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Aktives Miteinander: Situationen wie diese fehlen durch die Pandemie. Der direkte Austausch mit anderen Kindern wirkt sich auch positiv auf den Lernerfolg aus.

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Hirnforschung an der Schule: Auf einer Wellenlänge

Soziale Interaktion ist von zentraler Bedeutung für das Lehren und Lernen. Das ist in der Corona-Pandemie auf neue Weise deutlich geworden.

Von Sören Maahs

Schule ist mehr als ein Ort der Stoffvermittlung. Sie ist vor allem auch ein Raum des Miteinanders und des sozialen Lernens. „Zusammenarbeiten, sich begegnen, gemeinsam handeln – das war so lange selbstverständlich im Schulalltag, bis diese Selbstverständlichkeit plötzlich keine mehr war“, sagt Michaela Sambanis. Die Professorin, die an der Freien Universität Berlin Lehrkräfte für das Fach Englisch ausbildet, verbindet in ihrer Arbeit Hirnforschung mit Didaktik. Für sie ist das Thema der Interaktion in den vergangenen Jahren zu einem besonderen Anliegen geworden.

Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass die menschlichen Beziehungen in einem Klassenzimmer entscheidend dafür sind, dass Kinder und Jugendliche erfolgreich lernen. Gerade für das Sprachenlernen sei Interaktion von großer Relevanz, sagt Michaela Sambanis. „Was wirklich zählt und die Lernatmosphäre ausmacht, sind Interaktionen, die soziale Nähe ermöglichen.“ Doch das Phänomen der Interaktion ist schwer fassbar. Lässt sich ihre Dynamik objektiv erforschen?

Was im Kopf von Schulkindern vorgeht, während sie im Unterricht sitzen, ließ sich bisher kaum beantworten. Bis vor wenigen Jahren untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hirnforschung soziale Prozesse nur an einzelnen Probanden, die andere Personen beobachten. Inzwischen ist es aber möglich, mittels Elektronenzephalografie (EEG) die Gehirnwellen bei mehreren Lernenden gleichzeitig zu ermitteln und die Aktivitätsmuster zu vergleichen, während die Personen miteinander interagieren.

„Neuronale Kopplung“ im Klassenzimmer

Für solche Studien kommen tragbare, haubenartige EEG-Geräte im Klassenzimmer zum Einsatz, erklärt Sambanis. Das Ziel sei es, dem Gehirn bei möglichst natürlichen Kontakten „zuzuschauen“ und zu beobachten. Dabei entdeckten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass sich bei bestimmten Aktivitäten die Hirnsignale der Lernenden synchronisierten. Diese „neuronale Kopplung“ zeige sich in Phasen produktiver Aktivierung der Gruppe, etwa bei anregenden Diskussionen im Unterricht.

Lässt sich bei mehreren interagierenden Schulkindern eine Angleichung der Hirnaktivierung erkennen, sei dies ein messbarer Hinweis für das Engagement im Unterricht. Das wiederum bilde eine gute Grundlage für die kognitive Auseinandersetzung mit dem vermittelten Stoff. „Je höher die Synchronisierung mit den Mitschülerinnen und Mitschülern ist, desto weniger lassen sie sich ablenken“, erläutert die Didaktikprofessorin.

Der Blick in die Köpfe einer Schulklasse zeige auch: Je wohler sich die Lernenden in ihrer Klasse und mit der Lehrkraft fühlen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie sich auf den Stoff einlassen und ihm die nötige Aufmerksamkeit schenken. Das Zugehörigkeitsgefühl unter den Schülerinnen und Schülern, das berühmte „Klassenklima“, ist entscheidend daran beteiligt, ob der gehirnliche Gleichtakt mit anderen aus der Klasse zustande kommt, erklärt Michaela Sambanis. „Vor diesem Hintergrund beantwortet sich die Frage, ob gemeinschaftsstärkende Aktivitäten wertvolle Unterrichtszeit verschwenden oder ob sich eine kleine Zeitinvestition dafür lohnt, gewissermaßen von selbst.“

Besser lernen durch positive Lernatmosphäre und soziale Nähe

Schülerinnen und Schüler lernen besser, wenn sie mit Freude lernen – das ist ein wichtiges Fazit aus Sambanis’ Beschäftigung mit der Didaktik. Ein menschenfreundlicher Satz, dem wohl die meisten in pädagogischen Berufen Beschäftigten ohne Weiteres zustimmen würden, nicht ohne den Seufzer anzuschließen: Ja, wenn das so einfach wäre! Was aber können Lehrkräfte tun, um eine positive Lernatmosphäre zu schaffen, die soziale Nähe ermöglicht und Lernende kognitiv aktiviert?

Um darauf Antworten zu finden, hat Michaela Sambanis zusammen mit Maik Walter, Direktor der Berliner Volkshochschule Friedrichshain-Kreuzberg, die Publikation „Make it work!“ vorgelegt. Das Buch verbindet neurowissenschaftliche Erkenntnisse und konkrete Anregungen für den interaktiven Fremdsprachenunterricht an Sekundarschulen und präsentiert in der Unterrichtspraxis erprobte Aktivitäten.

Einer der drei Schwerpunkte des Buches behandelt, wie sich Online-Unterricht motivierend und aktivierend gestalten lässt. Dass Digitalunterricht nach der Pandemie passé sein wird, glaubt Michaela Sambanis nicht. „Viele der Anregungen zur Interaktion im digitalen Unterricht sind nicht nur in Zeiten von Schulschließungen anwendbar. Die Videokonferenz als Ergänzung oder temporärer Ersatz für Präsenzunterricht kann auch in Zukunft zur Schulbildung beitragen.“

Dem emotionales Zustand der Kinder mehr Aufmerksamkeit schenken

Hinsichtlich der Diskussion an deutschen Schulen um die „Lernlücken“, die schnell gefüllt werden müssten, erinnert Michaela Sambanis daran, die sozialen Dimensionen von Schule nicht aus den Augen zu verlieren. Lernen und Kreativität gedeihen vor allem in einem entspannten Klima. Es gelte deshalb, dem emotionalen Zustand der Kinder und Jugendlichen große Aufmerksamkeit zu schenken.

Für den Inhalt dieses Textes ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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