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Sciences Po trifft Otto-Suhr-Institut: Studierende des deutsch-französischen Doppelmasters verbringen ihr erstes Studienjahr in Paris und das zweite an der Freien Universität in Berlin. Das Foto zeigt die Gruppe bei einer Exkursion nach Straßburg im Mai 2022.

© Maura Kratz

60 Jahre Élysée-Vertrag: Freunde durch Austausch

Politikwissenschaftlerin Miriam Hartlapp untersucht, was deutsche und französische Jugendliche heute verbindet oder trennt.

Von Dennis Yücel

Deutschland und Frankreich gelten seit Jahrzehnten als politischer und wirtschaftlicher Motor der Europäischen Union. Aus den einstigen sogenannten Erbfeinden, die sich in einer Vielzahl von Kriegen gegenüberstanden, sind enge Partner geworden. Ein wichtiger Grundstein für diese Erfolgsgeschichte wurde vor 60 Jahren gelegt: Im Januar 1963 unterzeichneten der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag.

„Der Élysée-Vertrag ist eine immense politische Errungenschaft“, sagt Miriam Hartlapp. „Er hat nicht nur die politische Zusammenarbeit vorangebracht, sondern die deutsch-französische Partnerschaft in weiten Teilen der Gesellschaft verankert.“ Die Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität forscht und lehrt mit einem Schwerpunkt auf Deutschland und Frankreich. „Bis heute treffen sich im Rahmen des Vertrages nicht nur die Regierungschefs beider Länder, sondern regelmäßig auch höhere Beamte sowie Ministerinnen und Minister“, erklärt sie. „Das Herzstück des Élysée-Vertrages bildet aber die Förderung von Vereinen, Städtepartnerschaften sowie Jugend- und Kulturinstitutionen.“

Zum 60-jährigen Jubiläum des Élysée-Vertrags startete eine große Jugendstudie

Die Partnerschaft beider Länder sei durch Tausende von individuellen Erfahrungen gefestigt worden, die Menschen im Rahmen von Austauschprogrammen gemacht haben. Mehrere Millionen Jugendliche haben beispielsweise durch das im Rahmen des Élysée-Vertrages geschaffene Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) an Austauschen teilgenommen. Zum 60-jährigen Jubiläum des Vertrages gab das DFJW eine große deutsch-französische Jugendstudie in Auftrag. Auch Miriam Hartlapp hat daran mitgewirkt. „In beiden Ländern beobachten wir unter jungen Menschen eine niedrige Wahlbeteiligung“, erläutert sie. „In Frankreich gaben lediglich 65 Prozent der jungen Menschen an, wählen zu gehen. In Deutschland waren es immerhin 77 Prozent.“

In beiden Ländern beobachten wir unter jungen Menschen eine niedrige Wahlbeteiligung.

Miriam Hartlapp,  Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität

Diese Entwicklung sei besorgniserregend. Untersuchungen zeigten, dass Menschen, die als Jugendliche nicht wählen, es mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch im späteren Leben nicht tun. Die Spaltung der Jugendlichen in eine politisch aktive, zufriedene Gruppe und in eine politikferne Gruppe mit Potenzial für antidemokratische Ressentiments sei in Frankreich ausgeprägter, sagt Miriam Hartlapp. „Hier gaben mehr als 20 Prozent der Befragten an, dass sie mit Politik grundsätzlich nichts zu tun haben wollen.“

Gründe sieht Hartlapp etwa im französischen Mehrheitswahlrecht sowie in einem Mangel an Kandidatinnen und Kandidaten, von denen sich junge Menschen adäquat repräsentiert fühlten. In beiden Ländern zeige sich zudem, dass eine aktive Wahlbeteiligung in großem Maß vom sozioökonomischen Status abhängt. „Unter den Nichtwählenden befinden sich in beiden Ländern mehr junge Menschen aus Elternhäusern mit geringem Einkommen und niedrigeren Bildungsabschlüssen“, sagt Hartlapp.

Diese Ungleichheit sei in Deutschland stärker zu spüren. In Frankreich sei die Gruppe der Nichtwählenden sozioökonomisch heterogener. Die Gründe will Hartlapp nun genauer erforschen. Eine Ursache könnte im Bildungssystem liegen, das in Frankreich trotz Elitenförderung insgesamt stärker egalisierende Wirkung hat: Dort, wo es für alle Ganztagsbetreuung und mehr Gesamtschulen gibt, hänge der Bildungserfolg weniger stark am Elternhaus.

Die Kooperation mit der Politikhochschule Sciences Po in Paris geht auf den Elisée- Vertrag zurück

Der Élysée-Vertrag hat indes auch an der Freien Universität seine Spuren hinterlassen. So bietet das Otto-Suhr-Institut einen Bachelor- und einen Master-Studiengang in Kooperation mit der renommierten Politikhochschule Sciences Po in Paris an. „Die Studiengänge sind Teil der Deutsch-Französischen Hochschule, die ebenfalls Teil des Élysée-Vertrages ist“, erklärt Miriam Hartlapp.

Einer der Absolventen, der 27-jährige Ole Spillner, wurde im Januar in der französischen Botschaft mit dem Exzellenzpreis der Deutsch-Französischen Hochschule ausgezeichnet. „Ich hatte in meinem Studium die Gelegenheit, das Beste aus beiden Welten mitzunehmen“, sagt er. „Dabei sind nicht nur Freundschaften in Deutschland und Frankreich entstanden, sondern in der ganzen Welt. In unserem Jahrgang waren Menschen aus fast 50 Ländern.“ Diese internationalen Erfahrungen hat Spillner ins Berufsleben mitgenommen: Heute arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Für den Inhalt dieses Beitrags ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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