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Drei Politiker mit Bart: Lindner, Kretschmer und Söder (von links nach rechts).

© Imago/Frank Ossenbrink/Montage: Tagesspiegel

Deutsche Politik mit Bart: Die machtvolle Rückkehr der Stoppeln, Fusseln und Henriquatres

Kretschmer, Lindner, Söder, Habeck: Immer öfter liegt zwischen den Worten unserer männlichen Politiker und uns jetzt auch noch deren Gesichtshaar. Wäre das nicht auch mal was für Scholz und Merz?

Richard Friebe
Eine Glosse von Richard Friebe

Stand:

Wer behauptet, in Deutschland fehle das Wachstum und es seien „die Politiker“, die Wachstum unmöglich machten, hat schlicht unrecht. Denn wenn es eines gibt, was Politikern zunehmend geradezu ins Gesicht geschrieben steht, ist es das: Wachstum, quer durch die Parteien.

Rotbraun beim gerade gewählten Ministerpräsidenten (CDU) eines Freistaates, schwarzgrau beim Ministerpräsidenten (CSU) des anderen Freistaates, blondgrau beim jüngst arbeitslos gewordenen führenden Freidemokraten. Und immer mal wieder stoppeling-überarbeitet-ungepflegt wirkend und farbig undefiniert beim grünen Kanzlerkandidaten. Und so weiter.

Der Bart hat sich in der deutschen Spitzenpolitik etabliert. Und wer ist schuld? Die SPD: Einst trugen linke Outlaws wie Erhard Eppler (SPD) einen Bart trotzig als Alleinstellungsmerkmal. Später wurde er dem rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten Rudolf Scharping als Wahlslogan „Politik ohne Bart“ in den selbigen geschmiert.

Der SPD-Politiker Erhard Eppler (1926–2019), Stilikone.

© dpa/Sebastian Gollnow

Einem anderen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten namens Kurt Beck (SPD) war er offenbar auf dem Weg ins Kanzleramt so wenig behilflich, dass der, obgleich Parteivorsitzender, noch nicht einmal Kandidat wurde.

Heute hat ihn (fast) jeder, den Bart.

Für Scholz besteht Verwechslungsgefahr

Dabei galten Bartträger lange Zeit als fast unwählbar. Selbst dem einstigen Überflieger Martin Schulz, auch der Bartpartei SPD zugehörig, wurde der seinige gleichsam übelst gestutzt, als den Wählern auffiel, dass er ja auch einen im Gesicht sitzen hatte.

Gescheitert als SPD-Kanzlerkandidat: Bartträger Martin Schulz.

© imago/Noah Wedel/IMAGO/Noah Wedel

Beim derzeitigen Kanzler kann man dessen Unwillen, es auch mal sprießen zu lassen, natürlich aufgrund dieser Geschichten nachvollziehen. Wichtiger ist aber wahrscheinlich, dass sonst die Verwechslungsgefahr etwa mit Billy Joel oder Pep Guardiola einfach zu groß wäre.

Olaf Scholz ist, das muss man zugeben, auch nicht die einzige Ausnahme. Daniel Günther etwa, Regierungschef in Schleswig-Holstein, trägt auch keinen. Aber er sieht auch insgesamt so jugendlich aus, dass man daran zweifeln möchte, ob er überhaupt schon genug Bartwuchs aufzuweisen hätte.

Des Kaisers Bart

Wäre da noch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Der ist immerhin SPD, aber ja überparteilich. Er ist aber ja die Respektsperson schlechthin im Lande, und deshalb verbieten sich auch Bartspekulationen über und an ihm.

Niemand hat die Absicht, sich einen Bart stehen zu lassen: Walter Ulbricht.

© dpa/Konrad Giehr

Respekt wurde ja grad auch ziemlich eingefordert, vom bartlosen Kanzler zum Beispiel, aber auch von seinem bartlosen Herausforderer von der Union. Allein dessen Vorname und die Tatsache, dass er gerne bald Deutschland lenken möchte, sprechen eigentlich dafür, dass auch er es mal probieren sollte.

Der Bart macht noch keinen Philosophen.

