-Institut sterben 10.000 bis 15.000 Menschen pro Jahr allein in Deutschland an Infektionen mit solchen Keimen. Andere Schätzungen kommen sogar zu deutlich höheren Zahlen.

Resistente Bakterien finden sich zunehmend auch in der Umwelt - ein Ergebnis, mit dem nicht Umweltmediziner in diesem Jahr Schlagzeilen machten, sondern Journalisten. Sie nahmen selbst, etwa an deutschen Gewässern, Proben und ließen diese analysieren. Und selbst gegen Desinfektionsmittel können Bakterien ihre Empfindlichkeit teilweise verlieren. Und ein weiteres immer deutlicher werdendes Problem ist, dass Bakterien Resistenzen nicht nur per Mutation erwerben, sondern auch an andere Mikroben-Arten weitergeben können.

Und selbst mit einem anderen der großen Gegenwartsprobleme, dem Mikroplastik, scheinen Krankheitskeime - ob resistent oder nicht - unheilvolle Allianzen einzugehen. Die Weltgesundheitsorganisation warnt, dass das „Rennen“ gegen resistente Keime komplett verloren gehen könnte und ein „post-antibiotisches Zeitalter“ bevorsteht. In dem wären Infektionen wieder so gefährlich wie vor 100 Jahren – und das in einer Welt, in der Menschen viel enger zusammenleben als damals seinerzeit - und Ansteckungen somit viel wahrscheinlicher sind. (rif)

ANTI-EUROPÄISCH: Vertreibung einer Universität

ANTI-EUROPÄISCH: Vertreibung einer Universität

Eine unliebsame Universität wird von der Regierung aus dem Land vertrieben, ihre Wissenschaftler und Studierenden müssen ins Exil gehen, weil sie um ihre Freiheit fürchten. Was wie eine Geschichte aus einem fernen Kontinent oder aus vergangenen Zeiten klingt, ist 2018 in Europa geschehen – genauer gesagt in Ungarn, einem Mitgliedsstaat der EU. Lange hat die Central University in Budapest dem Druck der Orban-Regierung standgehalten, die der Hochschule die Existenzgrundlage entziehen will. Doch im Dezember musste die Uni aufgeben. Der Rektor kündigte an, den Großteil des Lehrbetriebs nach Wien zu verlegen. Ein schwarzer Tag für die Wissenschaftsfreiheit in Europa. Die CEU war der Regierung wegen ihres liberalen Geistes ein Dorn im Auge. Zudem macht sie den CEU-Gründer Soros seit Jahren zum Ziel einer antisemitischen Kampagne. Was auch schmerzt: Aus der EU war zwar Kritik zu hören – doch echte Konsequenzen hat das Orban-Regime bis heute nicht zu befürchten. (tiw)

HILFREICH: Molekulartherapie im Mutterleib

HILFREICH: Molekulartherapie im Mutterleib

Normale Kinder: Diese beiden von Holm Schneider und seinen Kollegen behandelten Zwillinge haben Haare und Zähne und können in der Sommerhitze draußen spielen. Ohne die Therapie im Mutterleib hätten sie: kaum Haare, nur wenige Zähne - und keine für die lebenswichtige Temperaturregulation notwendigen Schweißdrüsen.
Normale Kinder: Diese beiden von Holm Schneider und seinen Kollegen behandelten Zwillinge haben Haare und Zähne und können in der Sommerhitze draußen spielen. Ohne die Therapie im Mutterleib hätten sie: kaum Haare, nur wenige Zähne - und keine für die lebenswichtige Temperaturregulation notwendigen Schweißdrüsen.

© privat

Dass kranke Kinder schon vor ihrer Geburt behandelt werden können, ist nicht neu. Selbst Herzoperationen am Fötus sind möglich. Erlanger Kinderärzte haben mit einer Methode, die sie schon vor etwa drei Jahren anwandten, jetzt aber erst publik machen konnten, allerdings noch einmal komplettes Neuland betreten und damit erstmals überhaupt eine spezielle, sonst unbehandelbare Krankheit therapiert: Holm Scheider und seine Kollegen spritzten ein an einen Antikörper gekoppeltes Protein in das Fruchtwasser zweier schwangerer Frauen. Der Nachwuchs hatte die Veranlagung zur Erbkrankheit „Ektodermaler Dysplasie“, bei der Betroffene keine Schweißdrüsen und nur wenige Zähne und Haare entwickeln.

Die Föten, darunter ein Zwillingspaar, tranken mit dem Fruchtwasser die injizierten Moleküle. Ihr Darm schleuste sie, weil er bei Ungeborenen durchlässig für Antikörper ist, in die Blutbahn ein. Das Protein übernahm daraufhin die Aufgabe, die Ausbildung von Zahn-, Haar- und Schweißdrüsenanlagen anzuschieben. Alle drei so behandelten Föten wurden zu Kindern, die ausreichend oder sogar normal den bei Hitze lebenswichtigen Schweiß produzieren können. Eine größere Studie mit etwa 20 Kindern, sagt Schneider, ist, wenn die Behörden eine Genehmigung erteilen, für 2019 fest geplant. Finanziert wird sie von einer Schweizer Stiftung.

