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Tablets für den Unterricht in Coronazeiten.

© Sebastian Gollnow/dpa

Digital statt frontal: Was lässt sich aus der Coronakrise für die digitale Bildung lernen?

Die Pandemie hat die Schulen zu Unterricht per Computer, Handy und Internet gezwungen. Was lässt sich aus den Erfahrungen für die Zukunft lernen?

„Rückenwind“ spürt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Bildungspolitik ausgerechnet durch die Coronavirus-Pandemie: Digitaler Schulunterricht, Studieren in virtuellen Hörsälen und das Arbeiten von zu Hause – all das sei nun „aus der Krise geboren“, sagt sie.

Genau an dem Tag, an dem die meisten Bundesländer nach Monaten mit Homeschooling ihre Grundschulen wieder öffneten, präsentierte sie am Montag mit Bildungsministerin Anja Karliczek ihren Plan für einen „Digitalen Bildungsraum“, der die digitale Bildung und das Onlinelernen in Deutschland langfristig verbessern soll.

Ihre Vision für die Zeit nach der Pandemie ist noch ein eher grober Entwurf. Denn digitale Bildung muss alle Ebenen von Bildung einschließen, lebenslang und generationsübergreifend stattfinden. In Deutschland hapert es derzeit aber schon an der technischen Ausstattung und Infrastruktur.

Was ist in der Initiative geplant?

Eine bundesweite Plattform soll wie ein Onlineportal und „Marktplatz“ für Bildungsinhalte funktionieren, über den Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte bundesweit vernetzt werden und Lerninhalte von verschiedensten Anbietern finden können – „sehr gute digitale Bildungsangebote“ gebe es ja schon viele, sagt Merkel; jetzt sollen sie breit sichtbar werden. Entstehen soll eine Nationale Bildungsplattform, auf der neben Lern- und Lehrmaterial auch Zeugnisse, Abschlüsse und Beurteilungen datensicher hinterlegt werden können.

Allen Lernenden und Lehrenden soll zur Nutzung ein „Single Sign-on“ zur Verfügung stehen – also die einfache Möglichkeit, sich für alle Inhalte und Services nur einmal in das Portal einzuloggen. Naheliegend wäre es, dafür den „digitalen Schülerausweis“ zu nutzen, den die Bundesländer bis 2024 einführen wollen.

Digitalisierung bei der Bildung als Selbstverständlichkeit - so weit ist es noch nicht.
Digitalisierung bei der Bildung als Selbstverständlichkeit - so weit ist es noch nicht.

© imago images/Jochen Tack

Aus dem Bundesbildungsministerium hieß es auf Anfrage, die Nationale Bildungsplattform sei als Metaplattform geplant, die digitale Angebote über die gesamte Bildungsbiographie hinweg vernetzt – von der Grundschule bis zur beruflichen Weiterbildung. In diesem Jahr sollen in einem Wettbewerbsverfahren vier Prototypen entwickelt werden.

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Karliczeks Ministerium stellte am Montag zunächst die Plattform „SchulTransform“ vor, die den digitalen Wandel der Schulen fördern soll. Ein Selbstcheck zeigt ihnen, wo sie bei Technik, Unterrichtsentwicklung und in der Personalplanung stehen – und gibt Handlungsempfehlungen.

Außerdem findet sich dort ein Portal mit digitalen Angeboten zu Kommunikationstools, Lernplattformen und verfügbaren Lerninhalten, mit denen digitaler Unterricht gestaltet werden kann – bis hin zu Weiterbildungsangeboten für Lehrkräfte. Verwiesen wird aber nicht direkt auf Materialien, sondern auf eine sehr heterogene Mischung kommerzieller und öffentlicher Anbieter, bei denen sie abgerufen oder angefordert werden können.

Wie werden die Pläne aufgenommen?

Digitalisierung werde weiter zu sehr als Plattform von Lernmaterialien verstanden, die ihre ursprüngliche Form beibehalten, bemängelt die Digital-Expertin Uta Hauck-Thum. Es dürfe aber nicht nur um die Digitalisierung bestehenden Unterrichts gehen: „Wenn digitaler Bildungsraum lediglich dazu dient, traditionelle Aufgabenformate zu bearbeiten, wird sich an der Lehr- und Lernkultur nichts verändern“, sagt die Bildungsforscherin.

Saskia Esken, SPD-Parteivorsitzende, fordert besser digitale Lehrkonzepte für Lehrkräfte.
Saskia Esken, SPD-Parteivorsitzende, fordert besser digitale Lehrkonzepte für Lehrkräfte.

© Gregor Bauernfeind/dpa

Die SPD-Vorsitzende und Digitalexpertin Saskia Esken fordert „eine bessere Koordinierung digitaler Kompetenzen und Lerninhalte“: Lehrkräfte müssten Zugang zu modernen Unterrichtskonzepten und -inhalten bekommen und „bei der Individualisierung der Lehr- und Lernprozesse unterstützt“ werden, um differenzierteren Unterricht leisten zu können.