Sprichwort aus dem alten Rom

Denn kaum ein deutscher Kaiser gleichen Vornamens hat je auf eine meist üppige Gesichtsfrisur verzichtet, von Friedrich Barbarossa (Rotbart) bis zum letzten Friedrich, der 1888 den Thron bestieg. Man soll sich nicht um des Kaisers Bart streiten. Aber man kann sich Friedrich Merz etwa mit einem Spitz- oder Kinnbart doch recht gut vorstellen.

Wahrscheinlich ist es aber die Angst vor den absehbaren „Fri-Fri-Fritze-Merz“-Rufen auf Wahlkampfkundgebungen, die Merz nach wie vor allmorgendlich zur Klinge oder zum Apparat greifen lässt.

Vietnams Kommunistenführer Ho Chi Minh, bekannt noch heute unter anderem durch die Erinnerung an die „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“-Rufe so mancher 68er.

© Imago/United Archives International

Eine Frage der Convenience

Die Rolle von Wissenschaft und Technologie ist bei der Gretchenfrage des männlichen Stylings ganz entscheidend. Denn wie man es mit dem Barte hält, hängt natürlich auch davon ab, wie herausfordernd es ist, ihn täglich verschwinden zu lassen. Moderne Kreationen aus Häusern wie Philipps, Braun, Gillette und Wilkinson machen es überhaupt erst möglich, sich trotz aller Herausforderungen des politischen Alltags morgens auch noch fix und ohne großes Verletzungsrisiko zu rasieren.

In der westlichen Kulturgeschichte korreliert der zunehmende Anteil der Glattrasierten ziemlich mit der Weiterentwicklung dieser Technologien. Dann meinten irgendwann Psychologinnen und Psychologen auch noch nachgewiesen zu haben, dass haarlose Gesichter mit Ehrlichkeit und Offenheit assoziiert werden, während man bei Bartträgern eher vermutet, dass sie mehr zu verbergen haben als nur ein paar Pickel.

Das hat sicher auch dazu beigetragen, dass das einstige Symbol der männlichen Führungsfigur aus den Gesichtern derer, die, um Führungsfigur zu werden, Wähler brauchten, zunehmend verschwand.

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Millimeter pro Tag wächst ein Barthaar etwa.

Dass der Bart jetzt zurückkehrt, kann man also durchaus als Backlash interpretieren. Aber es hat natürlich auch mit Eitelkeit zu tun. Der ambitionierte Mann von heute mag weder seine Falten noch seine Lifting-Narben gerne zeigen. Haare drüber wachsen zu lassen, ist die logische Konsequenz.

Dazu kommt, dass das kapitulierende Collagen natürlich auch das Rasieren an sich schwieriger macht, zumindest, wenn man einigermaßen was hermachen will. In den Falten stehen gebliebene Stoppeln nach der Schnellrasur auf dem Wege zur Pressekonferenz kommen jedenfalls nicht so gut.

Undefinierbare Stoppeln: Robert Habeck.

© dpa/Sebastian Gollnow

So ist es nicht überraschend, dass der bevorzugte Bart der heutigen Politikergeneration der „Henriquatre“ ist, also die mehr oder weniger quadratige Einfassung der Lippen. Sie deckt die für die Kameras problematischen Stellen, die einen Mann dann eben auch müde und missmutig aussehen lassen können, verlässlich ab. Aber trotzdem kann man noch ein bisschen schnell rasierbare Haut – also Offenheit, Ehrlichkeit und so weiter – an den Seiten zeigen.

Söder auf dem Weg zum Märchenkönig

Dazu kommt, dass diese Bartform auf einen von der Geschichtsschreibung ausnehmend positiv bewerteten Politiker zurückgeht, Heinrich IV von Frankreich (1553–1610). Der bemühte sich etwa um Infrastruktur und Bildung, religiöse Aussöhnung und Förderung der Bauern. Er bekämpfte zudem die Korruption und versuchte, die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Ein Vorbild.

Auch Markus Söder trägt seit seinem Urlaub so einen. Der erinnert aber auch bereits sehr an den Bart, mit dem der Märchenkönig Ludwig II, also der mit Neuschwanstein und Sisi und so, auf Porträts gezeigt wird.

Es ist auch auffällig, dass Söder sich seinen eben kurz vor der Kandidatenkür des bartlosen Merz stehen ließ. Der Bart ist also hier auch ein klares Signal der politischen Kommunikation: Ich bleibe in Bayern, herrlich! Mach Du mal Berlin.

Söder soll allerdings mehrere Rasierapparate besitzen.

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