Wenn sich die Ergebnisse bestätigen, könnten in Zukunft im Idealfall alle Betroffenen im Mutterleib behandelt werden. Eine rechtzeitige Diagnose ist - so zeigt eine weitere Arbeit der Erlanger Forschergruppe, die ebenfalls 2018 erschien - auch wenn die erbliche Vorbelastung nicht bekannt ist, per Ultraschall in der 20. Woche immer möglich. (rif)

KÜNSTLERISCH: Der tumbe alte Cousin als Feingeist

KÜNSTLERISCH: Der tumbe alte Cousin als Feingeist

Reproduktion einer Neandertaler-Höhlenzeichnung.
Reproduktion einer Neandertaler-Höhlenzeichnung.

© uil et al.eb

Manchmal zerschlägt Wissenschaft lang gehegte Vorurteile. Zum Beispiel das über den dummen und grobschlächtigen Neandertaler. Bis Februar war man davon ausgegangen, dass nur der moderne Mensch, also Homo sapiens, clever genug war, um symbolische Kunst zu schaffen. Im Februar allerdings gelang es Wissenschaftlern, diese Überzeugung umzustürzen. Die Forscher, darunter der Physiker Dirk Hoffmann vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) in Leipzig, konnten beweisen, dass die in drei spanischen Höhlen gefundenen Wandmalereien mehr als 64.000 Jahre alt sind. Eine Sensation wurde der Fund dadurch, dass Homo sapiens nach heutigem Wissen erst etwa 20.000 Jahre später die Region besiedelte und seine künstlerischen Spuren hinterließ. Damit war klar: Die Zeichnungen können nicht vom modernen Menschen stammen, ihr Urheber musste der vermeintlich tumbe Neandertaler gewesen sein. Als der Fund bekannt wurde, wurde er sogar als die älteste bekannte menschliche künstlerische Leistung eingestuft.

Allerdings berichteten andere Forscher ein paar Monate später aus einer anderen berühmten Höhle, der Blombos-Cave in Südafrika, von einem noch älteren Werk, das wiederum von Homo sapiens stamme. Das Alter der Neandertaler-Kunst aus dem spanischen Untergrund bestimmten die Forscher mit der recht neuen Uran-Thorium-Methode. Sie untersuchten die Kalkschichten, die sich über die Jahrtausende über den Farbpigmenten gebildet hatten. Zu sehen sind meist rote und manchmal schwarze Linien, auch Kreise Punkte oder Scheiben. Manche der Linien scheinen eine Art Leiter zu bilden (s. Skizze links), andere fügen sich zu Umrissen von Fingern und Händen zusammen.

Die Ergebnisse lösten eine Diskussion unter Wissenschaftlern aus, ob der Neandertaler dem modernen Menschen auch in anderen Bereichen ebenbürtig war. Viele Forscher gehen nun davon aus, dass sie auf der Suche nach den Ursprüngen von Sprache und entwickeltem Denkvermögen viel weiter in die Vergangenheit zurück blicken müssen als bisher. Schon jetzt aber ist klar: Für das Image der Neandertaler war das Jahr 2018 das beste seit einer Ewigkeit. (fsch)

AUFGEHEIZT: Das Klima-Zeitfenster schließt sich

AUFGEHEIZT: Das Klima-Zeitfenster schließt sich

Rhein gar nichts. Auch das Bett des deutschesten aller Flüsse lag 2018 zu großen Teilen knochentrocken.
Rhein gar nichts. Auch das Bett des deutschesten aller Flüsse lag 2018 zu großen Teilen knochentrocken.

© picture alliance/dpa

Wohl noch nie hat der Mensch die Auswirkungen des Klimawandels stärker zu spüren bekommen als 2018. Und wohl noch nie wurden die Hoffnungen darauf, dass ihm doch noch die Wende gelingen könnte, so sehr enttäuscht. Weltweit häuften sich Wirbelstürme und Überschwemmungen, Dürren zerstörten die Lebensgrundlage von Millionen Menschen. Auch in Deutschland ist der Klimawandel 2018 glühend heiß angekommen. Hierzulande, das steht seit dem 20. Dezember fest, war 2018 das wärmste und sonnigste Jahr und eines der drei trockensten seit Beginn der Aufzeichnungen. Sogar das Flussbett des Rheins trocknete stellenweise aus. Gleichzeitig nimmt die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre nach wie vor ungebremst zu. Es ist wissenschaftlich gesichert, dass der Mensch die Erderwärmung massiv beschleunigt. Im 400-Seiten-Bericht des Weltklimarats IPCC forderten die Wissenschaftler im Oktober "schnelle, weitreichende und beispiellose Änderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen", um die Erwärmung noch auf 1,5 Grad zu begrenzen. Sie fordern ein radikales Umdenken, vor allem im Energiesektor, bei Verkehr und Landwirtschaft. IPCC-Wissenschaftlerin Debra Robert sagte: "Die kommenden Jahre sind vermutlich die wichtigsten in der Menschheitsgeschichte." Die Ernüchterung folgte wenig später: Bei der Klimakonferenz in Kattowitz blieben feste Zusagen aus, die Treibhausgas-Emissionen weiter zu drosseln. Geht es so weiter, wird die Menschheit auch das Zwei-Grad-Ziel krachend verfehlen. Die IPCC-Wissenschaftler sind sich einig: Es bleibt fast keine Zeit mehr, sonst sind die meisten Klimaveränderungen unumkehrbar. (fsch)