Auch Karliczek sprach am Montag von einem „gewaltigen Individualisierung-Instrument“. Kanzlerin Merkel treibt um, was aus der Wissensvermittlung in der Schule wird: „Wie viele Gedichte werde ich noch auswendig lernen, wenn ich die Texte online nachschlagen kann?“

Die aktuelle Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) versicherte, das Basiswissen – Lesen, Schreiben, Rechnen und digitale Kompetenz – zu vermitteln, sei und bleibe Kernaufgabe der Schule. Durch die Digitalisierung könne Lernen aber „viel individueller werden“.

Wie wird sich das Lernen verändern?

Die Potsdamer Grundschulpädagogin Nadine Spörer plädiert dafür, dass Digitalität als eine Selbstverständlichkeit im alltäglichen Unterricht stattfindet: „Keine Angst vor der digitalen Schule!“, appelliert sie.

„Kinder und Jugendliche werden zukünftig grundsätzlich hybrid lernen“, sagt die Professorin für Grundschulpädagogik und -didaktik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Uta Hauck-Thum. Was Schüler brauchen, um zeitgemäße Kompetenzen zu erwerben, sei ein grundsätzlich veränderter Unterricht, begleitet von einer funktionierenden intuitiv gestalteten Plattform, die verschiedene Räume mit Tools zur Kooperation öffnen sollte – und zwar bereits in der Grundschule.

Zur Vermittlung zeitgemäßer Kompetenzen müsse verstanden werden, dass sich Bildungserfahrungen im 21. Jahrhundert grundsätzlich verändern: „Es geht also nicht darum, herkömmliche Lerninhalte in digitaler Form aufzubereiten, sondern Lehr- und Lernprozesse grundsätzlich neu zu denken“ – das müsse auch in eine veränderte Prüfungskultur eingebettet werden.

Die Politik konzentriert sich sehr auf die technische Ausstattung - aber weniger auf digitale Lernkonzepte.
Die Politik konzentriert sich sehr auf die technische Ausstattung - aber weniger auf digitale Lernkonzepte.

© Uli Deck/dpa

Bildungserfahrungen würden „nicht mehr mit regulierbaren Lernprozessen gleichgesetzt, die sich aus der Auseinandersetzung einzelner Schüler mit digitalen Medien ergeben, sondern entstehen im Rahmen kooperativer und kollaborativer Auseinandersetzung“. Auch Ulrich Kortenkamp, Professor für Didaktik der Mathematik, sagt, es reiche nicht, einfach nur das im Internet verfügbare Wissen zu erschließen: „Lernen kann mit guter Unterstützung besser gelingen, als wenn alles auf einmal angeboten wird.“ Nach wie vor müsse die Schule lehren, wie man sich selbstständig Wissen aneigne. Die Bildungsplattform müsse „den Übergang zwischen angeleitetem und selbstständigen Lernen“ stärken.

Kristina Reiss, Bildungsforscherin der TU München und Leiterin der deutschen Pisa-Studien, sagt: „Viele digitale Werkzeuge ermöglichen eine individuelle Unterstützung und die Anpassung an den Leistungsstand oder auch die Interessen einer Schülerin oder eines Schülers.“

Als Beispiel nennt sie Simulationen im naturwissenschaftlichen Unterricht oder das Arbeiten mit Audio und Video im Sprachunterricht: „Es gilt, Lehrkräfte darin zu unterstützen, das große Angebot für den eigenen Unterricht zu erschließen – aber natürlich ist es genauso notwendig, in Kooperation mit Lehrkräften motivierende Angebote gezielt auszubauen.“

Dabei sei die Gewichtung zwischen digitalem und analogem Unterricht zuallererst eine Altersfrage. Junge Schüler müssten erst einmal Lesen, Schreiben, Rechnen lernen – und zwar auf herkömmlichen Wegen, sagt Reiss: „Wir können einen großen Schritt im Digitalen machen, aber nur, wenn die Schüler sich die Dinge in ihrem eigenen Tempo aneignen und sie mit dem Lehrer besprechen können.“

Auch müsse es im Unterricht um eine gute, kritische und hinterfragende Nutzung der Technik gehen. „Wir müssen den Schülern stärker ins Bewusstsein rufen, was es bedeutet, mit digitalen Medien umzugehen, was mit den eigenen Daten passiert.“ Die Schüler müssten auch lernen, wie viel sie von sich selbst preisgeben sollten – und welche prägende Bedeutung Algorithmen für die Gesellschaft haben.

Welche Kompetenzen fehlen Lehrkräften?