POSTKOLONIAL: Jetzt kommt zurück, was zurück gehört

POSTKOLONIAL: Jetzt kommt zurück, was zurück gehört

Als die in Berlin und Paris lehrende Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy mit dem senegalesischen Ökonomen und Schriftsteller Felwine Sarr Ende November ihren Forschungsbericht Emmanuel Macron überreichte, war ein internationales Beben die Folge. „Die Restitution des afrikanischen Kulturerbes“ hieß ihr Report, für den sie an Unis und in Museen in Senegal, Mali, Kamerun und Benin recherchiert hatten. Ihr Fazit: Sämtliche Kunst, die bis 1960 im Zuge kolonialer Eroberung in französische Ausstellungshäuser gelangte, sollte restituiert werden – auch ohne den Nachweis räuberischer Absicht. Dabei handelt es sich um 90 000 Objekte, allein 70 000 aus dem Pariser Musée du Quai Branly (siehe Bild ganz oben). Während Macron die Rückgabe von 26 Skulpturen ankündigte, reagierten deutsche Museumsleute reserviert. Rückenwind kommt durch einen Appell von Forschern aus der ganzen Welt – sie betonen die globalen Folgen der kolonialen Geschichte. (nk)

INTERGALAKTISCH: Partikel-Raumpatrouille aus Orion

INTERGALAKTISCH: Partikel-Raumpatrouille aus Orion

Auf der Erde, tief im Eis der Antarktis, löste es nur ein schwaches bläuliches Schimmern aus. Doch die Ursache für das seltene Ereignis, das Forscher um 20:54 Uhr und 30,34 Sekunden am 22. September 2017 im Neutrino-Detektor „Ice-Cube“ nahe des Südpols registrierten und 2018 verkündeten, kam von einem Ereignis apokalyptischen Ausmaßes in vier Milliarden Lichtjahren Entfernung. Weil Physiker zum ersten Mal die Lichtspur eines hochenergetischen Neutrinos so genau messen konnten, waren Astronomen weltweit in der Lage, ihre Teleskope auszurichten und die Quelle der geisterhaften Teilchen anzupeilen: ein Blazar, ein supermassives schwarzes Loch im Sternbild Orion, das gigantische Mengen Materie verschlingt und als „Jet-Stream“ wieder ausspuckt. Mithilfe der Neutrinos, die „Ice-Cube“ misst, wollen die Forscher nun verstehen, was dort passiert – und wie Neutrinos überhaupt so stark beschleunigt werden können. (skb)

KURIOS: Ein "neues" Organ im Menschen

KURIOS: Ein "neues" Organ im Menschen

Die menschliche Anatomie galt eigentlich als einigermaßen abgeschlossene Wissenschaft. Neues zu finden, wo schon unzählige Pathologen und Studenten nachgeschaut, wo schon unzählige Röntgenbilder und Tomographien gemacht wurden, ist ja auch ein eher absurder Gedanke. Forscher in New York haben nun aber genau das zustande gebracht, eher zufällig, denn auch sie hatten so etwas nicht erwartet. Doch sie fanden, als sie den Gallengang eines Patienten mit einer modernen endoskopischen Mikroskopie-Methode untersuchten, etwas, das sie aus keinem Anatomiebuch kannten: ein Netzwerk unzähliger flüssigkeitsgefüllter Kammern. Daraufhin schauten sich Neil Theise und seine Kollegen auch Bindegewebe an vielen anderen Stellen an, im Darm etwa oder in der Haut - und sahen überall das Gleiche. Sie vermuten, dass hier die Lymphe entsteht, dass die Kammern und Kanälchen von Bedeutung für das Immunsystem sind. Und Tumore könnten sie als Verbreitungsweg zur Metastasierung nutzen. Und noch einige weitere Funktionen sind denkbar.

Damit würden jene bislang nur „Interstitium“, also „Zellzwischenraum“ genannten Bereiche die Definition eines eigenständigen Organs erfüllen. In alten Anatomiebüchern finden sich sogar bereits Hinweise darauf, die aber wieder verschwanden. Denn Gewebeschnitte unter dem Mikroskop zeigten beim vermeintlich genauen Hinsehen lange Zeit nichts dergleichen. Die Präparationsmethode hatte die ganze Struktur - und damit das Organ - wahrscheinlich schlicht plattgedrückt. (rif)

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