Derzeit werde deutlich, dass es bei Lehrkräften eine enorme Spannbreite gibt, sagt Birgit Eickelmann, Pädagogikprofessorin mit dem Schwerpunkt digitales Lernen an der Uni Paderborn. Einige seien sehr weit im Digitalen, anderen würden dagegen grundlegende technische Voraussetzungen fehlen – das gehe so weit, dass sie Schwierigkeiten hätten, Links in Mails mitzuschicken. „Wir merken: Wir haben einige auf dem Weg vergessen.“

Aufgaben per Mail oder Lernplattform zu verschicken, ohne Lernprozesse anzuregen, also ohne diese auch wieder einzusammeln und zu korrigieren: „Das kann nicht die Zukunft sein und es wundert hier niemanden, dass das weder die Lehrkräfte noch die Kinder und Jugendlichen überzeugt.“ Die Impulse und Erfahrungen der Pandemiezeit seien hilfreich, Konzepte müssten aber weiter reichen. Mut mache ihr, dass viele ihrer Studierenden sich nun sehr für digitale Bildung interessieren.

Präsenzunterricht ist für die Kultusminister:innen wie eine "Heilige Kuh" - das kann den Blick für Neues auch verstellen.
Präsenzunterricht ist für die Kultusminister:innen wie eine "Heilige Kuh" - das kann den Blick für Neues auch verstellen.

© Gregor Fischer/dpa

„Es gibt gute Software und Geräte, aber die Lehrer müssen besser vorbereitet werden“, mahnt Reiss. Bildungsforscher Wilfried Schubarth von der Uni Potsdam sieht das ähnlich: „Technik alleine wird es nicht richten, man braucht eine digitale Didaktik, auf die die meisten Lehrkräfte nicht vorbereitet sind.“ Lehramtsstudierende und Lehrer hätten hier einen starken Fortbildungsbedarf für neue Formate. Auch sei zu befürchten, dass durch digitalen Unterricht die Schere zwischen privilegierten und benachteiligten Schülern weiter aufgeht. „Wichtig ist, die unmittelbare Interaktion mit der Lehrkraft nicht durch Digitalisierung zu ersetzen.“

Was fehlt in den Konzepten der Politik?

Bisher liege der Fokus auf technischer Ausstattung, sagt Eickelmann – wie man mit digitalem Lernen zu einer zeitgemäßen Schule komme, was Lernen in der modernen Gesellschaft ausmache, darüber werde zu wenig nachgedacht. Sie befürchtet paradoxerweise sogar einen Rückschlag für die digitale Bildung durch die Corona-Pandemie – eben weil sich viele zurück nach der „alten“ Normalität sehnten.

Und das aktuell erlebte Bild von Schule und Unterricht in einer Kultur der Digitalität sei leider ein stark vereinfachtes: „Wir haben das bereits im Herbst gesehen, als der Präsenzunterricht gerade bei den Kultusministern wie eine Heilige Kuh über allem schwebte“, sagt Eickelmann.

Trotzdem müsse man jetzt schauen, welche Erfahrungen in die Zukunft „hinüberzuretten“ sind. Insgesamt müsse Deutschland viel schneller werden, die Bundesländer abgestimmter agieren – und das Thema Chancengerechtigkeit in der digitalen Bildung endlich bearbeitet werden.

Auch Jacob Chammon, Leiter des Forums Bildung und Digitalisierung, appellierte beim Online-Forum mit der Kanzlerin: „Nach der Krise darf es kein back to normal geben, sondern ein new normal.“ Präsenzunterricht, digitale Geräte und Inhalte müssten zusammenwachsen. Damit könnten Lehrkräfte auch Zeit für die Beziehungsarbeit mit den Schüler:innen gewinnen .

Wie wichtig ist technische Ausstattung?

Digital-Expertin Uta Hauck-Thum sieht die Schulen weder technisch noch konzeptionell auf die Welt von morgen vorbereitet. Bildungsforscher:innen sehen das grundsätzliche Problem, dass vom Elternhaus besser ausgestattete Schüler im Distanzunterricht im Vorteil sind – so entscheide immer wieder auch die Herkunft über die Bildung, bemängelt Pisa-Forscherin Reiss.

So berichtet eine Berufsschullehrerin, dass zwei Drittel der Schüler:innen nur ihr Handy zum Lernen zur Verfügung haben. „Es dürfte schwierig sein, damit für komplexe Inhalte etwa in den Naturwissenschaften oder der Technik Motivation aufzubauen“, meint Reiss.

Lebenslanges Lernen und Updaten – wird das politisch gefördert?

Kaum, sagt Eickelmann: „Wenn solche Mechanismen zu finden sind, haben das bisher die Schulen meistens alleine auf die Beine gestellt.“ Leider würden sich die Schulen immer mehr auseinander entwickeln: Einige „gehen gerade durch die Decke“, andere schaffen nur das Nötigste.

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